Der vermisste Weihnachtsgast

Das hier besprochene Buch ist Teil einer Reihe. Die Rezension des unmittelbar vorhergehenden Bandes ist hier zu finden.

Als Leiter der Mordkommission genießt Armand Gamache eigentlich großes Ansehen, aber der Konflikt zwischen ihm und seinem bösartigen Vorgesetzten Sylvain Francoeur nimmt immer unerfreulichere Formen an. Da ist es fast schon eine Erleichterung, als die Buchhändlerin Myrna, eine von Gamaches Bekannten aus dem beschaulichen Dorf Three Pines, ihn um Hilfe bittet: Ihre Freundin Constance, die sie über die Weihnachtstage besuchen wollte, ist nicht zum verabredeten Zeitpunkt erschienen. Ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich, als Constance ermordet aufgefunden wird. Schnell erweist sich, dass die scheinbar so unauffällige alte Dame in jüngeren Jahren ungewollt eine Berühmtheit war. Wer genug gegen sie gehabt haben könnte, um sie zu erschlagen, lässt sich dennoch nicht im Handumdrehen entschlüsseln. Unterdessen werden Francoeurs Intrigen zur Bedrohung auch für andere Menschen als Gamache, insbesondere für seinen Protegé Jean-Guy Beauvoir, der an seiner von Francoeur geförderten Medikamentensucht zu zerbrechen droht …

Im neuesten ihrer auf Deutsch erschienenen Krimis (der unerklärlicherweise vor dem Folgeband herausgekommen ist, der mit Kenntnis der hier geschilderten Geschehnisse viel mehr Sinn ergibt) fährt Louise Penny einiges auf – so viel, dass die eigentlichen Mordermittlungen fast schon ins Hintertreffen geraten. Armand Gamache muss zwar nicht ganz die Welt retten, aber doch weitaus größere Probleme bewältigen, als sie sonst in die Kompetenz eines Mordermittlers fallen, und neben einem Verbrechen unglaublichen Ausmaßes auch noch eine politische Katastrophe verhindern. Zusammen mit dem Showdown in Westernmanier, der zu guter Letzt auf ihn wartet, ist das alles reichlich dick aufgetragen.

Wenn man Louise Penny diese doch etwas überzogene Herangehensweise verzeiht, dann deshalb, weil ihre Figuren wieder einmal großen Spaß machen. Die allesamt etwas exzentrischen Leute von Three Pines, die dennoch das Herz auf dem rechten Fleck haben, dürfen in diesem Band zusammenarbeiten, um Gamache zu unterstützen, und sind mit ihren Eigenarten und Marotten liebenswert wie eh und je gezeichnet. Auch der Schauplatz Three Pines selbst gehört natürlich nach wie vor zu den Pluspunkten der Reihe. So kommt trotz aller fürchterlichen Ereignisse durchaus ein bisschen wohlige Winterstimmung auf, und an kulinarischen Genüssen mangelt es natürlich auch nicht.

Die Hintergründe des eigentlichen Mordfalls sind, wie so oft bei Louise Penny, in unglücklichen zwischenmenschlichen Beziehungen im engsten Umfeld des Opfers zu suchen. Wer schon einige ihrer Krimis gelesen hat, wird vermutlich bemerken, dass hier zum wiederholten Mal ein ganz bestimmter Personentyp zum Mörder wird. Fast ist man deshalb froh, dass hinter einem zweiten gewaltsamen Todesfall, zu dem es kommt, ganz andere Motive stecken.

Doch wie oben schon angedeutet, ist dieses Buch eigentlich nur teilweise ein typischer Krimi. Im Vordergrund steht bis zu seiner überdramatischen Auflösung das schon seit mehreren Bänden immer weiter aufgebaute Ringen zwischen Gamache und Francoeur, mit Folgen, die für die Weiterentwicklung bestimmter wiederkehrender Figuren entscheidend sind. Als Fan von Three Pines allgemein hat man daher garantiert Spaß an der Lektüre, auch wenn es Romane gibt, in denen der eigentliche Kriminalfall aufregender und besser konstruiert ist.

Louise Penny: Der vermisste Weihnachtsgast. Der neunte Fall für Gamache. Zürich, Kampa, 2021, 576 Seiten.
ISBN: 978-3-311-12030-8

 


Genre: Roman