Im beschaulichen Bad Oeynhausen brennt eine Kapelle lichterloh – und in ihr ein Mensch im Rollstuhl. Die Reporterin Ira Wittekind, die über den Vorfall berichten soll, ist entsetzt, dass es sich bei dem Toten um den allseits beliebten Apotheker Ludwig Hahnwald handelt, den auch sie schon seit ihrer Kindheit kennt. Wer ihm den Tod gewünscht haben könnte, scheint erst unverständlich. Doch bei ihren Recherchen für einen Nachruf stolpert Ira bald über die hässlichen Seiten des „schönen Ludwig“, der seine Familie tyrannisierte und einiges zu verbergen hatte. Neugierig geworden versucht Ira, mehr herauszufinden, aber das ist alles andere als einfach, zumal ihr ein mysteriöser Blogger bei ihren Nachforschungen stets einen Schritt voraus ist. Wie sehr sie sich bei dem Wettlauf um Informationen selbst in Gefahr begibt, bemerkt sie erst viel zu spät …
Abgründe hinter der wohlanständigen Fassade der Provinzelite, überraschende Wendungen und Enthüllungen, falsche Fährten und mit dem Fortschreiten der Geschichte auch noch immer mehr Action und Dramatik – Carla Berlings Mordkapelle hat alles, was ein Krimi braucht, um sich unkompliziert und süffig wegzulesen.
Ihr eigentliches Talent zeigt die Autorin aber bei den Beschreibungen der alltäglichen, unheimlichen oder einfach nur herrlich schrägen Typen (besonders die trinkfesten alten Tanten von Iras Freund Andy drängeln sich forsch ins Leserherz) und der Umgebung, in der sie sich bewegen. Dabei führt die Handlung nicht nur durch ein mitsamt seinen wortkargen Bewohnern augenzwinkernd heraufbeschworenes Ostwestfalen, das ja schon im Nachnamen der Protagonistin anklingt, der vielleicht ein wenig auf Widukind als eine der bekanntesten historischen Persönlichkeiten der Region anspielt. Da Iras Lokalzeitung ihr einen spontanen Recherchetrip nach Südfrankreich finanziert (die Glückliche!) und eine Spur in dem Kriminalfall nach Hamburg weist, haben auch die schönsten Ecken der Côte d’Azur und die Hansestadt kleine Gastauftritte.
An der Krimihandlung selbst fällt zweierlei positiv auf. Zum einen spielt Carla Berling fair und gibt schon früh diskrete Hinweise auf die Person, die hinter dem Mord steckt, so dass man miträtseln kann und spätestens in der Rückschau erkennt, dass das ganze Buch auf die präsentierte Lösung hinführt. Zum anderen bleibt der Plot insofern realistisch, als Iras Perspektive konsequent durchgehalten wird und am Ende zwar vieles, aber nicht alles geklärt ist. Zwar stellen die Protagonisten schlüssige Hypothesen über manche Zusammenhänge auf, aber ein paar Geheimnisse dürfen die Verdächtigen behalten. Das ist in vielen Krimis anders (wie Ira auch romanintern ironisch anmerken darf), und so empfindet man es als ganz erfrischend, dass Berling hier ein wenig näher am wirklichen Leben zu bleiben versucht.
Wer einen lockeren und unterhaltsamen Krimi sucht, kann mit Mordkapelle also nicht viel falsch machen und wird auch Freude an netten Details wie den Steckbriefen der Hauptpersonen und der Kartenskizze der wichtigsten Handlungsorte haben. Eine Merkwürdigkeit sei allerdings nicht unterschlagen (auch wenn sie nichts mit dem Text an sich zu tun hat): Durch eine Art Prägung, die wohl originell wirken soll, fühlt sich der Einband des Romans an wie Sandpapier. Man kann nur hoffen, dass der Verlag bei einer Neuauflage oder etwaigen Folgebänden auf eine konventionellere Gestaltung zurückgreift, bei der man das Buch dann auch im Wortsinn genau so gern zur Hand nimmt, wie man es liest.
Carla Berling: Mordkapelle. Kriminalroman. München, Heyne, 2017, 400 Seiten.
ISBN: 9783453419964