Mrs. Tsenhor. A Female Entrepreneur in Ancient Egypt

Obwohl Frauen im Alten Ägypten Männern gegenüber in manchen Bereichen benachteiligt waren (z.B. durch rituelle Tabus bezüglich der Menstruation), hatten sie doch insgesamt sozial und wirtschaftlich eine wesentlich stärkere Stellung inne als viele ihrer Zeitgenossinnen in anderen Kulturen rings um das Mittelmeer. In ihrer Geschäftsfähigkeit waren sie nicht eingeschränkt, sondern konnten Vermögen besitzen, erben und vererben, sich scheiden lassen, unterschiedlichsten Berufen nachgehen und unternehmerisch tätig sein. Obwohl es hier also auf allen gesellschaftlichen Ebenen viel Interessantes zu entdecken gibt, stehen als Einzelpersönlichkeiten meist nur Herrscherinnen oder andere Angehörige der Elite im Fokus der Forschung. Koenraad Donker van Heels vergnüglich zu lesende Quellenstudie Mrs. Tsenhor gewinnt ihren Reiz gerade daraus, dass er stattdessen die Biographie einer Durchschnittsfrau aus der ägyptischen Mittelschicht aus in Form von Papyri überlieferten Dokumenten rekonstruiert.
Tsenhor, deren Name „Schwester des Horus“ bedeutet, wurde um 550 v. Chr. in eine Familie in Theben hineingeboren, die dem Berufsstand der Choachyten angehörte – Personen, die professionell den Totenkult ausübten. Mit Einbalsamierung und Bestattung allein war in der jenseitsverliebten Kultur des alten Ägypten noch nicht genug für das ewige Leben vorgesorgt. Den Verstorbenen mussten dauerhaft Trank- und Speiseopfer dargebracht werden, eine Tätigkeit, für die man die Choachyten engagierte und gut bezahlte (etwa durch die Übereignung von Feldern, denn eine Geldwirtschaft war noch nicht gebräuchlich).
Auch Tsenhor übte als Erwachsene diesen Beruf aus und erbte von ihrem Vater ein Viertel des Familienunternehmens (die restlichen Anteile entfielen auf ihre drei Brüder). Nach einer ersten Ehe, der ihr vermutlich relativ jung verstorbener Sohn Peteamunhotep entstammte, heiratete sie spätestens 517 den Choachyten Psenese, mit dem sie die Tochter Ruru und den Sohn Ituru hatte, die nach Pseneses Tod (zwischen 498 und 494) als seine Erben zu gleichen Teilen bezeugt sind. Tsenhor überlebte ihren Mann und erscheint bis ins vorgerückte Alter weiter in verschiedensten Urkunden. Sie starb nach 490.
Aus den erhaltenen Dokumenten, die wohl entweder von Tsenhor selbst oder von einem ihrer Nachkommen gesammelt und verwahrt wurden, ergibt sich eine erstaunliche Fülle von Details über Rechtsgeschäfte aller Art, von Erbschaftsregelungen über den Kauf eines Sklaven oder Tsenhors und Pseneses gemeinsamen Hausbau (praktischerweise direkt neben der Werkstatt eines Balsamierers) bis hin zur Miete eines Rinds zum Pflügen der Ackerlands der Familie. Auf diese Weise entsteht ein detailliertes Bild des Alltagslebens in Ägypten zur Zeit der persischen Herrschaft.
Bei aller Quellennähe schreibt Donker van Heel in einem humorvollen, bisweilen sprachlich etwas flapsigen Stil, der einem allgemeinen Publikum sehr entgegenkommt. Inhaltlich bleiben seine Angaben aber seriös, und er weist stets darauf hin, wenn es in der Ägyptologie noch andere Deutungen als die jeweils von ihm vertretene gibt.
Zur Stützung seiner Argumentation und zum Vergleich zieht der Autor neben den Urkunden, die sich auf Tsenhor und ihr Umfeld beziehen, auch eine Fülle von anderen Quellen aus verschiedensten Epochen vom Alten Reich bis zur koptischen Zeit heran. Manche Traditionen waren, wie sich zeigt, über Jahrhunderte wenn nicht gar Jahrtausende sehr beharrlich, etwa bestimmte Formen der Erbschaftsaufteilung – und leider auch die entsprechenden Erbstreitigkeiten. So erfährt man im Zuge der Lektüre sehr viel über das alte Ägypten abseits von Pyramiden und Pharaonen, beispielsweise über verwickelte Familienverhältnisse (die durch Adoptionen noch zusätzlich verkompliziert werden konnten), den Hang eines Schreibers zu angeberischen Titeln, mit denen er seine Urkunden signierte, Pannen im Berufsalltag von Bestattern, die auch schon einmal vergaßen, eine Mumie in ihr Grab zu transportieren, und dergleichen mehr.
Wer sich für Alltagsgeschichte interessiert, wird an Mrs. Tsenhor auf alle Fälle seine Freude haben, und findet in der Titelfigur eine ansprechende Protagonistin, an deren Seite er ihre ferne und fremde, aber in bestimmten Belangen zeitlos wirkende Welt erkunden kann.

Koenraad Donker van Heel: Mrs. Tsenhor. A Female Entrepreneur in Ancient Egypt. Kairo, New York, The American University in Cairo Press, 2015, 229 Seiten.
ISBN: 9789774166778


Genre: Biographie, Geschichte