The Christmas Collection

Der Titel ist Programm: In The Christmas Collection bietet die vielseitige Autorin und Hugo-Preisträgerin Cora Buhlert ein Potpourri von Weihnachtsgeschichten unterschiedlicher Länge, das quer durch die beliebtesten Genres der Unterhaltungsliteratur führt, von Romance über Fantasy, Horror und Krimi bis hin zu Science Fiction.

Den Anfang machen fünf in der realen Welt angesiedelte Liebesgeschichten. Drei davon greifen ineinander, da sie alle im selben amerikanischen Einkaufszentrum, der Hickory River Mall, spielen. In der warmherzigen kleinen Meet-Cute-Geschichte Christmas Gifts besorgt Protagonist Tim auf die letzte Minute ein Geschenk für seine Mutter. Es zu verpacken erweist sich als wahre Herausforderung, aber zum Glück naht unerwartete Hilfe, aus der sich rasch mehr ergibt.

Etwas zynischer setzt Christmas Shopping with a Broken Heart ein. Nachdem ihr Freund ihr jäh den Laufpass gegeben hat, bricht Hannah, tief enttäuscht, zu Weihnachtseinkäufen auf. Im Gedränge kommt es zu einem spektakulären Zusammenstoß – und der hat Folgen.

Länger und in nach Weihnachtssongs benannte Kapitel gegliedert ist Christmas at Hickory Mall: The Crappiest Christmas Ever. Während die Studentin Jessica nach dem Scheitern der Ehe ihrer Eltern auf die letzte Minute ein eigenes Weihnachtsfest fernab der Familie zu organisieren versucht, trauert Weihnachtsbaumverkäufer Matt besseren Zeiten nach, und natürlich treffen die beiden aufeinander.

Christmas Eve at the Purple Owl Café führt dagegen auf die andere Seite des Atlantiks. Im zur Abwechslung einmal verschneiten Norddeutschland weigert die junge Katie sich zum ersten Mal, den Heiligabend mit der wenig liebenswerten Verwandtschaft zu verbringen. Doch statt trübsinniger Einsamkeit hat das ungewöhnliche Weihnachten unverhofft doch noch nette Gesellschaft für Katie zu bieten.

Nicht weit entfernt spielt auch Driving Home for Christmas. Auf dem Weg von Münster nach Hamburg hat die Studentin Laura am Heiligabend eine Autopanne. Als dann auch noch ihr Handy versagt, scheint die Lage ernst, aber auf dem Parkplatz, auf dem ihr Wagen liegengeblieben ist, ist sie vielleicht doch nicht so allein, wie sie erst geglaubt hat.

Eine winterliche Romanze fehlt auch in The Bakery on Gloomland Street nicht, aber hier geht es deutlich phantastischer zu als in den fünf vorhergehenden Texten: Rachel Hammersmith übernimmt eine kleine Bäckerei im ewig nebligen Hallowwind Cove, ohne beim Namen der Vorbesitzerin Marie Percht schon Böses zu ahnen, bekommt es aber dann in der Adventszeit mit dem Krampus höchstpersönlich zu tun – denn der ist, wie sich herausstellt, nur auf sehr spezielle Art zu besänftigen (die bei einem deutschen Lesepublikum – je nach regionaler Herkunft – durchaus Kindheitserinnerungen wecken dürfte).

Überwiegend fern der Menschenwelt (und hoffentlich in einem anderen Universum als der vorherige Text) ist Revolt at the North Pole angesiedelt, eine Geschichte, um die Weihnachtsmannfans, die sich das Bild eines gütigen alten Mannes erhalten wollen, lieber einen großen Bogen machen sollten: Die Weihnachtselfen wollen sich nicht länger von Santa Claus ausbeuten lassen, aber ohne Verbündete können sie den Aufstand nicht wagen. Während manche überredet werden müssen, schließt sich unversehens auch ein sehr unwahrscheinlicher Helfer der Revolte an, und Dramatisches geschieht, bevor auch nur ans alljährliche Geschenkeausliefern gedacht werden kann.

Eindeutig düstere Aspekte hat Weihnachten auch in Witchfinders: The Solstice Horror, und das nicht nur, weil die Geschichte vor dem Hintergrund der Hexenverfolgung im Neuengland des späten 17. Jahrhunderts spielt. Der junge Puritaner Matthew Goodson, unlängst noch Lehrling gefürchteter Hexenjäger, ist mit der Hexe Grace Pankhurst auf der Flucht vor seinen ehemaligen Meistern. Doch in dem Wald, den sie durchqueren müssen, um ihren Verfolgern zu entgehen, lauert ein nicht minder gefährliches Wesen, das ausgerechnet im tiefsten Winter aktiv zu werden pflegt.

Zurück in ein Setting ohne übernatürliche Elemente führt A Bullet for Father Christmas. Kurz vor Weihnachten liegt ein Mann im Weihnachtsmannkostüm erschossen in einem Juwelierladen – getötet angeblich von seinem Komplizen bei einem Raubversuch. Der Fall stellt Detective Inspector Helen Shepherd zunächst vor ein Rätsel, aber vielleicht noch schwieriger ist die Frage zu klären, wo sie das besondere Spielzeug auftreiben soll, das ihre kleine Nichte sich von ihr wünscht.

Helen Shepherd hat einen zweiten Auftritt in Santa’s Sticky Fingers und muss auf einem nach deutschem Vorbild gestalteten englischen Weihnachtsmarkt auf die Jagd nach Taschendieben gehen. Während von den Marktbeschickern wüste Verdächtigungen über vermeintlich kriminelle Osteuropäer und den örtlichen Obdachlosen geäußert werden, führen Helens Nachforschungen bald auf eine ganz andere Spur. Ein spezielles Geschenk für ihre Nichte aufzutreiben, ist allerdings auch diesmal wieder eine echte Herausforderung.

Durchaus kriminell geht es auch in The Silencer: St. Nicholas of Hell’s Kitchen zu, allerdings nicht in England, sondern in New York der 1930er Jahre. Richard Blakemore führt dort ein Doppelleben als Pulp-Autor und als sein eigener literarischer Held, der geheimnisvolle „Silencer“, der gegen das Verbrechen kämpft. Als er auf der Flucht vor Verfolgern in ein Kinderheim gerät und erfährt, dass es durch die Machenschaften skrupelloser Immobilienhaie von der Schließung bedroht ist, kann er natürlich nicht untätig bleiben.

The Tinsel-Free Christmas Tree  ist nicht nur eine Satire auf erklärungslastige Science Fiction, die unbeholfen alles und jedes übergenau zu erläutern versucht, sondern bedient sich geschickt einer ähnlichen Erzähltechnik wie die bekannte Kurzgeschichte Despoilers of the Golden Empire: Durch exotisch anmutende, wenngleich korrekte Bezeichnungen wird ein eigentlich sehr alltäglicher Ehekrach zu einer höchst grotesken Diskussion, und der Name des Paares, das sich hier über seinen Weihnachtsbaum in die Haare gerät, bleibt nicht die einzige Anspielung auf Loriot.

Völlig schräg wird es in The Robot Turkey Apocalypse, einer humoristischen Horrorstory, in der das Ende der Welt ausgerechnet durch aus dem Nichts auftauchende Robotertruthähne mit mörderischen Absichten eingeläutet wird.

Wesentlich friedlichere Verhältnisse herrschen in A Year on Iago Prime: Christmas on Iago Prime, aber zufrieden ist die kleine Libby trotzdem nicht: Als Tochter eines Wissenschaftlerpaares ist sie gezwungen, Weihnachten fern des heimatlichen Boston in der Weltraumkolonie Iago Prime zu verbringen, wo sie sich als einziges Kind unter Erwachsenen tödlich langweilt. Als sich abzeichnet, dass es hier nicht einmal einen richtigen Weihnachtsbaum geben wird, kann wohl nur noch eines helfen: eine Nachricht an Santa Claus.

Wie der Titel schon ahnen lässt, ist die Ausgangslage in Christmas after the End of the World um einiges unersprießlicher: Hier versucht die dreizehnjährige Natalie, ihrem kleinen Bruder Liam, Findelkind Olivia und Hund Bud ein schönes Weihnachten unter postapokalyptischen Bedingungen zu ermöglichen. Damit, dass sie alle ein Weihnachtswunder erleben werden, rechnet sie allerdings nicht.

Cora Buhlert schreibt humorvoll, routiniert und oft sozialkritisch, mit souveräner Genrekenntnis und gelegentlich einem Schuss Nostalgie, aber auch reichlich (Selbst-)Ironie. So bieten ihre Texte neben den eigentlichen Geschichten einen bunten Anspielungsstreifzug durch die Popkultur, auch in Form vieler Witze in der Namensgebung (so taucht z. B. in einem der Krimis gewiss nicht ohne Grund ein gewisser Jürgen Roland auf), und sind mit einprägsamen sprachlichen Bildern gespickt (aber in welcher Geschichte genau etwas like the aftermath of a Visigoth raid aussieht, wird hier selbstverständlich nicht verraten).

Außerdem gerät nicht aus dem Blick, dass nicht für alle Menschen um diese Jahreszeit ein christliches oder auch nur säkularisiertes Weihnachtsfest wichtig ist; so schiebt in der Hickory River Mall Barista Mohammad auch am Heiligabend Dienst wie üblich, während in anderen Geschichten Chanukka und pagane Winterbräuche Erwähnung finden. Aber ganz egal, welcher Feiertag genau nun begangen wird: für liebevoll beschriebene kulinarische Genüsse ist immer gesorgt, und so ist ein garantierter Nebeneffekt der Lektüre, dass man beim Lesen Appetit auf alles Mögliche von Weckmännchen über Kekse bis hin zu Glühwein bekommt.

Aufgrund der Fülle abgedeckter Genres ist in der Sammlung wirklich für so gut wie jeden Geschmack etwas dabei. Wer in der Advents- und Weihnachtszeit zur Ablenkung von Stress und Hektik entspannende und unterhaltsame Lektüre sucht, die sich häppchenweise zwischendurch oder auch am Stück prima weglesen lässt, kann mit The Christmas Collection also nicht viel falsch machen.

Cora Buhlert: The Christmas Collection. Bremen / Stuhr, Pegasus Pulp Publications, 2021 (E-Book, PDF-Fassung 226 Seiten).
ISBN: 978-1-393-38370-3


Genre: Anthologie, Erzählung