THE hidden LÄND

In einer archäologischen Ausstellung ein ganzes Jahrtausend abzudecken und das Publikum von der Römerzeit bis kurz vor die Schwelle zum Hochmittelalter zu führen, ist keine ganz einfache Aufgabe. THE hidden LÄND. Wir im ersten Jahrtausend, die diesjährige Landesausstellung in Baden-Württemberg, stellt sich ihr, indem sie jeweils einen von fünf besonderen Fundplätzen exemplarisch eine bestimmte Epoche und einen mit ihr assoziierten Oberbegriff vertreten lässt – eine Gliederung, die sich auch in dem üppig bebilderten, lesenswerten Begleitband niederschlägt.

Alle Kapitel folgen dabei in ihrem Aufbau dem gleichen Schema: Nach einem einführenden Beitrag, der einen kompakten ereignis- und kulturhistorischen Überblick über jeweils zwei zusammen betrachtete Jahrhunderte bietet, wird im nächsten Text der beispielhaft hervorgehobene Fundort vorgestellt, während sich im Anschluss daran Artikel wechselnden Umfangs vertiefend weiteren Funden aus der jeweiligen Epoche, aber auch wissenschaftlichen Arbeitsmethoden (von archäologischer Prospektion bis hin zu molekulargenetischen Untersuchungen) oder geschichtsphilosophischen Überlegungen (so zum Begriff der Völkerwanderungszeit und der damit verknüpften modernen Mythenbildung) widmen.

Aufgrund der hohen Anzahl der von verschiedenen Forschenden verfassten, oft nur sehr kurzen Einzelbeiträge würde eine detaillierte Besprechung Aufsatz für Aufsatz den Rahmen dieser Rezension sprengen; ich beschränke mich daher auf eine Vorstellung der einzelnen Kapitel.

Unter dem Schlagwort Integration steigt man ins 1. und 2. Jahrhundert ein, eine Epoche, in der im Zuge der Etablierung der römischen Herrschaft in Südwestdeutschland Menschen unterschiedlichster geographischer Herkunft dort eine neue Heimat fanden. Der hier zugeordnete Fundort ist Diersheim, wo zahlreiche germanische Brandgräber entdeckt wurden. Obwohl die zeitgenössische (Eigen-)Bezeichnung der dort Bestatteten für uns nicht mehr fassbar ist, könnte es sich um Sueben gehandelt haben. Die bewusst zerstörten Grabbeigaben verraten dabei enge kulturelle Kontakte zur römischen Welt, umfassen aber durchaus auch Kuriosa (etwa einen zu dem Zeitpunkt, als er einem Mann im 1. Jahrhundert mit ins Grab gelegt wurde, schon antiken keltischen Schlüssel). Herausragend unter den in diesem Kapitel behandelten weiteren Funden sind ein in einem germanischen Grab im ukrainischen Kariv entdeckter Bronzekessel, an dem als Verzierung drei Männer mit sogenanntem Suebenknoten dargestellt sind, und das römische Prunkportal von Ladenburg, das sich aus den als Hortfund erhaltenen Türbeschlägen rekonstruieren lässt, unter denen die als Türgriffe dienenden „Seeleoparden“ (nicht identisch mit den gleichnamigen Robben, sondern Mischwesen aus Raubkatze und Fisch) sicher die außergewöhnlichsten sind.

3. und 4. Jahrhundert stehen unter dem Oberbegriff Migration und rücken den vicus Güglingen als Fundort in den Mittelpunkt, an dem sich der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel von der römischen Reichskrise des 3. Jahrhunderts bis zu den frühen Alamannen gut zeigen lässt: In den wildbewegten Zeiten änderten sich die Siedlungsstruktur und die kulturelle Identität der Menschen vor Ort beträchtlich, obwohl, anders als an anderen Fundstätten, nichts auf eine Zerstörung des vicus samt Ermordung seiner Bewohner bei den Plünderungszügen des 3. Jahrhunderts hindeutet. Weitere interessante Beiträge dieses Kapitels befassen sich mit archäobiologischer Forschung (die Veränderungen von Ackerbau, Viehzucht und sonstiger Tierhaltung zwischen römischer und alamannischer Zeit greifbar macht) und mit einem Grabstein aus Bad Cannstatt für zwei Kataphrakten (Panzerreiter), deren Herkunft aus dem Osten des römischen Reichs die hohe Mobilität von Individuen eindrucksvoll verdeutlicht.

Kommunikation ist das Schlagwort für das 5. und 6. Jahrhundert. Eine Form von Kommunikation ist ohne Zweifel die im Rahmen von Bestattungsbräuchen betriebene Repräsentation, und so überrascht es nicht, dass hier mit dem überregional bekannten alamannischen Gräberfeld von Lauchheim ein Fundort im Vordergrund steht, an dem sich an Grabbeigaben des Frühmittelalters viel darüber ablesen lässt, durch welche Gegenstände soziale Rollen und Hierarchien noch im Tod abgebildet wurden. Darüber hinaus spielen in diesem Kapitel aber auch anthropologische Untersuchungen eine große Rolle, so etwa zu den Bestatteten des Gräberfelds von Niederstotzingen, deren Verwandtschaftsverhältnisse sich dank DNA-Untersuchungen nachzeichnen lassen. Prunkstück unter den präsentierten Einzelfunden ist sicher die unbeschreiblich gut erhaltene, aus dem 6. Jahrhundert stammende Leier von Trossingen mit ihren kunstvoll geschnitzten Verzierungen, die dank einer Umzeichnung bis ins Detail zu erkennen sind.

Spielten Glaubensüberzeugungen (etwa durch Verweise auf Mithräen, Jupitergigantensäulen oder Verstorbenen mitgegebene Goldblattkreuze) schon in den vorherigen Kapiteln hier und da eine Rolle, wird Spiritualität zum Oberthema für den dem 7. und 8. Jahrhundert gewidmeten Abschnitt. Die Christianisierung als entscheidende Weichenstellung für die folgenden Jahrhunderte wird durch die Sülchenkirche von Rottenburg am Neckar bzw. eigentlich durch deren bei Sanierungsmaßnahmen zufällig entdeckten Vorgängerbau aus dem 7. bis 8. Jahrhundert repräsentiert. Mit der Hinwendung zum Christentum ging auch ein allmählicher Wandel der Bestattungsbräuche einher, der hier in verschiedenen Beiträgen differenziert nachgezeichnet wird. Das interessanteste besprochene Fundstück ist aber kein religiöses, sondern eine prunkvolle, mit einer Runeninschrift ausgestattete Fibel aus Neudingen, die zwar wahrscheinlich im Oberrheingebiet gefertigt wurde, aber künstlerische Einflüsse aus verschiedenen Regionen aufweist.

Haben die jeweils (zumindest lokal oder regional) Mächtigen einer Zeit auch schon bisher immer wieder Erwähnung gefunden, wird Herrschaft zum zentralen Thema des abschließenden, mit dem 9. und 10. Jahrhundert befassten Kapitels, in dem die Herausbildung des Herzogtums Schwaben und der Verfestigung einer für das Mittelalter prägenden Ständegliederung betont werden. Hier rückt Ulm, das in dieser Zeit als Zentralort und Königspfalz an Bedeutung gewann, in den Fokus, aber es fließt auch mit ein, was zum Machtaufbau und -erhalt beitrug (z. B. die in Dettingen unter Teck nachweisbare Eisenverhüttung). Einzelne Beiträge greifen dabei auch über die engen Grenzen des festgelegten Zeitraums hinaus, so etwa der über Schwerter und der über Ringe (jeweils über Jahrhunderte bedeutsame Statussymbole, über die sich diachron mehr aussagen lässt, als wenn man nur einen sehr kurzen Zeitabschnitt betrachtet). Den Kontrapunkt zu dieser Konzentration auf die Eliten bilden anthropologische Untersuchungen an den sterblichen Überresten der ländlichen Bevölkerung, die oft kein leichtes Leben hatte.

Insgesamt entsteht so ein vielschichtiges und reizvoll die Balance zwischen Einzelbetrachtungen und übergeordneten Aspekten wahrendes Bild der Entwicklung Südwestdeutschlands im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Ein rundum gelungener und empfehlenswerter Ausstellungsbegleitband also? Nicht ganz, denn trotz aller unbestreitbaren Qualitäten gibt es doch einen Wermutstropfen.

Dieser in meinen Augen durchaus gewichtige Minuspunkt ist das eine unzureichend frisierte, misstrauisch dreinsehende Gestalt im trist gefärbten Umhang, die ihren Goldring zur Schau stellt, in Szene setzende Titelbild, das laut Angaben des Archäologischen Landesmuseums Baden-Württemberg im sozialen Netzwerk Bluesky mithilfe der Agentur Jung von Matt mittels KI generiert ist. Angesichts der Fülle gelungener Fundfotos im Buch (darunter übrigens auch eines von dem Ring, der für den KI-generierten Pate gestanden hat, S. 264), die prächtige Covermotive abgegeben hätten, bin ich doch ein wenig traurig und enttäuscht, dass die für die Gestaltung Verantwortlichen nicht lieber darauf zurückgegriffen haben. Aber auch abseits aller ethischen Fragen, die das Thema KI aufwirft, erschließt sich mir nicht ganz, warum man, wenn man schon diese Form der Bilderzeugung wählt, damit auch noch ausgerechnet ein Motiv herstellt, das bis zu einem gewissen Grade das Klischee von Ungepflegtheit und Wildheit in den vermeintlichen „Dark Ages“ Europas reproduziert. Dieses Buch, das inhaltlich einiges zu bieten hat und immer wieder auch mit Vorurteilen aufzuräumen versucht, hätte Besseres verdient gehabt.

Gabriele Graenert, K. Felix Hillgruber (Konzeption): THE hidden LÄND. Wir im ersten Jahrtausend. Hrsg. von Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg und dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Oppenheim am Rhein, Nünnerich-Asmus, 2024, 288 Seiten.
ISBN: 978-2-96176-251-4


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur