Unter dem Titel Moralia ist eine Sammlung philosophischer Schriften des griechischen Autors Plutarch bekannt. Die Altphilologin Marion Giebel hat bereits mehrere Auszüge daraus (wie etwa auch schon Freunde und Feinde) übersetzt, mit einem Vorwort versehen und durch Kommentare erschlossen. Wie man den Zorn besiegt ist eines dieser Teilstücke der Moralia und hier um einen Auszug aus einem Brief Ciceros ergänzt, in dem er seinen Bruder Quintus zum Umgang mit dem Zorn berät.
Nominell ist Wie man den Zorn besiegt in der Form eines Dialogs gehalten, aber eigentlich wäre es fast angemessener, von einem dem Römer Fundanus in den Mund gelegten Monolog zu sprechen, zu dem sein Gesprächspartner Sulla (nicht identisch mit dem gleichnamigen Diktator) eigentlich nur den Anstoß geben darf, in dem er beobachtet, dass sein alter Freund Fundanus offensichtlich sein aufbrausendes Temperament weitaus besser im Griff hat als früher. Von Sulla darum gebeten, legt Fundanus daraufhin dar, wie es ihm gelungen ist, seine Neigung zum (Jäh-)Zorn zu überwinden, und diese mit Zitaten aus literarischen Werken gespickte Schilderung enthält durchaus einige bedenkenswerte Überlegungen.
Zugegeben: In manchen Gedankengängen erweist sich Plutarch stark als Kind seiner Zeit. Wenn er etwa beobachtet, dass die absolute Macht eines Herrn über seine Sklaven Ersteren zu einem ethisch nicht vertretbaren Verhalten verleiten kann, oder hilflosen Zorn als charakteristisch für die von ihm als den Männern unterlegen betrachteten Frauen oder eben für versklavte Menschen beschreibt, ist er zweifellos in Teilen etwas Richtigem auf der Spur, bringt aber nicht den geistigen Sprung fertig, zu erkennen, dass die Sklaverei als Institution und die traditionelle Unterdrückung und Unterschätzung von Frauen hier die eigentlichen Fehler sein könnten. Die Perspektive bleibt also immer die eines männlichen Familienoberhaupts, aber wenn man damit leben kann, dass bestimmte Passagen dementsprechend dem heutigen moralischen Empfinden zuwiderlaufen, wird einem deutlich, dass Plutarch auch viel Zeitloses zu sagen hat, das heute nicht minder aktuell ist als im Römischen Reich.
Denn Zorn, so Plutarch, steht vernünftigem Verhalten oft im Wege, besonders, wenn er völlig überproportional zu dem, was ihn ausgelöst hat, ist, und das kann nicht nur Beziehungen vergiften, sondern, sobald ein Zorniger über eine gewisse Macht verfügt, auch noch weit fatalere Folgen haben. Die guten Ratschläge, die Wut anderer zu betrachten und sich zu fragen, ob man selbst in seinem Zorn gleichermaßen abstoßend und bösartig wirken möchte, und sich vor Augen zu führen, dass man Zorn nicht mit Stärke verwechseln sollte (da oft eher das genaue Gegenteil dahintersteht), sollte sich wohl auch heute noch manch ein Mensch zu Herzen nehmen, im wahren Leben wie auch in den sozialen Medien, in denen Wut und Empörung so oft hohe Wellen schlagen.
Marion Giebel übersetzt wie immer modern und treffsicher, mit viel Gespür dafür, einen gut lesbaren Text herzustellen, dem man nicht anmerkt, dass man ihn nicht in seiner Originalsprache vor sich hat. Allein schon deshalb macht die Lektüre der von ihr herausgegebenen antiken Werke viel Vergnügen, aber natürlich sind Plutarchs Gedankengänge auch abgesehen davon immer einen Blick wert.
Marion Giebel (Hrsg.): Plutarch: Wie man den Zorn besiegt. Stuttgart, Reclam, 2023 (RUB Nr. 14274), 86 Seiten.
ISBN: 978-3-15-014274-5