Rätselhaftes Saint-Rémy

Der junge Archäologe Gaspard Rouge liegt eines Morgens erschossen am Quellheiligtum der archäologischen Ausgrabungsstätte Glanum in der Provence. Ermittler Roger Blanc steht zunächst vor einem Rätsel, denn viele hätten Gelegenheit und vielleicht auch ein Motiv gehabt, dem aus Paris angereisten Forscher etwas anzutun, der neidische Kollege ebenso wie die Chefin, mit der er ein Verhältnis hatte, die undurchschaubare Museumsleiterin, der in den nahen Bergen aktive örtliche Raubgräber oder sogar die neopaganen Überzeugungen anhängende Kosmetikerin, die heimlich heidnische Rituale durchführt. Doch je mehr Blanc über Rouge und dessen Umfeld in Erfahrung bringt, desto deutlicher wird, dass die Hintergründe des Mordes vielleicht gar nicht in der unmittelbaren Vergangenheit zu suchen sind, sondern Verbindungen zu einem rätselhaften ungeklärten Fall aufweisen, der ein Vierteljahrhundert zurückliegt …

Cay Rademacher macht in seinem neuen Krimi Rätselhaftes Saint-Rémy mit Glanum eine der schönsten archäologischen Stätten überhaupt zu einem der zentralen Schauplätze, und auch sonst kann das Buch fast als Reiseführer dienen, wenn das nahe Glanum gelegene, titelgebende Städtchen Saint-Rémy, andere pittoreske Ortschaften der Provence und die Landschaft der Alpilles geschildert werden. Das geschieht so stimmungsvoll und gekonnt, dass man Verständnis dafür hat, dass manche der Verdächtigen etwas zu gewollt bei bestimmten Sehenswürdigkeiten platziert werden, damit die Befragung immer auch in eine schöne Umgebungsbeschreibung eingebettet werden kann.

Parallel zu dem Mordfall (hinter dem sich diesmal eine wirklich üble Geschichte mit mehr als nur einem Opfer und auch mehreren in unterschiedlicher Form Tatbeteiligten verbirgt) entwickelt sich natürlich auch das Privatleben des durchaus diversen Ermittlungsteams weiter, wenn auch nicht in allen Fällen zum Guten: Polizist Marius und seine wohl doch nicht ganz überwundene Alkoholsucht bieten Anlass zur Sorge, während seine Kollegin Fabienne, noch nicht lange verheiratet und schwanger, mit ihrer Frau in einer handfesten Ehekrise steckt. Allein bei Roger Blanc selbst herrscht häuslicher Friede, so dass er eigentlich gar keinen Anlass hat, so oft „scheiß drauf“ zu sagen (bzw. zu denken), wie er es in diesem Band tut – sprachlicher Realismus in allen Ehren, aber das ist in der Häufung dann doch etwas zu viel des Guten.

Überhaupt hätte das Lektorat an manchen Stellen gründlicher sein können, denn dann hätte z. B. auffallen können, dass bei Saint-Paul-de-Mausole fälschlich durchgängig die Schreibung „Mausolé“ gewählt ist (vielleicht aufgrund einer Verwechslung mit dem französischen Wort mausolée, also Mausoleum), die eine andere Aussprache impliziert, oder dass die Nichte der Museumsleiterin auch schon einmal als deren Tochter bezeichnet wird. Aber auch abgesehen von solchen Kleinigkeiten, über die man hinweglesen kann, darf man bei der Roger-Blanc-Reihe generell über eines nicht zu genau nachdenken: Immer wieder wird betont, dass Blanc noch kein ganzes Jahr in der Provence lebt. Dass er in der kurzen Zeit schon zwölf Mordfälle aufgeklärt hat, mag krimireihentypisch sein, aber unterdessen ist auch die Corona-Zeit samt Lockdowns, die in einigen der letzten Bücher vorkam, nicht nur angebrochen, sondern auch komplett wieder vergangen. Da der vorliegende Band ganz explizit 2025 spielt (das Jahr 2000 liegt 25 Jahre zurück), fragt man sich in der Rückschau also durchaus, wie genau man sich den Zeitablauf von Blancs Abenteuern vorzustellen hat.

Blendet man dieses Kontinuitätsproblem aber aus, ist Rätselhaftes Saint-Rémy alles in allem eine spannende und unterhaltsame Lektüre mit gut gezeichneten Figuren und einem Handlungsort, der ohnehin unschlagbar ist, so dass allein schon deshalb nicht nur Provencefans daran Vergnügen finden können.

Cay Rademacher: Rätselhaftes Saint-Rémy. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc. Köln, Dumont, 2025, 494 Seiten.
ISBN: 978-3-8321-6822-3


Genre: Roman