Wir haben das Dasein geübt

Gedichtbände gibt es viele, ebenso Kunstbücher und selbstverständlich auch Kombinationen aus beidem, aber selten gehen Texte und Bilder solch eine organische, zwingend anmutende Verbindung ein wie in Wir haben das Dasein geübt. Aus einem künstlerischen Dialog zwischen der Schriftstellerin Andrea Drumbl und dem Maler Paul Sägesser entstanden, ist das Buch nicht nur äußerlich ein wahres Schmuckstück, sondern auch in seinen vielfältigen Bezügen zwischen der Poesie der Worte und der, die in den um Collage-Elemente ergänzten und teils abstrakten, teils mit figürlichen Darstellungen arbeitenden Gemälden liegt, eine Kostbarkeit und etwas ganz Besonderes.

Foto: Auf beigefarbenem Hintergrund liegt das Buch "Wir haben das Dasein geübt" von Andrea Drumbl und Paul Sägewerk. Das hellgraue Leinencover zeigt neben Titel, Autorennamen und der Verlagsangabe "Scheidegger & Spiess" ein eingeprägt Leitermotiv in Schwarz, eine um die Mitte des Buchs verlaufende Schutzbanderole ein abstraktes Gemälde in Blau- und Grautönen.

Worum geht es nun in diesem in Paaren aus jeweils einem Gedicht und einem ihm gegenübergestellten Bild getanzten Reigen aus Sprache und Farbe? Gewiss auch um Begegnungen, wie der Untertitel verspricht, aber eigentlich schier um alles. Der Auftakt ist nach zwei bildlosen Fragen ein einleitendes Gedicht, das in seinem Sinnieren über Sprechen ohne Sprache und den Ort, den ein Gegensatz im Verhältnis zum Satz einnehmen mag, schon viel über Drumbls kluge Technik des Wörtlichnehmens von Ausdrücken und des dann doch wieder folgenden Abstrahierens oder Wendens ins Ungewöhnliche, Unerwartete verrät. Gegenübergestellt ist dem das eindringliche Bild einer dunklen, hell gerahmten Gestalt, in dem man wie hingeworfen auch Teile des zugehörigen Gedichts geschrieben finden kann – eine erste Mahnung, bei Sägessers Bildern immer gut hinzusehen und unter dem ersten Anschein auch die Feinheiten zu suchen, in denen sich oft die Rückbezüge auf die Texte verbergen.

Was folgt, sind in drei Kapiteln (Der Mond ist ein TierFische küssenUndine schreit nicht) angeordnete Gedicht- und Bildpaare, in denen bisweilen eben auch die Gemälde Textausschnitte enthalten oder umgekehrt die Lyrik durch typographische Kunstgriffe zur bildenden Kunst wird (wenn etwa die Form des Gedichts der einer Träne, die sein Thema ist, entspricht). Grenzen verschwimmen in diesem Buch aber nicht nur formal, sondern durchaus auch thematisch, einerseits durch die zahlreichen Verflechtungen der Gedichte untereinander, andererseits aber auch dadurch, dass die gebrauchten sprachlichen Bilder immer wieder jäh ins Unerwartete kippen und Menschliches, Phantastisches, der Natur Entnommenes, Mythisches und Gegenwärtiges eine unlösbare Verbindung eingehen.

Es geht um Kindheit, Liebe und Tod, die Härte aber auch die Zartheit des Daseins, das sich, wie immer deutlicher wird, anders, als der Titel suggeriert, gar nicht so gut üben und auch keinesfalls vollständig erlernen oder durchschauen lässt, sondern immer nur in behutsamen bis schonungslosen Annäherungen umkreist wird, ohne je seine Unberechenbarkeit und auch sein ebenso Wunderbares wie Verwunderliches zu verlieren. So findet man hier einen Lichtstrahl, der sich das Genick bricht, einen Februar, der unendlich sein kann, oder den drohenden Karfreitagstod, und Adam und Eva haben ebenso ihren Auftritt wie Sagen- und Märchengestalten, bevor in diese flirrende Welt des Fabulierens jäh das Zeitgeschehen in Form des Ukrainekriegs einbricht.

Gleichermaßen reich und tief sind Paul Sägessers Bilder, in denen etwa ein zerknitterter Nachtfalter, ein angebissener Apfel, eine warm gekleidete Frau oder ein verzerrtes Gitter deutlich umrissen ist, dann aber wieder ein unvollständiges Gesicht die nur begrenzte Erfassbarkeit von Welt und Leben empfindbar macht oder Linien und Farbfelder eher eine Stimmung, ein Gefühl, einen flüchtigen Gedanken evozieren, als einem klare Vorgaben beim Betrachten zu machen.

Auf bloße Gefälligkeit, dekorative Effekte oder ein leichtes Dahinlesen, respektive Dahinbetrachten, ist nichts davon angelegt, und so kommt zu der Zwiesprache zwischen Gedichten und Bildern noch eine weitere hinzu, die man selbst mit dem Buch hält, fragend, fordernd und anregend. Es lohnt sich.

Andrea Drumbl, Paul Sägesser: Wir haben das Dasein geübt. Begegnungen. Zürich, Scheidegger & Spiess, 2025, 144 Seiten.
ISBN: 978-3-03942-256-2


Genre: Anthologie, Kunst und Kultur
Illustrated by Paul Sägesser