Buchempfehlung: Winterhof

Als kleines Mädchen hatte die herzkranke Kora seltsame Träume von einer märchenhaften Eiswelt, doch als Erwachsene scheint sie nun selbst wie im Märchen zu leben. In dem fürsorglichen Ben hat sie den perfekten Partner gefunden, die quirligen Zwillinge Elin und Jonna machen das Glück der Eltern perfekt, und mit einer Fahrt ins idyllische Snjórley steht auch noch ein traumhafter Winterurlaub vor der Tür. Höhepunkt des Aufenthalts soll das berühmte Fest mit dem Auftritt der sagenumwobenen Schneekönigin werden. Doch was mit viel Spaß am anderswo selten gewordenen Schnee, vergnüglichen Ausflügen und winterlichen Leckerbissen beginnt, entwickelt sich für Kora rasch wortwörtlich zum Albtraum. Glaubt sie erst noch, dass sich die ins Schreckliche abgeglittene Wiederkehr ihrer Kindheitsphantasien nur in ihrem Kopf abspielt, wird nach und nach deutlich, dass nicht nur für sie selbst viel mehr auf dem Spiel steht als ihr Seelenfrieden …

Nach ihrem furiosen Debüt BRÏN ist Sameena Jehanzeb mit einem neuen Buch zurück. Winterhof ist düstere Fantasy, in der die gruselige und grausame Seite von Märchen im Vordergrund steht. Unter der glitzernden Oberfläche herrschen in Snjórley ebenso archaische wie eherne Gesetzmäßigkeiten, die nicht einmal vor Romanprotagonistinnen haltmachen. Wer an BRÏN also vor allem die optimistische Grundtendenz und die unverwüstliche Durchsetzungskraft der Heldinnen zu schätzen wusste, muss sich hier auf eine ganz andere Art von Geschichte gefasst machen, bei der das Mitfiebern oft eher zum Mitleiden wird. Das in Fantasyromanen um Parallelwelten oder unerkannte übernatürliche Aspekte unserer Wirklichkeit gängige Schema wird hier geradezu auf den Kopf gestellt. Entflieht sonst oft jemand dem eher eintönigen bis unersprießlichen Alltag in phantastische Sphären, ist der titelgebende Winterhof hier eine Bedrohung für ein eigentlich beneidenswert schönes Leben. Auch die Liebe wird nicht wie gewohnt in ihrer Entstehung verfolgt; vielmehr steht eine intakte Familie auf dem Spiel. Wie genau Koras Kampf darum ausgeht, soll hier natürlich nicht verraten werden, aber so viel sei gesagt: Der Verlauf ihres Abenteuers ist wahrlich nichts für schwache Nerven, und wer reine Wohlfühllektüre sucht, ist im schaurigen Snjórley auch an der falschen Stelle. Themen wie Krankheit und Tod oder auch die heikle moralische Frage, wie persönliche Integrität und das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen sind, spielen eine wichtige Rolle.

Dass dennoch reichlich Winterzauber aufkommt und die eisige Welt der Schneekönigin nicht nur in ihrer Kälte, sondern auch in ihrer oft befremdlichen Schönheit greifbar heraufbeschworen wird, ist über den Text hinaus der Buchgestaltung zu verdanken, die von der Autorin selbst stammt. Fast jedes der aus gutem Grund rückwärts gezählten Kapitel ist mit einer eindrucksvollen ganzseitigen Illustration versehen, und darüber hinaus sind Winterpalast, Eiskrone und Schneeflocken bzw. -wirbel wiederkehrende Elemente, die Abschnitte einleiten, Seitenzahlen flankieren oder Absätze trennen. Dieser liebevoll ausgearbeitete und bis ins Detail stimmige äußere Rahmen der Geschichte macht das Leseerlebnis zu etwas Besonderem und lässt einen das Buch auch dann noch gern durchblättern, wenn der kurze Roman, den man schnell verschlingt, schon vorüber ist. Allen, die Finsteres und Abgründiges zu schätzen wissen, sei der Ausflug nach Snjórley hiermit empfohlen.

Sameena Jehanzeb: Winterhof. Stockach, Zeilengold Verlag, 2018, 157 Seiten.
ISBN: 9783946955153