In meinen allgemeinen Bemerkungen zum Rezensieren habe ich einmal erklärt, dass nicht jedes Buch, das ich lese, auch auf Ardeija.de besprochen wird. Warum darunter auch manch eines ist, das inhaltlich eigentlich gut zu den anderen im Blog passen würde, soll hier rasch an einigen Beispielen aus meiner Lektüre der letzten Wochen erläutert werden.
Das erste unrezensierte Buch, Harry Sidebottoms militärhistorische Studie Der Krieg in der antiken Welt (ISBN 9783150203972), ist eigentlich lesenswert, geht es darin doch weniger ums schiere Hauen und Stechen als um die kulturelle Bedeutung des Kriegs für Selbst- und Fremdbild der Menschen des Altertums und für die Entwicklung bestimmter sozialer Phänomene, daneben aber auch um die moderne Rezeption antiker Kriege und mögliche Fehlannahmen darüber. Doch naturgemäß gibt es weitreichende thematische Überschneidungen mit Armin Eichs vor kurzem besprochenen Söhnen des Mars, die – umfangreicher und von der Perspektive her grundsätzlicher ausgerichtet – noch ein wenig mehr zu bieten haben. Nach der Betrachtung von Eichs Buch wäre eine tiefergehende Beschäftigung mit Sidebottoms Werk daher nicht sonderlich abwechslungsreich gewesen, und so ist es als kurzer Tipp am Rande besser aufgehoben.
Auch im Falle der beiden im 18. Jahrhundert angesiedelten Historienkrimis von Petra Oelker, Die Schwestern vom Roten Haus (ISBN 9783499246111) und Die Nacht des Schierlings (ISBN 9783499254390), ist es nicht im engeren Sinne eine Frage der Qualität, dass sie es nicht zu einer Rezension gebracht haben. Das Problem ist ein ganz anderes: Obwohl die beiden Romane als getrennte Episoden der auf relativ in sich abgeschlossene Einzelbände angelegten Serie um die Schauspielerin Rosina verkauft werden, gehören sie eng zusammen und können kaum getrennt gelesen oder besprochen werden. Fast hat man den Verdacht, dass hier – vielleicht von Verlagsseite? – aus Umfangsgründen eine einzige lange und verwickelte Geschichte mehr schlecht als recht in zwei Teile gespalten wurde, ohne den Zusammenhang äußerlich kenntlich zu machen. So aber bleiben in den Schwestern zentrale Fragen eines ganzen Handlungsstrangs ungeklärt, während in der Nacht das erst sehr spät eingeführte Mordmotiv wie ein deus oder vielmehr diabolus ex machina wirkt, wenn man das vorhergehende Buch nicht kennt, in dem die Grundlagen zum Verständnis des folgenden Falls geschaffen werden. Was also tun? Eine Doppelrezension für zwei zwar solide und unterhaltsame, aber auch nicht herausragende Krimis konzipieren oder aber ganz auf eine Besprechung verzichten? Ich habe mich für die zweite Variante entschieden.
Dagegen ist es Ari Turunens Kann mir bitte jemand das Wasser reichen? Eine kurze Geschichte der Arroganz (ISBN 9783312006717) zum Verhängnis geworden, dass jede Kritik unweigerlich zu einem halben Verriss geraten wäre. Das mochte ich dem Buch dann auch wieder nicht antun, denn im Prinzip ist Turunens Grundidee löblich: Er zeigt auf, dass viele katastrophale Fehlentscheidungen in der Geschichte und im heutigen Wirtschaftsleben auf Arroganz und Selbstüberschätzung zurückzuführen sind.
Problematisch daran ist jedoch, dass er ohne jegliche Quellenkritik Anekdoten als historische Wahrheit kolportiert oder schlicht falsche Feststellungen trifft. Am besten lässt sich sein sehr freier Umgang mit den Fakten veranschaulichen, wenn man seine Angaben über einen konkreten Vorfall mit dem vergleicht, was darüber tatsächlich in Erfahrung zu bringen ist. So liest man etwa bei Turunen mit Befremden: „Der spanische König Philipp II. verbrannte vor seinem Kamin, weil sein Hofstaat den Beamten, dessen Aufgabe es war, den Sessel des Königs zu verrücken, nicht schnell genug fand.“
Eine Quelle für diese wilde Geschichte gibt Turunen nicht an, aber der Bericht, der ihn inspiriert haben dürfte, hat Philipp III. (und nicht etwa seinen Vater) zum Protagonisten und findet sich in den Memoiren des François de Bassompierre, der aus seiner Perspektive als französischer Gesandter am spanischen Hof die dortige Besessenheit von Etikette und Rangfolgen karikiert. Doch bei allem unterschwelligen Spott über die spanischen Gebräuche stellt Bassompierre den Sachverhalt nicht ganz so dramatisch dar: Hier fordert der gesundheitlich bereits schwer angeschlagene König einen anwesenden Herzog auf, ein Kohlenbecken zu verschieben, dessen Hitze ihm lästig wird, woraufhin der Angesprochene auf die Zuständigkeit eines anderen verweist, der erst umständlich herbeigeholt wird. Die lange Wärmeeinwirkung wird als Grund dafür angegeben, dass sich beim König am Folgetag Fieber und Hautausschlag entwickeln, denen er letzten Endes erliegt.
Sollte es sich tatsächlich so zugetragen haben, bietet auch diese Version noch reichlich Anlass zu Kritik an den Zwängen des Hofzeremoniells und am individuellen Verhalten Beteiligter, aber von der Schauermär über einen aus reinem Hochmut in Flammen aufgegangenen Herrscher ist sie weit entfernt.
Die Versuchung, auch andere Aussagen Turunens ähnlich auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen, wäre bei einer Rezension sehr groß gewesen, und hätte vielleicht auch in Eifer des Gefechts zu mehr Spott verleitet, als ihn das eigentlich gut gemeinte und immerhin anregend und flüssig geschriebene Buch verdient hätte.
So bleibt allen vier Werken also auf Ardeija.de nur die Rolle, vor Augen zu führen, welche Überlegungen einer Besprechung im Wege stehen können.