Lesestoff: Drachenjagd

Der heutige Lesestoff-Beitrag ist ein Ausschnitt aus meinem Roman Tricontium (S. 304-305) und führt in ein Wachhaus in den Steinbrüchen von Mons Arbuini. Ardeija muss bei einem Besuch dort etwas Wartezeit überbrücken und kommt mit einer Schreiberin ins Gespräch über seinen kleinen Drachen Gjuki.

Drachenjagd

Ardeija blieb stehen, während sie warteten, und sah Gjuki zu, der unverdrossen den Raum erkundete und mit einem entzückten Zirpen einen der Stützpfeiler hinaufschoss, als er entdeckte, dass es hier zwischen den Dachbalken kleine Feuerkobolde gab, denen man herrlich nachjagen konnte.

Bertradas Augen folgten Gjuki, obwohl sie damit befasst war, ihre Feder zu spitzen. »Wie kommt man eigentlich zu einem Drachen? Mir ist noch niemand außer Euch begegnet, der einen zahmen hat, und es heißt, man müsse viel Glück haben, um einen zu finden.«

Ein Kobold huschte die Wand herunter und verschwand schimpfend in der Nacht.

»Ich habe ihn nicht gefunden. Er hat mich gefunden. Er ist aus einem Baum gefallen. Auf mich. Und dann wollte er mein Hemd nicht wieder loslassen.« Der Gedanke an das winzige, wenngleich schon mit erstaunlich kräftigen Krallen bewehrte Wesen, das Gjuki damals gewesen war, brachte ihn zum Lächeln. »Ich konnte kein Nest finden, in das er hätte gehören können. Da habe ich ihn mitgenommen.«

Mehr musste diese neugierige Frau nicht wissen. Es ging sie nichts an, wie sehr Gjuki erst gejammert hatte, um dann endlich zu begreifen, dass ihm die große Hand, die ihn nach einigen Versuchen doch noch losbekommen hatte, nichts Böses wollte. Als er beruhigt und vertrauensvoll ein zartes Schwänzchen um Ardeijas Daumen geschlungen hatte, war ihre Freundschaft beschlossene Sache gewesen.

»Und er hat nicht gebissen und sich gewehrt?« Die Schreiberin verstand offensichtlich noch viel weniger von Drachen als Frau Herrad.

Ardeija lachte dem grünen Schatten zu, der eben über seinem Kopf vorbeikam. »Nein. Er weiß, wer es gut mit ihm meint und wer nicht.«

»Tatsächlich? Dann hat er den Menschen etwas voraus. Ein solches Wissen muss einem das Leben sehr erleichtern.« Ein Schriftstück glitt ihr aus der Hand; sie sammelte es rasch wieder auf.

»Wahrscheinlich.« Ardeija schob die Hände unter den Mantel, um sie zu wärmen, und fragte sich im Stillen, ob einen das Wissen darum, wie die Menschen es mit einem meinten, nicht auch reichlich hoffnungslos machen konnte, wenn man kein kleiner Drache war, der naturgemäß äußerst wenige Feinde hatte.