Lesestoff: Im Feuerschein

Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich im Blog den letzten Mittwochslesestoff gepostet habe – höchste Zeit also, das zu ändern! Heute gibt es deshalb aus meinem neuen Roman Der Torfschuppenmord einen Ausschnitt zu lesen, in dem am Feuer linguistische Feinheiten diskutiert und nebenbei Sperlingsgreifen gefüttert werden.

Im Feuerschein
(Der Torfschuppenmord, S. 214-216)

»Mir ist etwas aufgefallen«, sagte Mathilde, geborgen am Feuer im Winterdunkel, gut einen Monat, nachdem Gorm in die Dienste der Vögtin von Aquae getreten war. »Ich spreche deinen Namen schon all die Jahre falsch aus, nicht wahr?«

»Tust du das?«, fragte Ivar, ganz damit beschäftigt, etwas zu knusprig gebratenen Speck an die Sperlingsgreifen zu verfüttern, die im Gebälk des Küchenhauses wohnten. Drei von ihnen huschten gerade um seine Füße, kleine katzenartige Leiber mit tanzenden Schwänzchen, Vogelköpfen und flatternden Flügeln, goldbraun im Schein des fast niedergebrannten Feuers.

Es war schon spät an diesem letzten Januarabend, zu spät für ein anständiges Abendessen an der Tafel der Vögtin oben in der großen Halle, aber nicht zu spät, um sich in der Küche ein paar Reste zu teilen, und ebendas taten Justas Schwertmeisterin und ihr bester Spion auf einer Bank, auf der sie nach langen, harten Tagen schon oft nebeneinandergesessen hatten. Nun neigte ihr formloses Mahl sich allerdings dem Ende zu.

»Das frage ich mich, seit dein Bruder nach Aquae gekommen ist, denn er weiß ja wohl, wie man deinen Namen ausspricht«, erklärte Mathilde, ungerührt von Ivars fragendem Blick, den andere schon durchdringend, wenn nicht gar verstörend genannt hatten. Für sie dagegen waren seinen Augen nie etwas anderes als meerblau und angenehm klug gewesen, und sie freute sich, jetzt etwas Heiterkeit darin funkeln zu sehen.

»Sich auf Gorms Wissen zu verlassen, ist verdammt gefährlich.«

»Vielleicht.« Mathilde trank einen letzten Schluck Tee. »Aber wenn er nach dir ruft, hängt er mindestens ein ›R‹, wenn nicht noch mehr, an deinen Namen. Für ihn bist du eindeutig ein ›Ivarr‹.«

»Das ist wahr.« Ivar lehnte sich zurück und betrachtete in aller Ruhe einen kleinen Greifen, der mutig genug war, sich genau vor seine linke Stiefelspitze zu setzen, und gewiss auf weitere Köstlichkeiten hoffte. »Aber ich mag eigentlich lieber, wie es klingt, wenn einer es hier im Süden sagt. Ein bisschen wärmer und weicher, als würde man jemanden bei Feuerschein und nicht im Tageslicht betrachten.«

Ein Lächeln drohte auf Mathildes Gesicht zu treten, und sie unterdrückte es rasch, damit er nicht glaubte, dass sie ihn für seine Überlegungen auslachte, die doch nur auch alles in ihr hatten warm und weich werden lassen. »Wirklich?«

Ein Nicken. »Außerdem vergisst du schon die ganze Zeit über eines. Ich habe dir damals meinen Namen genannt.«

»Das hast du«, räumte Mathilde ein.

Ivar warf das letzte Stück Speck dem furchtlosen Sperlingsgreifen zu, in dessen Schnabel es blitzschnell verschwand. »Victorinus hat ihn so ausgesprochen«, setzte er hinzu.

Und das war wohl wichtiger als alles andere, denn es kam immer sehr darauf an, wie genau der entlaufene Mönch allerlei Dinge getan hatte. Er war es schließlich gewesen, der einem schmächtigen kleinen Jungen liebevoll eine ganz andere Welt aufgeschlossen hatte, als er ihn Lesen und Schreiben und Latein gelehrt hatte. Das wäre unter allen Umständen viel wert gewesen, aber einem, dessen größte Begabung nie im Umgang mit Streitaxt und Schwert gelegen hatte, bedeutete es wohl noch mehr als jedem anderen, gerade, wenn er über einen Verstand verfügte, der scharf wie eine Klinge war und gebraucht sein wollte. Daran war kaum etwas Weiches und Warmes, außer eben, wenn Victorinus Erwähnung fand, der besser auf ein gewisses Kind einzugehen gewusst hatte als dessen eigener Vater, für den Gorm der wohlgeratene Sohn gewesen war, wenn niedliche kleine Tiere wie die Sperlingsgreifen es hervorlockten oder wenn Ivar Mathilde anschaute, wie er es jetzt tat.

Sie schwieg, während die Greifen nach und nach zu dem Schluss kamen, dass hier nichts mehr zu holen war, und fort in ihre Verstecke huschten.

Ivar betrachtete sie weiter, und in seiner Stimme lag ein Lächeln, als er hinzusetzte: »Vor allem aber hast du ihn vom ersten Tag an so ausgesprochen, und ich möchte ihn von dir gar nicht anders hören.«

»Dann bleibt es bei ›Ivar‹«, versprach Mathilde, und als sie die Schultern aneinanderlehnten und in friedlichem Schweigen die letzten Flammen betrachteten, erschien es ihr sehr richtig, dass er für sie Ivar im Feuerschein bleiben sollte.

Informationen über meine Romane und Geschichten und eine weitere Leseprobe aus dem Torfschuppenmord finden sich hier.