Lesestoff: Mäusegeist

Ich habe schon lange keinen Lesestoff-Beitrag mehr auf Ardeija.de veröffentlicht, deshalb wird es höchste Zeit, heute mit einem kleinen Ausschnitt aus dem Roman Die Teeräuber (S. 424). Diesmal geht es auf die Burg von Aquae Calicis, denn dort hat Wulfila sich nach einem dienstlichen Aufenthalt im Kerker gewissermaßen einen blinden Passagier eingefangen.

Zusätzlich zum Text gibt es heute auch noch ein Bild, denn die Zeichnung, die Jennifer S. Lange (JSL-Art) vor kurzem von Wulfila angefertigt hat, ist viel zu schön geworden, als dass ich sie für mich behalten könnte.

Zeichnung "Wulfila" von Jennifer S. Lange

© Jennifer S. Lange, http://www.jsl-art.de/


Mäusegeist

Die Wolken rissen auf, als Wulfila aus der Unterwelt auf den Burghof hinauskam, und einen hellen, wohltuenden Augenblick lang schien die Sonne, bevor das Wetter sich besann und in die der Jahreszeit angemessene Tristheit zurückkehrte. Dieses Licht an einem ansonsten trüben Tag war für ihn so bemerkenswert, dass es das Erste war, wovon er Herrad und den anderen später im Praetorium erzählte.

Es war auch dieses Licht, in das der Mäusegeist voller Behagen sein zuckendes Schnäuzchen reckte, als würden Gespenster nicht in die Nachtstunden oder in die Finsternis eines Kellerlochs gehören. Und einen Geist, der sich sonnen wollte, konnte man doch nicht guten Gewissens wieder ins Verlies hinunterschicken, zumal, wenn einem der Gedanke kam, dass seinem jetzigen Dasein vielleicht kein sehr schönes Mäuseleben vorangegangen war. Die kleinen dunklen Augen in dem nebelzarten Gesicht konnten einen sehr bittend ansehen, aber auch mit einem Schlag vergnügt funkeln, wenn man den Vorschlag machte, das anhängliche Gespenst nachher mit in eine Küche voller Speck, Käse und Nüsse zu nehmen, vorausgesetzt, es sei bereit, ein wenig unter den lebenden Mäusen zu spuken, um sie von den Vorräten fernzuhalten.

So blieb die rauchfeine Erinnerung an weichen Pelz, huschende Füßchen und Wärme irgendwie an seinen Kleidern hängen, als Wulfila ging, um der Welt mitzuteilen, dass er ausgesprochen unzufrieden mit ihr war.


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