Lesestoff: Torfschuppen

Der letzte Mittwochslesestoff liegt nun auch schon wieder ein paar Monate zurück – höchste Zeit also für einen neuen Buchausschnitt, diesmal aus meinem Roman Der Torfschuppenmord, da für den weiteren Verlauf des Jahres eine Fortsetzung dazu, in der Ivar die Hauptrolle spielt, geplant ist.

Hier allerdings geht es erst einmal um die Ereignisse unmittelbar im Vorfeld des titelgebenden Torfschuppenmords.

Torfschuppen
(Der Torfschuppenmord, S. 64-67)

Zur Arbeit im Torfschuppen mit seinen durchbrochenen Wänden abgestellt zu werden, war eine Vergünstigung, die zur Belohnung für Wohlverhalten gewährt wurde. Ivar hatte nichts getan, um sie sich zu verdienen, aber der Taschendieb aus dem Hafenviertel, der eigentlich in ihren Genuss kommen sollte, brachte sich selbst darum, indem er seinem Nebenmann aus Gründen, die nur den beiden erklärlich waren, noch auf dem Bohlenweg durchs Moor einen Fausthieb ins Gesicht versetzte.

Bardulf, der die Wachen hier draußen befehligte, zog ihm dafür eins mit dem Stock über und fluchte sehr, weil er sich nun kurzfristig nach Ersatz umsehen musste und die ganze sorgfältige Zuordnung der Gefangenen durcheinandergeraten würde. Am Trockenplatz angekommen, von dem aus die Leute auf die einzelnen Torfstiche verteilt wurden, schimpfte er noch ein bisschen weiter, spuckte aus und sah am Ende Ivar an, der in seiner Zeit hier immerhin nicht sonderlich unangenehm aufgefallen war und zudem etwas vom Torfstechen verstand; das konnte nicht schaden, wenn man jemanden haben wollte, der die vorgetrockneten Torfsoden vernünftig aufschichtete und nicht zu lange dafür brauchte.

»He, du«, sagte Bardulf also, da er sich keine Namen merkte, und wenn doch, dann wohl nur die von bedeutenden Leuten, etwa von ihm selbst an aufwärts, »du weißt doch, wie das im Schuppen geht, oder?«

Ivar nickte rasch, einmal, weil es der Wahrheit entsprach, vor allem aber auch, weil es um einiges besser war als die elende Plackerei in den Torfstichen und Gräben. Da der Tag heiß zu werden versprach, war ihm auch das schattenspendende Dach hochwillkommen, und im Halbdunkel darunter würden ihn vielleicht auch endlich einmal weniger Mücken finden als anderswo. So meinte er, großes Glück zu haben, und nahm bereitwillig den Platz ein, an dem er, wie sich bald herausstellen sollte, schlechter aufgehoben war als jeder andere außer Bolli.

Der Ablauf war einfach: Mehrere Leute trugen im Wechsel die Torfsoden herbei und gaben sie an Bolli weiter, der im Eingang des Torfschuppens stand und die bequeme Aufgabe hatte, sie dem Mann darin zuzureichen, der sie dann einlagern musste. Dass es dem Richtermörder vergleichsweise gut erging, entsprach gewiss nicht dem, was der Markgraf ihm zugedacht hatte, und einen kräftigen Hünen wie ihn hätte man nun wirklich anders beschäftigen können als an einer Stelle, an der notfalls auch ein Kind hätte stehen können. Aber in einem gewissen Wigram hatte Bolli einen Freund unter den Wachen, der sich für ihn einsetzte, wann immer es ging, und die anderen bis hinauf zu Bardulf hatten Angst vor ihm. Es ging das Gerücht, Bollis Angehörige würden ihn schon irgendwie freikaufen, und wenn das nicht geschehe, würde er sicher anders zu entkommen wissen. Wie er Vergeltung übte, wenn er einen nicht mochte, hatte sich ja an Arnefrid gezeigt, den er mit der Axt erschlagen hatte, nachdem der Mann ihn für einen dreisten Strandraub zu einer Buße verurteilt hatte, die er zwar gezahlt, aber offenkundig für zu hoch gehalten hatte. Um seiner künftigen Rache zu entgehen, fasste man ihn daher sanfter an als seine weniger gefährlichen Mitgefangenen, und er wusste sehr genau, wie viel mehr er sich herausnehmen durfte.

Bolli maß den schmächtigen Ivar verächtlich mit einem Blick von oben bis unten und sagte dann zu Bardulf: »Ist das Euer Ernst? Mit dem Wicht werden wir heute kaum vorankommen.«

Da er eben Bolli war, erwiderte niemand etwas darauf, aber er hatte genau das Richtige gesagt, um selbst mehr ins Schwitzen zu kommen, als er es wohl geplant hatte. Wenn eine Kindheit an Gorms Seite eines bei Ivar bewirkt hatte, dann, dass die Behauptung, er wäre für irgendeine Aufgabe zu schwach, zu klein oder sonst nicht geeignet, das schnellste Mittel war, sie ihn besser als gut erledigen zu lassen.

Der Winkel seines Verstandes, in dem seine Vernunft hauste, sagte ihm zwar, dass es keinen Sinn hatte, sich hier besonders anzustrengen und mehr als unbedingt nötig zu tun, aber sein nach den Wochen in Corvisium und hier ohnehin wunder Stolz war stärker, und wie man mit den Torfsoden verfahren musste, wusste er. Darum ging er verbissen daran, so rasch und gründlich zu tun, was von ihm erwartet wurde, dass sogar seine ewig unzufriedene Großmutter, Gott habe sie unselig, beeindruckt gewesen wäre, und achtete auf wenig anderes. Vielleicht hätte er sonst früher bemerkt, dass etwas nicht war, wie es sein sollte, vielleicht auch nicht; ein Knarren im Holz allein überhörte man gern, auch wenn man nicht damit beschäftigt war, sich heimlich zu freuen, dass Bolli derjenige war, der sich beeilen musste, um mitzuhalten, und nicht umgekehrt.

Seltsamerweise verärgerte das den Mörder aber kein bisschen, sei es nun, dass er Ivar keine bösen Absichten unterstellte oder dass es ihm ein gewisses Maß an Achtung abnötigte, dass jemand hier sich nicht von ihm einschüchtern ließ, wenn auch nur auf sehr stille Art.

»Du bist tüchtig«, sagte er nach einer Weile sogar anerkennend. Wenn er geahnt hätte, dass das seine letzten Worte werden sollten, hätte er vielleicht andere gewählt.


Informationen über meine Romane und Geschichten und eine weitere Leseprobe aus dem Torfschuppenmord finden sich hier.