Von allen Nomaden, die als Zeitgenossen der antiken Griechen Eurasien bevölkerten, haben sich die Skythen den höchsten Bekanntheitsgrad bewahrt – ein erstaunliches Faktum, wenn man bedenkt, dass sie selbst schriftlos waren und man ihre vom 8. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. fassbare Geschichte nur ansatzweise aus Nachrichten Außenstehender rekonstruieren kann. Zu ihrer bis heute andauernden Popularität tragen in erheblichem Maße aber auch die eindrucksvollen Funde aus ihren Kurganen (Grabhügeln) bei.
Dabei ist der Begriff „Skythen“ sowohl in der Antike als auch in der modernen Forschung mehrdeutig. Bezeichnet er einerseits eine spezifische Ethnie nördlich des Schwarzen Meers, über deren Lebensweise wir relativ umfassend informiert sind, wird er andererseits oft auch auf eine ganze Reihe von Völkern im eurasischen Steppengürtel ausgedehnt. Sauromaten, Massageten, Saken, Issedonen und noch manch andere pflegten die gleiche materielle Kultur wie die eigentlichen Skythen, unterschieden sich aber in Rechtsverständnis und Sozialstruktur teilweise stark von ihnen (z.B., was die jeweilige Stellung von Mann und Frau betraf). Die Schriftquellen in Deckung mit den archäologischen Funden zu bringen, ist nicht immer ganz einfach (etwa hinsichtlich der geographischen Verortung einzelner Siedlungsgebiete).
Hermann Parzinger macht das Beste aus dieser komplizierten Gemengelage. Nach einer für den begrenzten Rahmen des Buchs ausführlichen Vorstellung der historiographischen Quellen behandelt er zunächst die unter dem weitgefassten Skythenbegriff subsumierten Kulturen Sibiriens und Mittelasiens, bevor er ausführlich auf die eigentlichen (Schwarzmeer-)Skythen eingeht, über die sich, unter anderem dank Herodot, die genauesten Aussagen zu Wirtschaftsformen, Gesellschaft, Religion und Begräbnisriten treffen lassen. Ein kurzer Ausblick befasst sich mit dem skythischen Einfluss am Ostrand Mitteleuropas.
So entsteht ein spannendes Bild einer faszinierenden, wenn auch aus heutiger Sicht teilweise sehr fremden Lebenswelt, deren Bräuche Totenfolge und blutige Opferriten aller Art einschlossen, die aber zugleich auch Kontakte nach Griechenland, Persien und China unterhielt und mit ihrem charakteristischen Tierstil eine Kunst hervorbrachte, die zeitlos lebendig und ansprechend wirkt.
Einige Teile des Inhalts werden allen bekannt vorkommen, die schon Die frühen Völker Eurasiens aus der Feder desselben Autors gelesen haben, denn Die Skythen bieten in vielen Fällen eine verkürzte Variante von Fundbeschreibungen, die schon im umfangreicheren Buch Verwendung gefunden haben. Auch die Interpretationen sind im vorliegenden Werk entsprechend komprimiert und oft auch – wohl der breiteren Zielgruppe angepasst – vereinfacht und vereindeutigt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beschreibung der Doppelbestattung aus dem Kurgan II von Pazyryk, bei der hier konventionell der offenbar gewaltsam umgekommene Mann als fürstlicher Grabherr dargestellt wird, dem die Frau (deren Todesursache unklar ist) im Rahmen des auch literarisch belegten Totenfolgebrauchs beigegeben wurde. In den Frühen Völkern Eurasiens wird dagegen zusätzlich die Möglichkeit diskutiert, dass für eine eines natürlichen Todes gestorbene hochgestellte Frau ein niederrangiger Mann als Grabbeigabe getötet worden sein könnte. Die Verengung auf die gewissermaßen klassische der beiden Alternativen ist angesichts der Kürze des Buchs verständlich, suggeriert aber natürlich auch eine Eindeutigkeit des Befunds, die vielleicht gar nicht gegeben ist.
Karten, Rekonstruktionen und Fundzeichnungen runden den kompakten Band ab. Auf Fotos wurde dagegen leider abgesehen von der Coverabbildung verzichtet; sie hätten noch eine sinnvolle Ergänzung bilden können, bestechen doch viele skythische Funde (ob nun die Werke der Goldschmiedekunst oder die im Dauerfrostboden erhaltenen Textilien und Holzschnitzereien) vor allem durch ihr Material und ihre Farbenpracht.
Doch auch ohne die Unterstützung solcher Bilder versteht Parzinger die Faszination der skythischen Kultur greifbar zu machen, und wer nach der Lektüre dieser gelungenen Einführung neugierig geworden ist, findet in den knappen Literaturhinweisen gute Anregungen für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema.
Hermann Parzinger: Die Skythen. München. C. H. Beck, 3. Aufl. 2009, 128 Seiten.
ISBN: 9783406508424