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Return of the Thief

Stumm und gehbehindert wächst der Junge Pheris als ungeliebtes Kind einer Adelsfamilie im Königreich Attolia auf. Doch als König Eugenides von Pheris‘ Großvater, dem oft in Opposition zur Krone stehenden Baron Erondites, verlangt, seinen Erben am Hof erziehen zu lassen, schickt Erondites nicht seinen designierten Nachfolger Juridius, sondern Pheris dorthin. Alle rechnen damit, dass der vermeintliche Tölpel Pheris sich unbeliebt machen wird und vielleicht sogar aus dem Weg geräumt werden kann. Doch der ehemalige Dieb Eugenides hat nach wie vor ein Auge für besondere Menschen und fördert Pheris nach Kräften. Allerdings kann er nicht verhindern, dass sein Schützling immer tiefer in bedrohliche Hofintrigen gerät, und hat ohnehin andere Sorgen: Das mächtige Mederreich zieht nach zahlreichen diplomatischen Misserfolgen in einen Eroberungskrieg gegen Attolia und seine Nachbarstaaten, und eine Prophezeiung sagt Eugenides Böses voraus …

Mit Return of the Thief schließt Megan Whalen Turner ihre sechsbändige Reihe The Queen’s Thief ab. Erstmals bricht sie dabei mit dem Konzept, dass man die Bände prinzipiell auch unabhängig voneinander lesen kann: Um diesen Roman wirklich zu verstehen, sollte man mindestens Band 3 (The King of Attolia) und Band 5 (Thick as Thieves) gelesen haben, am besten aber wohl die komplette Geschichte. Das Buch, das teilweise zeitlich parallel zu Thick as Thieves spielt, lässt nicht nur manche vorausgegangene Geschehnisse in neuem Licht erscheinen, sondern erwähnt auch nicht jedes bereits angelegte Weltenbaudetail, das für die Handlung wichtig wird, so etwa den Umstand, dass der Gott der Diebe seinem Auserwählten Eugenides zugesichert hat, ihn nie bei einem Sturz ernsthaft zu Schaden kommen zu lassen.

Einige alte Stärken der Serie behält der Abschlussband bei: So tritt mit Pheris ein neuer unzuverlässiger Ich-Erzähler auf den Plan, der schon in seinem Vorwort zugibt, wie ein antiker Geschichtsschreiber vorzugehen und auch schon einmal Dialoge zu erfinden, wenn sie ihm passend erscheinen. Wie viele von Turners Helden ist er ein Außenseiter, der es im Leben nicht einfach hat und am Ende doch seinen Weg macht. Liebgewonnene Charaktere (und verhasste Schurken) aus den vorherigen Bänden treten noch einmal auf. Auch die reizvolle Welt, die das Griechenland des Altertums mit Eigenheiten der Frühen Neuzeit verbindet, ist so fabulierfreudig und gekonnt ausgemalt wie gewohnt. Diesmal liefern die Perserkriege die historische Inspiration für das Grundgerüst der Handlung, auch wenn an den Thermopylen – pardon, am Leonyla-Pass – nicht alles so abläuft wie vielleicht zu erwarten.

Der Grundtonfall des Romans ist jedoch trotz einzelner humorvoller Szenen deutlich ernster und bedrückender als in den bisherigen Teilen, und das nicht nur, weil mit Pheris ein ohnehin schon leidendes Kind immer wieder Misshandlungen und Todesangst ausgesetzt ist. Vielmehr nimmt die düstere Komponente, die bei Turner schon immer im Hintergrund mitgeschwungen hat, hier breiteren Raum als je zuvor ein. Gerade nach dem trotz aller geschilderten Härten sehr amüsanten unmittelbaren Vorgängerband, der im Prinzip ein Loblied auf Abenteuerlust und Freundschaft darstellt, nimmt man den Stimmungsumschwung hier besonders wahr und hat das Gefühl, dass Turner ihre Protagonisten bewusst die ganze Zeit über am Rande der Katastrophe entlangführt und manchmal auch darüber hinausschiebt.

Die Dominanz des Verstörenden beschränkt sich dabei nicht auf Äußerlichkeiten wie die drastisch ausgemalte Sterbeszene einer ambivalenten Gestalt. Vielmehr steht die Frage im Raum, ob Eugenides selbst die Gunst der Götter (die hier, etwa in Form eines Heilwunders, manchmal zu dick aufgetragen wirkt) dadurch zu verspielen droht, dass er nach allen ernüchternden Erfahrungen als Herrscher seiner skrupellosen Seite den Vorrang vor seiner Menschlichkeit einräumt. Doch nicht nur er ist Täter und Opfer zugleich: Auch der Erzähler Pheris ist, so mitleiderregend er auch auf den ersten Blick erscheinen mag, nicht unschuldig, sondern zu Schrecklichem fähig.

So ist es alles in allem ein nachdenklicher und durchaus würdiger Abschluss, den Megan Whalen Turner für The Queen’s Thief findet, andererseits aber auch einer, der einen ganz froh sein lässt, dass die Reihe nun nicht mehr fortgesetzt wird, da ein noch weiterer Abstieg in die Dunkelheit der Geschichte sicher nicht guttäte.

Megan Whalen Turner: Return of the Thief. New York, Greenwillow Books (HarperCollins),464 Seiten.
ISBN: 978-0-06-287447-4

 


Genre: Roman

Thick as Thieves

Als Sklave des medischen Aristokraten Nahuseresh, der als Gesandter in Attolia auf ganzer Linie gescheitert ist, muss der hochgebildete Kamet die unvorhersehbaren Launen seines Herrn und nicht selten auch körperliche Misshandlungen ertragen. Dennoch ist er alles andere als begeistert, als ein attolischer Soldat ihm vorschlägt, ihn zu befreien und mit in seine Heimat zu nehmen. Als Sklave am Herrscherhof des mächtigen Mederreichs einen begrenzten Einfluss zu haben, ist aus seiner Sicht immer noch ersprießlicher, als zwar frei, aber unter Barbaren in der Fremde hausen zu müssen. Die Nachricht, dass Nahuseresh vergiftet wurde und seine Dienerschaft nun unter Mordverdacht steht, zwingt ihn bald darauf, das unwillkommene Angebot doch noch anzunehmen. Da Kamets Flucht nicht unbemerkt bleibt, wird die Reise in die Freiheit zu einem wilden Abenteuer, in dem nicht nur von den Elitetruppen des Mederreichs Gefahr droht, sondern auch von Löwen, Banditen und Verrätern – ganz zu schweigen davon, dass keiner der beiden gegensätzlichen Gefährten die ganze Wahrheit über die Hintergründe der Geschehnisse kennt, in die sie verwickelt werden …

Mit Thick as Thieves kehrt Megan Whalen Turner in die an den östlichen Mittelmeerraum angelehnte Welt ihrer Reihe The Queen’s Thief (auf Deutsch als Die Legenden von Attolia erschienen) zurück und macht mit Kamet eine Nebenfigur aus einem der früheren Bände zum Protagonisten und Ich-Erzähler. Der neue Roman lässt sich aber durchaus auch unabhängig von den Vorgängerwerken lesen, auch wenn manche Zusammenhänge (wie etwa die Identität des von Kamet stets nur als „the Attolian“ beschriebenen Mannes) einem bei Vorkenntnissen aus den anderen Teilen sehr viel schneller klarwerden.

Zwar greift die Autorin mit der Form des Reiseabenteuers, der Thematisierung unverhofften göttlichen Eingreifens und der differenzierten Behandlung der Sklavereiproblematik wieder einmal Elemente auf, die ihr schon seit Beginn der Reihe erkennbar besonders am Herzen liegen, doch abgesehen davon nimmt sie hier geographisch wie inhaltlich wesentliche Erweiterungen vor. Man lernt nicht nur das sonst bisher als feindliche Entität eher vage umrissene Mederreich aus der Innensicht kennen, sondern erhält auch erste Hinweise auf die politischen Verhältnisse im nördlich und westlich gelegenen Pseudoeuropa. Vor allem aber tut es der Geschichte gut, dass der wie gewohnt schier übermächtige attolische Herrscher Eugenides hier überwiegend im Hintergrund agiert und anderen die Bühne überlässt. Mit dem (nicht unbedingt im übertragenen Sinne) kurzsichtigen, wenig kämpferischen und von kultureller Arroganz ebenso wie von langen Sklavenjahren geprägten Kamet steht ein sehr unwahrscheinlicher Held im Mittelpunkt. Wie er ganz allmählich hinzulernt und nicht nur zu sich selbst findet, sondern sich auch mit seinem attolischen Gefährten zusammenrauft, liest sich spannend, oft anrührend und stellenweise auch wunderbar komisch.

Am meisten Spaß macht es aber wie immer bei Turner, den Quellen nachzuspüren, aus denen sie schöpft. Stand bisher die griechische Mythologie Pate für ihre fiktiven Sagen, so ist hier das Gilgamesch-Epos der hauptsächliche und kongenial genutzte Ideengeber, wie überhaupt das Mederreich dem alten Mesopotamien nachgebildet ist. Bestimmte Details (wie etwa die berühmten Stadtmauern von Babylon) sind sogar beinahe unverändert aus der Realität an die imaginierten Orte übertragen. Der Reiseweg, den ihr Protagonistenduo beschreitet, ist eindeutig von Xenophons Anabasis angeregt, und die aus dem Philogelos entnommenen Scherze, die der Attolier Kamet mit mäßigem Erfolg erzählt, sind eigentlich schon ein Plagiat, da sie fast wortwörtlich ihren Vorbildern in der antiken Witzesammlung entsprechen. Darüber, ob Kamet selbst sich in manchen Zügen an Bagoas in Mary Renaults The Persian Boy (dt. Ein Weltreich zu erobern) anlehnt, kann man dagegen nur spekulieren; möglich ist es immerhin.

Alle Fans historisch inspirierter Fantasy oder auch einfach nur schöner Freundschaftsgeschichten mit vielschichtigen Charakteren können also mit der Lektüre gar nichts falsch machen.

Megan Whalen Turner: Thick as Thieves. New York, Greenwillow Books (HarperCollins), 2017, 369 Seiten.
ISBN: 9780062568267


Genre: Roman