Thick as Thieves

Als Sklave des medischen Aristokraten Nahuseresh, der als Gesandter in Attolia auf ganzer Linie gescheitert ist, muss der hochgebildete Kamet die unvorhersehbaren Launen seines Herrn und nicht selten auch körperliche Misshandlungen ertragen. Dennoch ist er alles andere als begeistert, als ein attolischer Soldat ihm vorschlägt, ihn zu befreien und mit in seine Heimat zu nehmen. Als Sklave am Herrscherhof des mächtigen Mederreichs einen begrenzten Einfluss zu haben, ist aus seiner Sicht immer noch ersprießlicher, als zwar frei, aber unter Barbaren in der Fremde hausen zu müssen. Die Nachricht, dass Nahuseresh vergiftet wurde und seine Dienerschaft nun unter Mordverdacht steht, zwingt ihn bald darauf, das unwillkommene Angebot doch noch anzunehmen. Da Kamets Flucht nicht unbemerkt bleibt, wird die Reise in die Freiheit zu einem wilden Abenteuer, in dem nicht nur von den Elitetruppen des Mederreichs Gefahr droht, sondern auch von Löwen, Banditen und Verrätern – ganz zu schweigen davon, dass keiner der beiden gegensätzlichen Gefährten die ganze Wahrheit über die Hintergründe der Geschehnisse kennt, in die sie verwickelt werden …

Mit Thick as Thieves kehrt Megan Whalen Turner in die an den östlichen Mittelmeerraum angelehnte Welt ihrer Reihe The Queen’s Thief (auf Deutsch als Die Legenden von Attolia erschienen) zurück und macht mit Kamet eine Nebenfigur aus einem der früheren Bände zum Protagonisten und Ich-Erzähler. Der neue Roman lässt sich aber durchaus auch unabhängig von den Vorgängerwerken lesen, auch wenn manche Zusammenhänge (wie etwa die Identität des von Kamet stets nur als „the Attolian“ beschriebenen Mannes) einem bei Vorkenntnissen aus den anderen Teilen sehr viel schneller klarwerden.

Zwar greift die Autorin mit der Form des Reiseabenteuers, der Thematisierung unverhofften göttlichen Eingreifens und der differenzierten Behandlung der Sklavereiproblematik wieder einmal Elemente auf, die ihr schon seit Beginn der Reihe erkennbar besonders am Herzen liegen, doch abgesehen davon nimmt sie hier geographisch wie inhaltlich wesentliche Erweiterungen vor. Man lernt nicht nur das sonst bisher als feindliche Entität eher vage umrissene Mederreich aus der Innensicht kennen, sondern erhält auch erste Hinweise auf die politischen Verhältnisse im nördlich und westlich gelegenen Pseudoeuropa. Vor allem aber tut es der Geschichte gut, dass der wie gewohnt schier übermächtige attolische Herrscher Eugenides hier überwiegend im Hintergrund agiert und anderen die Bühne überlässt. Mit dem (nicht unbedingt im übertragenen Sinne) kurzsichtigen, wenig kämpferischen und von kultureller Arroganz ebenso wie von langen Sklavenjahren geprägten Kamet steht ein sehr unwahrscheinlicher Held im Mittelpunkt. Wie er ganz allmählich hinzulernt und nicht nur zu sich selbst findet, sondern sich auch mit seinem attolischen Gefährten zusammenrauft, liest sich spannend, oft anrührend und stellenweise auch wunderbar komisch.

Am meisten Spaß macht es aber wie immer bei Turner, den Quellen nachzuspüren, aus denen sie schöpft. Stand bisher die griechische Mythologie Pate für ihre fiktiven Sagen, so ist hier das Gilgamesch-Epos der hauptsächliche und kongenial genutzte Ideengeber, wie überhaupt das Mederreich dem alten Mesopotamien nachgebildet ist. Bestimmte Details (wie etwa die berühmten Stadtmauern von Babylon) sind sogar beinahe unverändert aus der Realität an die imaginierten Orte übertragen. Der Reiseweg, den ihr Protagonistenduo beschreitet, ist eindeutig von Xenophons Anabasis angeregt, und die aus dem Philogelos entnommenen Scherze, die der Attolier Kamet mit mäßigem Erfolg erzählt, sind eigentlich schon ein Plagiat, da sie fast wortwörtlich ihren Vorbildern in der antiken Witzesammlung entsprechen. Darüber, ob Kamet selbst sich in manchen Zügen an Bagoas in Mary Renaults The Persian Boy (dt. Ein Weltreich zu erobern) anlehnt, kann man dagegen nur spekulieren; möglich ist es immerhin.

Alle Fans historisch inspirierter Fantasy oder auch einfach nur schöner Freundschaftsgeschichten mit vielschichtigen Charakteren können also mit der Lektüre gar nichts falsch machen.

Megan Whalen Turner: Thick as Thieves. New York, Greenwillow Books (HarperCollins), 2017, 369 Seiten.
ISBN: 9780062568267


Genre: Roman