Die Alltagsgeschichte der römischen Antike ist nicht nur in der Forschung, sondern auch bei historisch Interessierten ein beliebtes Thema, und die Esskultur ist daraus nicht wegzudenken: Speisen, die man nachkochen und probieren kann, bieten schließlich mit den unmittelbarsten sinnlichen Zugang zu einer vergangenen Welt. Die überlieferten Rezepte sind jedoch in Mengenangaben und Zubereitungsempfehlungen oft äußerst vage. Abhilfe schaffen Kochbücher, die das antike Textmaterial heutigen Gepflogenheiten entsprechend ausdeuten. Der Geschmack des Weltreichs ist ein Beispiel für diese Buchgattung, das ins römische Germanien führt.
Der Romanautor Michael Kuhn nähert sich der römischen Kochkunst nicht aus streng wissenschaftlicher Perspektive, sondern von der unterhaltsamen Seite. Eine strikte Rekonstruktion steht nicht im Vordergrund, sondern der Spaß für Hobbyköchinnen und -köche. So sind die Rezepte in eine kleine Geschichte um das Pech eines jungen Legionärs eingebettet, der unfreiwillig als Küchenhilfe beim Gastmahl seines Vorgesetzten einspringen muss, und kommen in Geschmacksrichtung und Zutatenauswahl heutigen Vorlieben sehr entgegen. Wer also hofft, hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für orgiastische Prassereien à la Trimalchio zu erhalten, dürfte eher enttäuscht sein.
Stattdessen gibt es freie Interpretationen derjenigen antiken Rezepte (etwa von Apicius oder Cato), die im weitesten Sinne so etwas wie solide Hausmannskost ergeben, vom Fladenbrot über Linseneintopf und Schinken im Teigmantel bis hin zum Honig-Käsekuchen. Bequemlichkeit geht dabei teilweise vor historischer Korrektheit (so wird z.B. ein Wurstrezept in eines für Frikadellen umgewandelt und auch durchaus einmal Backpulver in den Teig gemischt). Aber nicht immer ist der Griff zu modernen Zutaten so bewusst: Ein Gericht wird mit grünen Bohnen zubereitet, die den Römern eigentlich noch unbekannt gewesen sein dürften, da sie aus der Neuen Welt stammen.
Nicht ganz klar geworden ist mir die Logik hinter der Grammatik der lateinischen Rezeptnamen, bei denen Nominativ und Akkusativ munter abwechseln. Hier hätte man sich ein gründlicheres und sprachkundigeres Lektorat gewünscht.
Auch bei den Illustrationen schwankt die Qualität ein wenig. Während die Fotos der einzelnen Gerichte ansprechend geraten sind, wirken die Grafiken mit der Übersicht über die den Römern bekannten und unbekannten Lebensmittel etwas unscharf und hätten eine hübschere Gestaltung verdient.
Ein Gesamturteil über den Geschmack des Weltreichs fällt daher im Endeffekt schwer. Einerseits ist einem an dem Buch die Intention sympathisch, römische Esskultur für Laien ohne großen Aufwand und mit raschen Erfolgserlebnissen nachvollziehbar zu machen, und die fiktiven Szenen lesen sich ganz unterhaltsam, auch wenn ihnen der didaktische Charakter anzumerken ist. Andererseits hätte man sich doch etwas mehr Genauigkeit im Detail gewünscht. Wer in der Antike einfach nur ein paar vergnügliche Anregungen für die Küchenpraxis sucht, kann hier fündig werden, aber alle, die auf bis in alle Einzelheiten belastbare Informationen Wert legen, sollten zumindest zusätzlich oder gleich ganz zu anderen Werken greifen.
Michael Kuhn: Der Geschmack des Weltreichs. Einführung in die römische Küche. Aachen, Ammianus, 2017, 96 Seiten.
ISBN: 9783945025604
Voller Träume von Ruhm und Heldentaten hat sich der junge Sextus Valerius der römischen Armee angeschlossen – nur, um sich mitten in der vernichtenden Niederlage des Varus gegen Arminius wiederzufinden. Bei der Flucht aus der aussichtslosen Schlacht gerät Sextus durch seinen Freund Lucius an eine kleine Schar Überlebender um den zwielichtigen Signifer Kaeso, die sich mit der Kriegskasse des toten Feldherrn davonmacht und nichts Gutes im Schilde führt. Der unterwegs gefangen genommene Schmied Gernot ist Sextus bald sympathischer als seine undurchsichtigen Kameraden, doch dem Germanen scheint keine sehr rosige Zukunft bevorzustehen. Und auch Sextus selbst muss als lästiger Zeuge der kriminellen Machenschaften seiner einstigen Kampfgefährten bald um sein Leben fürchten …
Der Handlungsabriss lässt es schon ahnen: Sextus Valerius: Varusgold ist zunächst einmal ein Abenteuerroman mit leichten Krimielementen, dem es an Intrigen, Liebeswirren und militärischen Unternehmungen nicht mangelt. Das Geschehen wird abwechselnd aus der Sicht des Ich-Erzählers Sextus und aus verschiedenen Perspektiven in der dritten Person dargeboten, so dass man neben dem Weg des Helden auch die Unternehmungen der Schurken aus nächster Nähe verfolgen kann.
Darüber hinaus weist das Buch aber ein unterschwelliges didaktisches Element auf, ist doch deutlich das Bemühen erkennbar, die Antike nicht nur als exotische Kulisse zu nutzen, sondern den Lesern in unterhaltsamer Form (kultur-)historische Einzelheiten über die Römerzeit zu vermitteln, einmal im Roman selbst, dann aber auch in Form einer „Spurensuche“ im Anhang, die für die Handlung relevante Fundorte und archäologische Museen vorstellt.
Erster Anknüpfungspunkt ist dabei die Varusschlacht die, wohl auch angeregt durch das Jubiläumsjahr 2009, in letzter Zeit Eingang in mehrere historische Romane gefunden hat. Anders als einige andere Autoren (wie z.B. Iris Kammerer in ihrem lesenswerten Varus) legt Michael Kuhn den Schwerpunkt jedoch nicht auf Zustandekommen und Verlauf der Kämpfe, sondern auf die ersten Jahre nach der Clades Variana, in denen sein Protagonist sich damit auseinandersetzen muss, dass er ungewollt zum Mitwisser eines Verbrechens geworden ist und nicht allzu viel gegen die Umtriebe der Schuldigen auszurichten vermag.
Dabei hat Sextus es übrigens nicht allein mit fiktiven Figuren zu tun, sondern auch mit zahlreichen historischen Persönlichkeiten, von berühmten wie Germanicus oder Cassius Chaerea bis hin zu nur inschriftlich belegten und lokal bedeutenden (so ist Sextus‘ Freund und späterer Gegenspieler Lucius offenbar der Lucius Poblicius, dessen prächtiges Grabmal heute eines der Prunkstücke des Römisch-Germanischen Museums in Köln bildet). In ihrer Charakterisierung versteckt sich der ein oder andere historische Insiderwitz (so darf etwa Chaerea Jahrzehnte vor seiner tatsächlichen Beteiligung an der Ermordung Caligulas schon darüber phantasieren, diesen – hier noch ein ungezogenes Kleinkind – im Rhein zu ertränken).
Zu den vielschichtigsten Gestalten zählt sicher Lucius, der trotz aller Verschlagenheit mit mehr Gewissensbissen ringt als seine skrupellosen Komplizen, die munter über Leichen gehen. In der ambivalenten Tavernenwirtin Lucilla, die sowohl zu ihm als auch zu Sextus Beziehungen pflegt, hat er ein ebenbürtiges weibliches Pendant.
Dagegen wünscht man ihrer Rivalin um Sextus‘ Gunst, der jungen Germanin Hildiko, im Stillen ein bisschen weniger Unschuld und Naivität. Selbst der verliebte Sextus vergleicht sie in Gedanken ein wenig zu oft mit einem Kind, und dass sich die beiden wirklich auf Augenhöhe begegnen können, glaubt man bis zum Schluss nicht ganz. Hier kann man nur hoffen, dass die Figurenentwicklung in der angekündigten Fortsetzung dem Verhältnis seinen schalen Beigeschmack nehmen wird.
Doch diese kleine Merkwürdigkeit und auch die Tatsache, dass das Korrektorat gerade bei historischen Namen und Fachbegriffen einige Flüchtigkeitsfehler übersehen hat, verzeiht man gern, weil der Roman sich insgesamt spannend liest und die Neugier auf die weitere Entwicklung der Ereignisse um Sextus und seine Freunde und Feinde wachzuhalten weiß. Originell und reich an unvorhersehbaren Wendungen ist die Handlung nämlich allemal, und so können Fans historischer Romane an Varusgold durchaus ihre Freude haben.
Michael Kuhn: Sextus Valerius: Varusgold. Aachen, Ammianus, 2015, 464 Seiten.
ISBN: 9783945025079