A River Enchanted

Lange Jahre ist der Barde Jack nicht mehr auf seiner Heimatinsel Cadence gewesen, die seit Generationen in von den beiden unversöhnlich verfeindeten Clans der Breccans im Westen und der Tamerlaines im Osten beherrschte Hälften geteilt ist. Dann aber ruft Jacks alte Kindheitsrivalin Adaira, die Erbin des Lairds, ihn durch eine List zurück, weil sie seine Hilfe benötigt: Aus dem Osten der Insel verschwinden immer wieder kleine Mädchen. Adaira vermutet, dass die zu Schabernack neigenden örtlichen Elementargeister dahinterstecken könnten, und nur ein Barde kann sie durch seine Musik beschwören. Ein einfaches Unterfangen ist das nicht, aber bald nicht mehr das einzige Problem, vor dem Jack steht: Damit, dass seine kränkelnde Mutter in seiner Abwesenheit ein zweites Kind seines ihm unbekannten Vaters zur Welt gebracht hat, über den sie sich weiterhin beharrlich ausschweigt, weiß er zunächst ebenso wenig umzugehen wie mit seinen erwachenden Gefühlen für Adaira. Als dann auch noch sein alter Freund, Adairas Cousin Torin, und dessen Frau Sidra seltsame Erlebnisse teilweise übernatürlicher Natur zu haben beginnen und Adaira den riskanten Plan fasst, gegen den Willen des Clans ein Friedensabkommen mit den verfeindeten Breccans zu schließen, droht die Lage vollends zu entgleisen …

A River Enchanted von Rebecca Ross ist der erste Band eines in einer keltisch-schottisch inspirierten Fantasywelt angesiedelten Zweiteilers, dessen große Stärke die poetischen Schilderungen der Landschaft und der übernatürlichen Elemente sind, die genaue Kenntnis typischer Feen- und Elfenmärchen verraten. Zwischen Torffeuern, Heilkräutern und Whisky fügen sich die magischen Bestandteile der Geschichte wie mit Zaubern durchwobene Plaids, ein als Lügendetektor dienender Dolch, die allgegenwärtigen Elementargeister und eben auch der titelgebende Fluss, der die beiden ansonsten strikt getrennten Inselhälften verbindet, nahtlos und authentisch anmutend ein.

Das erzeugt ein Lesegefühl, das stark an klassische Fantasy irgendwo zwischen Tolkien, Dunsany und einer frühen McKillip erinnert, und auch abgesehen von Erzählduktus und Weltenbau drängt sich der Eindruck auf, dass die offenbar sehr religiöse Autorin (die ihr Nachwort – man fühlt sich an Johann Sebastian Bach erinnert – mit der Wendung Soli Deo Gloria abschließt und explizit ihrem „Heavenly Father“ dankt) Traditionelleres bevorzugt als die oft unverkennbar progressiv eingestellten führenden heutigen Stimmen im Genre. So sorgt sie z. B. durch eine konstruierte Wendung dafür, dass Jack und Adaira erst ordnungsgemäß verheiratet sind, bevor es zu einer Liebesnacht zwischen den beiden kommt.

Mag man zu solchen Details stehen, wie man will – die Art, wie Ross ihre Geschichte erzählt, ist trotzdem gelungen, verrät sie doch viel Gespür für die Schilderung differenzierter, glaubwürdiger Charaktere, die neben allen äußeren Schwierigkeiten auch psychische Ausnahmezustände zu bewältigen haben, und durchaus nicht unkomplizierter zwischenmenschlicher Beziehungen. Die wechselnden Perspektiven – neben Jack, Adaira, Torin und Sidra kommt hier auch Jacks kleine Schwester Frae zum Zuge – sind eingängig und überzeugend ausgestaltet, so dass das Buch sich flüssig und unterhaltsam liest. In sich abgeschlossen ist es allerdings nur zum Teil: Man erfährt zwar, was aus den verschwundenen Mädchen geworden ist, und einige Rätsel, wie das um Jacks mysteriösen Vater, werden gelöst, aber andere bleiben offen, und die Liebesgeschichte zwischen Jack und Adaira wird durch einen ganz klassischen Cliffhanger unterbrochen, der zur Lektüre des Folgebands A Fire Endless animieren soll.

Eine nette Einzelheit der äußerlichen Buchgestaltung ist die Landkarte von Nick Springer: Passend dazu, dass die Handlung im Osten von Cadence spielt und der feindliche Westen den handelnden Personen größtenteils fremd und unbekannt ist, ist tatsächlich nur der Ostteil der Insel gezeigt und der Westen als undurchdringlicher Wald angedeutet.

Alles in allem ist A River Enchanted so das richtige Buch für einen Ausflug in nostalgische Lesegefilde und macht durchaus Lust auf den zweiten Teil.

Rebecca Ross: A River Enchanted. London, Harper Voyager, 2022, 472 Seiten.
ISBN: 978-0-00-851468-6


Genre: Roman