Kommissar Dupin findet keine Zeit, sich seiner jüngst geschlossenen Freundschaft mit einer neugierigen Robbe zu widmen, sondern muss sein morgendliches Bad im Meer verfrüht beenden: Im Hafen eines kleinen Fischerorts treibt ein Ermordeter. Bald stellt sich heraus, dass es sich um den wohlhabenden Schafzüchter Patric Provost von der malerischen Belle-Île handelt, der nur selten aufs Festland kam. Da der gebrechliche alte Verwandte, den er besucht hat, als Mörder nicht infrage kommt, liegt es nahe, den Grund für Provosts Tod auf seiner Heimatinsel zu suchen. Dort verläuft das Leben nach etwas anderen Spielregeln als in der übrigen Bretagne. Die Insulaner bilden eine eingeschworene Gemeinschaft und machen Dupin die Ermittlungen nicht unbedingt leicht, so dass nur eines schnell feststeht: Jeder, der Provost gekannt hat, könnte ein Motiv gehabt haben, ihn aus dem Weg zu räumen, war er doch kein freundlicher Zeitgenosse und allgemein äußerst unbeliebt. Doch dann kommt es zu einer Entführung und bald darauf zu einem zweiten Mord – ist der Fall also doch komplizierter, als er auf den ersten Blick erscheint?
Was Jean-Luc Bannalec (alias Jörg Bong) auch in diesem neuesten Band seiner Reihe um den aus Paris in die Bretagne verpflanzten, aber mittlerweile ganz gut dort angekommenen Kommissar Georges Dupin bietet, ist eine Mischung aus spannender Krimihandlung und schwelgerischer Schilderung einer geschichtsträchtigen und landschaftlich eindrucksvollen Region. Auch wenn die titelgebende Bretonische Idylle durch Verbrechen getrübt wird, stehen die Schönheit der Gegend, Besonderheiten wie die Schafzucht, ehrgeizige Windenergieprojekte oder die zahllosen Menhire immer wieder im Vordergrund. Dupins Untergebener Riwal darf wie gewohnt vieles direkt erläutern, aber das Buch geht mit seiner Rolle als unerschöpfliche Informationsquelle zum Glück so selbstironisch um, dass man gut damit leben kann, dass Wissenswertes über Land und Leute nicht unauffälliger eingeflochten wird.
Die Auflösung des Kriminalfalls selbst wird genreerfahrenen Leseratten sicher bekannt vorkommen, denn eine sehr ähnliche Wendung (wenn auch nicht mit dem gleichen Ausgang für die Beteiligten) kommt in einem berühmten Roman von Agatha Christie zum Einsatz. Bis dahin aber macht es trotz der dunklen Wolken, die über Dupins Privatleben aufzuziehen drohen, viel Spaß, mit ihm auf der Belle-Île herumzustöbern, und da der Kommissar kulinarischen Genüssen alles andere als abgeneigt ist, kann man sich durchaus darüber amüsieren, dass auch der entscheidende Hinweis, der es ihm am Ende erlaubt, den Mord aufzuklären, mit Essen zu tun hat.
Mit der Rekonstruktion der Geschehnisse, die zu Provosts Tod und den weiteren damit verbundenen Verbrechen geführt haben, ist der Roman aber noch nicht zu Ende, und das nicht nur, weil die Robbe vom Anfang zum Schluss hin dankenswerterweise noch einen Auftritt bekommt. Denn in diesem zehnten Band der Reihe feiert Dupin zugleich buchintern sein zehnjähriges Dienstjubiläum in der Bretagne, das für ihn und andere den Anlass bietet, Bilanz zu ziehen. Ob darin gezielt die augenzwinkernde Aufforderung an die Leser mitschwingt, zurückzublicken und zu überlegen, wie gut ihnen Bannalecs Bücher bisher gefallen haben, sei einmal dahingestellt. Wenn man sich die Frage beantworten möchte, kommt man jedenfalls zu dem Schluss, dass die Reihe mit ihrem liebevollen Lokalkolorit und ihren teilweise herrlich kauzigen Figuren zu Recht nach wie vor zu den beliebtesten unter der großen Auswahl von Frankreichkrimis zählt.
Jean-Luc Bannalec: Bretonische Idylle. Kommissar Dupins zehnter Fall. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2021, 318 Seiten.
ISBN: 978-3-462-05402-6