Das Geheimnis von Dower House

Der stellvertretende Polizeipräsident von London bittet seinen Neffen, Privatdetektiv Nigel Strangeways, um einen Gefallen: Der berühmte Flieger Fergus O’Brien erhält seit einiger Zeit beunruhigende Drohbriefe, die seine Ermordung für den 26. Dezember ankündigen, lehnt aber jeglichen Polizeischutz ab. Daher soll Nigel zu der Weihnachtsparty reisen, die O’Brien in seinem Landhaus gibt, und die Lage im Auge behalten. Obwohl Nigel sein Bestes tut, wird O’Brien eines Morgens erschossen aufgefunden. Mögliche Motive könnten unter den Gästen der Feier und auch aus dem Kreis der Dienerschaft viele gehabt haben, ob nun die verschmähte ehemalige Geliebte oder verschiedene in O’Briens Testament großzügig bedachte Personen. Nigel unterstützt die Polizei bei ihren Ermittlungen, aber sowohl O’Briens rätselhafte Vergangenheit als auch die Tatsache, dass der Detektiv sich ausgerechnet in seine Hauptverdächtige verliebt, machen es nicht unbedingt einfacher, die Wahrheit ans Licht zu bringen …

In manchen Punkten merkt man dem Krimi Das Geheimnis von Dower House aus der Nigel-Strangeways-Serie von Nicholas Blake (alias Cecil Day-Lewis) an, dass der Roman im Original schon 1936 erschienen ist. Einzelne Bemerkungen über angeblich typisch männliche und weibliche Eigenheiten oder den vermeintlichen Charakter der Iren im Allgemeinen wirken aus heutiger Sicht altmodisch bis fragwürdig. Doch glücklicherweise dominieren solche Elemente nicht, und abgesehen von ihnen ist das Buch eine unterhaltsame klassische Detektivgeschichte voll überraschender Wendungen und falscher Fährten. Spaß macht daran vor allem, dass Blake humorvoll und mit spitzer Feder manches auf Korn nimmt, was heute noch Wiedererkennungswert hat. So wirkt etwa die das erste Kapitel einleitende Schilderung des großstädtischen Vorweihnachtstrubels und Konsumrausches abgesehen von einigen Einzelheiten auch nach vierundachtzig Jahren noch aktuell.

Die Figuren sind bis in die Nebenrollen hinein amüsant gezeichnet (besondere Erwähnung verdient diesbezüglich der mit Nigel befreundete Altphilologe Philip Starling, der ständig damit beschäftigt zu sein scheint, vernichtende Rezensionen über die Fachbücher der Forschungskonkurrenz zu verfassen). Nigel Strangeways selbst erscheint als leicht exzentrischer, aber nicht unsympathischer gentleman detective, ähnlich wie Dorothy Sayers‘ Peter Wimsey (der allerdings eine facettenreichere literarische Gestalt ist). Seine Überlegungen zum Fall beschränken sich nicht auf physische Hinweise und psychologische Vermutungen, sondern unternehmen durchaus auch einmal einen reizvollen Schlenker in literarische Gefilde. Nicht zuletzt deshalb macht es Spaß, der Auflösung der komplizierten Verwicklungen zu folgen, die hinter O’Briens Tod und noch einigen weiteren Geschehnissen stecken. Die übersteigerte Verfolgungsjagd mit fast schon zu dramatischem Finale, in die die Ermittlungen münden, hätte es da gar nicht gebraucht, um den Roman bis zum Schluss spannend zu halten.

Alles in allem bildet Das Geheimnis von Dower House so vergnügliche Lektüre für alle, die Freude am England der Zwischenkriegszeit als Kulisse haben oder ganz allgemein gern Krimis aus dem goldenen Zeitalter des Genres lesen. Nur den deutschen Untertitel Eine weihnachtliche Kriminalgeschichte sollte man nicht so wichtig nehmen, dass man sich das Buch bis in die Adventszeit aufspart, denn abgesehen davon, den Anlass für die Zusammenkunft in O’Briens Haus zu liefern, spielt der Festtag selbst keine allzu große Rolle.

Nicholas Blake: Das Geheimnis von Dower House. Eine weihnachtliche Kriminalgeschichte. Stuttgart, Klett-Cotta, 2020 (Original: 1936), 334 Seiten.
ISBN: 978-3-608-98346-3


Genre: Roman