Das Versprechen, dich zu finden

Vor fünfzig Jahren gehörte Tina Hopgood zu einer Schulklasse, der der dänische Professor Glob sein Buch Die Schläfer im Moor widmete. Durch den Tod ihrer besten Freundin daran erinnert, dass sie beide nie ihren Plan umsetzen konnten, eine der in dem Buch vorgestellten Moorleichen, den Tollund-Mann, in natura zu sehen, schreibt sie mit der Bitte um weitere Informationen an Glob. Doch der Professor ist längst verstorben, und so beantwortet der Museumskurator Anders Larsen, der selbst gerade einen herben Verlust erlitten hat, den Brief der englischen Bäuerin. Bald entspinnt sich eine rege Korrespondenz, in der Tina und Anders sich nicht nur über die Eisenzeit, sondern auch und vor allem über ihre Arbeit, ihre Familien, unverwirklichte Lebensträume und verpasste Chancen austauschen. Doch Tina ist verheiratet, und so kann aus dieser Brieffreundschaft eigentlich nicht mehr werden – oder etwa doch?

Das Versprechen, dich zu finden, das Debüt der siebzigjährigen Autorin Anne Youngson, ist ein stiller und sehr menschlicher Briefroman mit einem unglaublich feinen Gespür für Zwischentöne. Große äußere Abenteuer erleben die beiden Protagonisten nicht, aber Youngson beherrscht die Kunst, mit treffenden Charakterisierungen und intensiven Beschreibungen Alltägliches so spannend zu machen, dass man auch dann fasziniert weiterliest, wenn es vordergründig nur um einen gestrickten Teewärmer oder die tägliche Fahrradfahrt geht. Zwischen dem auch körperlich strapaziösen Landleben der früh in eine wenig erfüllende Ehe gedrängten Tina und der ruhigen Bürotätigkeit des Archäologen Anders liegen eigentlich Welten, was sich nicht allein in der Kontrastierung von englischen und dänischen Einrichtungsvorlieben widerspiegelt. Beide eint allerdings die Erfahrung, in ihren Familien nie ganz zu der ersehnten Nähe gefunden und überhaupt manch schöne Seite des Lebens verpasst zu haben – von Tina charmant in das Bild des Himbeerpflückens gefasst, bei dem man zunächst immer einige Früchte übersieht. Gemeinsam ist ihnen aber trotz ihrer unterschiedlichen Herangehensweise auch ein reges Interesse an der Vergangenheit, und so gibt es neben den lebenden oder erst jüngst verstorbenen Menschen ihres jeweiligen Umfelds im Buch noch eine weitere wichtige Figur, nämlich den stets mehr oder minder präsenten Tollund-Mann.

In der Literatur werden Mumien sonst häufig als Gruselelement eingesetzt. Youngsons Ansatz dagegen ist dankenswert weit davon entfernt und bietet eine äußerst sensible Auseinandersetzung mit dem Toten aus vorgeschichtlicher Zeit, der durch die perfekte Erhaltung seines Gesichts zu Identifikation und allerlei Projektionen anregt, aber seine Geheimnisse dennoch bewahren darf. Eine fiktive Geschichte wird ihm hier nämlich nicht übergestülpt. Stattdessen wird klar zwischen den gut recherchierten Fakten und jeglichen Spekulationen getrennt und bei aller Faszination von dem archäologischen Fund immer wieder darauf hingewiesen, dass man es mit den Überresten eines Menschen zu tun hat. Diese respektvolle und feinfühlige Perspektive berührt tief, und insbesondere eine Szene, in der Anders Tina die Reaktion einer kleinen Museumsbesucherin auf die Moorleiche schildert, kann einen bei der Lektüre mitten ins Herz treffen – vermutlich selbst dann, wenn man die Archäologiebegeisterung der Rezensentin nicht teilt.

So ist Das Versprechen, dich zu finden alles in allem ein sehr kluges, unprätentiöses und schönes Buch, das die Gefühle anspricht, ohne je in Kitsch abzugleiten, und einen zum Nachdenken über das eigene Leben und das längst vergangener Generationen anregt.

Anne Youngson: Das Versprechen, dich zu finden. Hamburg, HarperCollins, 2018, 272 Seiten.
ISBN: 978-3959672276


Genre: Roman