Eigentlich rechnet der Teddy Henry N. Brown für dieses Weihnachten nicht mit großen Überraschungen. Nach einem bewegten Bärenleben mit zahlreichen Besitzerwechseln und Verlusterfahrungen wohnt er seit einigen Jahren bei der Schriftstellerin Flora, und die plant nur einen ruhigen Heiligabend mit ihrem neuen Partner Felix. Der aber erscheint nicht, und stattdessen fallen in Floras beschauliche Wohnung nach und nach ihre zerstrittenen Familienmitglieder, der indische Nachbar und eine todunglückliche Freundin ein. Der Abend droht, in Chaos und Unzufriedenheit zu enden, zumal der arme Henry als Stoffbär zu tatenlosem Zusehen verdammt ist. Aber vielleicht geschieht ja doch noch ein kleines Weihnachtswunder?
Seinen ersten Auftritt als Ich-Erzähler hatte Henry bereits in dem Roman Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown, der seinen Weg durch alle Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts schildert. Während der Vorgängerband deshalb bei aller bärigen Niedlichkeit auch zahlreiche ernste und tragische Situationen enthält, ist Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown, das man als eine Art ausgedehnten Epilog zur Unglaublichen Geschichte lesen kann, ein klassisches Wohlfühlweihnachtsbuch. Bis auf Alltags- bzw. Feiertagssorgen und normale zwischenmenschliche Konflikte droht niemandem viel Ungemach. Der Ton ist durchgehend heiter bis besinnlich und gewinnt seinen Charme vor allem daraus, dass Henry bei aller durch jahrzehntelange Beobachtungen gewonnenen Weisheit eben im Grunde seines Herzens doch ein Kuschelbär bleibt, der den Menschen Trost und Liebe spenden möchte und sich freut, wenn alle glücklich sind und sich vertragen.
Bis es dazu kommt, sind aber natürlich noch einige Hürden zu nehmen, die recht humorvoll geschildert werden, so etwa die Diskussion der mittlerweile geschiedenen Eltern der Heldin über eine Jahre zurückliegende, sehr spezielle Weihnachtsbaumfällaktion, über deren Erfolg man bis heute geteilter Meinung ist. Die Charaktere sind dabei allesamt nett skizziert, wenn auch teilweise nicht frei von Klischees (gerade Salim, dem oben erwähnten Nachbarn, hätte man ein etwas markanteres individuelles Profil und etwas weniger Reduzierung auf die Rolle des nolens volens in die deutsche Weihnachtsfeier gestolperten Fremden gewünscht). Sprachlich hat man hier und da das Gefühl, dass englischsprachige Texte oder deren direkte Übersetzungen stilistisch Pate gestanden haben könnten, denn manche Formulierung wirkt wie eine wörtliche Übertragung einer gängigen englischen Wendung (z.B. „Mein Herz sank.“).
Doch das ist eigentlich nicht weiter schlimm, denn alles in allem ist Henrys Geschichte einfach zu drollig und warmherzig, als dass man sich an solchen Kleinigkeiten stören sollte. Das Ende hält sogar noch eine nette Weihnachtsüberraschung für den Teddy selbst bereit. Wer immer schon den heimlichen Verdacht hatte, dass auch Kuscheltiere Gedanken und Gefühle haben, findet in der Erzählung eine liebenswerte Bestätigung, und alle anderen können zumindest die gefällige Weihnachtsunterhaltung genießen, die man sich auch gut als lustigen Film vorstellen könnte.
Anne Helene Bubenzer: Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown. München und Wien, Thiele Verlag, 2013, 126 Seiten.
ISBN: 9783851792614