Der Sieger von Kadesch

Hattusili III. ist als Usurpator auf den Thron des Hethiterreichs gelangt. Ein großes religiöses Fest im Jahre 1265 v. Chr. soll ihm daher nicht nur die Götter gewogen machen, sondern auch seine Herrschaft an der Seite seiner Gemahlin Puduhepa in den Augen der eigenen Untertanen und fremder Mächte legitimieren. Zunächst scheint alles ganz nach Plan zu verlaufen, und selbst eine kostbare goldene Statue der Göttin Istar wird noch rechtzeitig zu den Feierlichkeiten fertig. Dann aber wird zur Unzeit eine Leiche gefunden. Was zunächst noch nach einem bizarren Unfall aussieht, erweist sich rasch als Mord, der Hattusilis grandiose Selbstinszenierung zum Scheitern bringen könnte. Der königliche Schreiber Walwaziti soll das Verbrechen möglichst schnell und unauffällig aufklären, bekommt es aber schon bald mit einem weiteren Todesfall zu tun und muss erkennen, dass sein Herr womöglich in viel größerer Gefahr schwebt als nur in der, öffentlich das Gesicht zu verlieren …
Die Inhaltszusammenfassung zeigt es schon: Der Sieger von Kadesch ist ein Historienkrimi, allerdings einer, der vor einem originellen und noch unverbrauchten Hintergrund angesiedelt ist. Während das römische Reich oder das europäische Mittelalter in einer Vielzahl von Einzelbänden und Serien zum Schauplatz mehr oder minder grausiger Verbrechen werden, wird im bronzezeitlichen Anatolien zumindest literarisch eher selten gemordet. Dass es hier geschieht, ist – bei allem Mitgefühl mit den Opfern – sehr zu begrüßen, denn Birgit Brandau beschwört die fremde Welt ungemein überzeugend und lebendig herauf. Nicht nur dem in seiner Trennung von Fakten und Fiktion akribischen Nachwort merkt man an, dass die Autorin auch schon Sachbücher zum Thema verfasst hat (Hethiter. Die unbekannte Weltmacht, mit Hartmut Schickert; Troia. Eine Stadt und ihr Mythos). Lebenswirklichkeit, Religion, soziale und politische Verhältnisse werden in enger Anlehnung an die Schriftzeugnisse und archäologischen Quellen geschildert, so dass man aus dem Roman tatsächlich einiges lernen kann und es nicht nur mit einer bunten Kulisse zu tun hat.
Die Figuren sind in ihrer Psychologie und ihrer Prioritätensetzung überzeugend aus diesem Umfeld heraus entwickelt, bleiben aber dennoch sehr menschlich und sind in vielen Fällen recht sympathisch gezeichnet. Besonders der Ermittler Walwaziti, der Wein und gutes Essen schätzt und insgeheim mehr als nur ein wenig in die Königin verliebt ist, wächst einem schnell ans Herz. Doch auch viele seiner Mitstreiter und der Verdächtigen sind ansprechend charakterisiert. „Viele“ ist übrigens keine Übertreibung, denn für einen eher kurzen Krimi bekommt man es mit einer Fülle von (häufig sogar historisch belegten) Personen zu tun, die munter im Intrigengewirr um den Hethiterhof und in der Mordserie mitmischen. Einerseits macht das die Sache spannend, andererseits ist man aber zu aufmerksamer Lektüre gezwungen, um keine Verwicklung zu überlesen. Wer einen reinen Unterhaltungsroman sucht, von dem er sich angenehm berieseln lassen kann, hat daran wahrscheinlich weniger Spaß als Fans des Miträtselns und konzentrierten Einlassens auf kompliziert konstruierte Fälle.
Doch – so viel sei verraten – es lohnt sich, tief in das Buch einzusteigen. Selbst als der eigentliche Krimiplot schon aufgelöst erscheint, ergibt sich noch eine ebenso überraschende wie schlüssige Wendung, die das Motiv in ganz neuem Licht erscheinen lässt, und alle politischen und persönlichen Probleme sind mit der Überführung des Täters noch längst nicht vom Tisch.
Aufgrund dieser Besonderheiten ist Der Sieger von Kadesch auch einer der wenigen Krimis, die man gern mehr als einmal liest. Ist sonst oft mit der Auflösung der Reiz verflogen, funktioniert dieser hier auch auf der Ebene des historischen Romans so gut , dass man gern noch einmal Details nachspürt und neue Kleinigkeiten entdeckt.
Umso bedauerlicher ist es, dass Walwazitis mittlerweile schon über fünfzehn Jahre alte Abenteuer nie eine Fortsetzung erhalten haben oder sogar zur Serie ausgebaut worden sind – aber vielleicht sind die Hethiter unverdientermaßen einfach nicht populär genug, um große Leserscharen anzulocken?

Birgit Brandau: Der Sieger von Kadesch. Roman aus dem Land der Hethiter. München, DTV, 2. Aufl. 2002, 279 Seiten.
ISBN: 3423242884


Genre: Roman