Der Tod des Teemeisters

Japan Ende des 16. Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler Honkaku lebt schon seit Jahren zurückgezogen als Mönch in einem Tempel, doch einst war er ein Schüler des berühmten Teemeisters Rikyū, der sich unter ungeklärten Umständen das Leben nahm – angeblich auf Befehl seines Dienstherrn, des mächtigen Fürsten Hideyoshi. Eine Zufallsbegegnung mit einem alten Bekannten seines Meisters zwingt Honkaku, sich seinen Erinnerungen zu stellen, und weckt nach langer Vermeidung doch noch seine Neugier, herauszufinden, was damals eigentlich vorgefallen ist und warum Rikyū sterben musste.
In Rezensionen von Yasushi Inoues Tod des Teemeisters wird gern einerseits der Aspekt des historischen Romans betont (viele Figuren wie etwa der Titelheld Sen no Rikyū und sein Gönner Toyotomi Hideyoshi sind fiktionalisierte Versionen realer Gestalten), andererseits aber hervorgehoben, dass die genauen Schilderungen von Teekultur und ritualisierten Verhaltensweisen Einblicke in die aus europäischer Sicht fremdartige und bisweilen unverständliche Lebenswirklichkeit des alten Japan bieten. Beides ist nicht falsch, greift aber zu kurz, um zu umreißen, was die Besonderheit des Buchs eigentlich ausmacht.
Dafür, dass es um hochdramatische und teilweise kriegerische Ereignisse geht, ist Der Tod des Teemeisters ein ungewöhnlich stiller und zurückgenommener Roman, ganz so, als würde die Ruhe der mehrfach mit all ihren Zutaten lyrisch heraufbeschworenen Teezeremonie sich auf den Gang der Handlung übertragen. Der Stoff würde ohne weiteres auch einen Krimi hergeben, doch auf entsprechende Elemente wird größtenteils verzichtet. Honkakus Nachforschungen, die sich über ein Vierteljahrhundert hinziehen, schreiten äußerst gemessen voran, und es geht eigentlich weniger darum, am Ende zu enthüllen, wer welche Strippen gezogen hat, als um feine Charakterskizzen des lange rätselhaft bleibenden Rikyū und seines Umfelds. Fast kammerspielartig treten sie im realen Leben, aber auch – insbesondere, was den toten Teemeister betrifft – in Form von Traumvisionen und Geistererscheinungen mit Honkaku in Kontakt und lassen so nach und nach ein Bild der Geschehnisse und Konflikte entstehen, die zu dem titelgebenden Selbstmord geführt haben, ja vielleicht sogar führen mussten.
Während die Ausprägung, die diese Abläufe annehmen, typisch japanisch sein mag und auf eine bestimmte Epoche verweist, sind die angesprochenen Themen an sich zeitlos und nicht an einen spezifischen geographischen Rahmen gebunden. Ästhetik und Philosophie stehen pragmatischer Machtpolitik und Geltungsdrang gegenüber, und aus der explosiven Mischung ergibt sich auf sehr leise Art ein Ausloten der Frage nach persönlicher Integrität und den Kompromissen, die man einzugehen bereit ist (oder eben auch nicht). Dass die unterschiedlichen Antworten, die man darauf finden kann, auch innerhalb einer einzigen Kultur größte Ferne und Fremdheit erzeugen können, macht der melancholische Schluss deutlich, denn auch, wenn Honkaku am Ende intellektuell nachvollziehen kann, was sich abgespielt haben muss, fällt ihm der emotionale Zugang zur radikalen Entschlossenheit Rikyūs mindestens so schwer wie dem Leser.
Gerade diese Sprödigkeit sorgt aber vielleicht dafür, dass Der Tod des Teemeisters einen nach der Lektüre noch lange nicht loslässt und viele Denkanstöße bietet, denen man sich nur schwer entziehen kann.

Yasushi Inoue: Der Tod des Teemeisters. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 6. Auflage 2015 (Original: 1981), 169 Seiten.
ISBN: 9783518460252


Genre: Roman