Norddeutschland 1784. Jakob Frahm, der eine Laufbahn im Verwaltungsdienst anstrebt, tritt seine erste Stelle an, aber anders als erwartet nicht in Moisburg. Der Amtmann als sein Vorgesetzter schickt ihn umgehend ins beschauliche Elstorf weiter, nicht etwa nur zur weiteren Ausbildung, sondern vor allem zu Spionagezwecken, vernachlässigt doch Ludwig von Lohfeld, der die dortige Vogtei unter sich hat, seine Pflichten immer mehr zugunsten mysteriöser Forschungen. Jakob soll herausfinden, was es damit auf sich hat. Für den jungen Mann, der sich den Idealen der Aufklärung verpflichtet fühlt, scheint der Fall auf den ersten Blick klar zu sein: Lohfeld ist offensichtlich ein exzentrischer alter Kauz, der sich in abergläubische Vorstellungen über Meteoriteneinschläge verrannt hat und seinem einseitigen Interesse an dieser Thematik viel Zeit und Geld opfert, ganz zu schweigen davon, dass er auch seine leidgeprüfte Tochter Charlotte schlecht behandelt. Dann aber prophezeit eine fahrende Wahrsagerin Beängstigendes, und als bald darauf tatsächlich ein Meteorit in unmittelbarer Nähe von Elstorf niedergeht, muss Jakob sich die Frage, ob Lohfelds Theorien tatsächlich bloßer Unfug sind, noch einmal neu stellen.
Die Feuertore von Martin Schemm sind laut Untertitel ein historischer Roman, und wenn man möchte, kann man das Buch auch als einen begreifen, dessen Handlung einmal nicht, wie im Genre sonst gängig, im städtischen oder höfischen Milieu, sondern in der Welt dörflicher Honoratioren angesiedelt ist. Auch aufgrund der Beschränkung der Perspektive auf den Ich-Erzähler Jakob, der immer wieder selbst nicht ganz einzuschätzen vermag, womit er es zu tun hat, bleibt dem Lesepublikum nämlich in bester Schimmelreiter-Manier die endgültige Klarheit darüber vorenthalten, inwieweit die Hintergründe der immer verstörenderen Ereignisse, mit denen sich der Protagonist konfrontiert sieht, tatsächlich übernatürlich sind.
Lässt man sich jedoch auf diese Deutung ein, für die vielleicht nicht nur spricht, dass in dieser Geschichte ausgerechnet ein Jakob eine Traumvision erlebt, hat man ein Buch mit reizvollem Fantasy-Einschlag vor sich, in dem der Autor aus der historischen belegten Verehrung von Meteoriten in Kulten der Antike und Sagen über Irrlichter und schaurige Begebenheiten eine ganz eigene Version von Portalen zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre entwickelt.
Eingebettet in liebevolle Beschreibungen der norddeutschen Landschaft mit ihren Äckern, Wäldern und Hügelgräbern und der Handlungszeit mit ihrer Literatur, Musik und Korrespondenzkultur entwickelt sich so parallel zu der zarten und den historischen Umständen angemessenen Liebesgeschichte zwischen Jakob und Charlotte schleichend immer stärker ein Gefühl des Bedrohlichen und Geheimnisvollen. Was erst nur leises Unbehagen im Hintergrund ist, kulminiert schließlich in rätselhaften Vermisstenfällen und gar dem Tod eines Menschen, und auch wenn gegen Ende vordergründig eine gewisse Normalität wieder Einzug hält, wird der Eindruck, dass Unheimliches und mit reiner Vernunft nicht zu Bewältigendes schon hinter dem nächsten Waldrand lauern könnte, hier zu geschickt erzeugt, um mühelos abzuschütteln zu sein. Einen Kontrapunkt dazu bilden die – ungeachtet aller Lästigkeit für die sympathischeren Gestalten des kammerspielartig reduzierten Figurenensembles – durchaus humoristischen Situationen, die sich aus der Hartnäckigkeit eines unwillkommenen Bewerbers um Charlottes Hand und der weniger abstoßenden, aber ebenso unerwünschten Schwärmerei einer flüchtigen Bekannten für Jakob ergeben.
Für alle, die sich im südlichen Hamburger Umland ein bisschen auskennen, trägt zum Unterhaltungswert der Lektüre sicher auch noch bei, hier vertraute Orte zu „besuchen“ und sich klarzumachen, dass sich in gut 240 Jahren nicht nur architektonisch einiges geändert hat: So hält beispielsweise eine mit modernen Verkehrsmitteln rasch zurückgelegte Strecke (etwa von Elstorf nach Langenrehm) die Figuren im 18. Jahrhundert eine ganze Weile beschäftigt, bis sie endlich ans Ziel gelangen, und auch wenn man das in der Theorie natürlich ohnehin weiß, ist es vielleicht noch einmal eindringlicher, wenn einem die Gegend, um die es geht, in ihrer heutigen Gestalt vor Augen steht.
Aber auch abseits solcher Detailbeobachtungen macht es Spaß, Jakob durch sein Abenteuer zu folgen, das sich formelhaften Handlungsmustern größtenteils verweigert und beweist, dass spannende Geschichten sich auch abseits des Gewohnten und schon oft Gelesenen erzählen lassen.
Martin Schemm: Die Feuertore. Historischer Roman. Feldafing, hansanord Verlag, 2023, 240 Seiten.
ISBN: 978-3-947145-66-9