Ein Himmel voller Sterne

Eigentlich könnte der Illustrator Merlin zufrieden sein: Mit seiner großen Liebe Prune hat er sich in vorgerücktem Alter den Traum vom Haus auf dem Lande erfüllt. Trotz einer erdrückenden Fülle von Renovierungsarbeiten sieht die Zukunft gar nicht schlecht aus, da auch sein Herzensprojekt, die Comicserie Wild Oregon, mit dem 13. Band auf einmal den langersehnten Erfolg zu haben scheint. Doch dann stirbt unerwartet sein bester Freund Laurent, die Inspiration für seinen Comichelden Jim „Bear“ Oregon, und hinterlässt ihm nicht nur seine übellaunige Katze, sondern auch noch einen letzten Willen, der es in sich hat. Denn wenn es nach Laurent geht, soll Jim gefälligst endlich die große Liebe finden – und dann auch noch einen eindrucksvollen Abgang hinlegen …
Ein augenzwinkernder Blick auf den (Künstler-)Alltag, liebenswerte und kauzige Charaktere (allen voran der Ich-Erzähler Merlin mit seiner Mischung aus Eitelkeit und Selbstironie), Katzen, Vögel, Baumaßnahmen, Whiskey und immer wieder kleine Plotausschnitte aus einem herrlich abgefahrenen Space Western – Marie-Sabine Rogers Ein Himmel voller Sterne ist eine ziemlich unwiderstehliche Mischung.
Wer selbst schon einmal in irgendeiner Form kreativ gearbeitet hat, wird daran wohl besonders seinen Spaß haben, denn das Ineinandergreifen von realem Leben und künstlerischem Werk wird hier mit viel Verve und hohem Wiedererkennungswert geschildert. Wie Merlin sowohl Menschen, die ihm am Herzen liegen, als auch unerfreuliche Zeitgenossen in seinem Comic verewigt, bringt einen dabei immer wieder zum Lachen, und auch fiktive Figuren, die beharrlich darauf bestehen, dass ihre Erlebnisse doch eigentlich ganz anders verlaufen sollten, dürften jedem bekannt vorkommen, der schon einmal selbst eine Geschichte geschrieben hat.
In das fabulierfreudige Vergnügen mischen sich jedoch auch nachdenkliche Töne, vor allem, da unaufdringlich Kritik an manch hartnäckigem Klischee populärer Literatur geübt wird, etwa am kernigen Serienhelden, der sich nie ändern und schon gar nicht erfolgreich verlieben darf, oder am typischen male gaze, der aus so gut wie jeder Frauengestalt eine Sexbombe in unwahrscheinlicher Garderobe macht.
Mit vorgehaltenem Zeigefinger schreibt Roger dennoch nicht, sondern vielmehr sehr warmherzig und menschlich. Merlins durch Laurents letzte Wünsche angestoßene Erkenntnis, dass sich in seinem Comic einiges ändern muss, geht letztlich auch mit dem Eingeständnis einher, dass Wild Oregon nicht nur für ihn, sondern auch für einige seiner Lieblingsleser Lebensbewältigung ist. Dass man nicht immer in eine vorgefertigte Schublade passen muss und selbst dann, wenn schon alles vorbei zu sein scheint, noch eine überraschende Wendung warten kann, ist dabei eine zentrale Botschaft des Romans. Der Blick auf Vergänglichkeit und verpasste Chancen ist trotz aller traurigen Elemente recht versöhnlich, denn es schwingt der Eindruck mit, dass selbst jemand wie der versoffene und in vielerlei Hinsicht gescheiterte Laurent mehr richtig gemacht hat, als ihm selbst je bewusst geworden ist.
Philosophisches, Skurriles und Alltägliches gleichermaßen werden mit viel Leichtigkeit und Sprachwitz heraufbeschworen, und es gelingt der Übersetzerin Claudia Kalscheuer grandios, auch die verrücktesten Wortspiele überzeugend ins Deutsche zu übertragen. So ist die Lektüre nicht nur emotional befriedigend, sondern auch sprachlich ein Genuss, und wenn man am Ende eines bedauert, dann wohl nur, dass es einem in der realen Welt leider verwehrt ist, sich als Nächstes einen Wild-Oregon-Comic zuzulegen (am liebsten natürlich Band 14).

Marie-Sabine Roger: Ein Himmel voller Sterne. Hamburg, Atlantik (Hoffmann und Campe), 2017, 301 Seiten.
ISBN: 9783455600575


Genre: Roman