Der als Sonderheft der Zeitschrift Archäologie in Deutschland erschienene Band von Sabine Karg und Ewald Weber informiert – so verheißt es der Untertitel – über Pflanzen im Alltag der Steinzeitmenschen. Kenntnisreich und voller spannender Details wird dieses Versprechen auch eingelöst. Konkret geht es um die jungsteinzeitlichen Feuchtbodensiedlungen des Voralpenraums (insbesondere am Bodensee und in der Schweiz) und die dort aufgrund der besonders günstigen Erhaltungsbedingungen gemachten archäobotanischen Funde, die Aussagen über die Verbreitung und Nutzung verschiedenster Pflanzen in der damaligen Epoche erlauben.
Die Ackerbau und Viehzucht betreibenden Menschen der Jungsteinzeit schufen und bewohnten bereits eine Kulturlandschaft, die allerdings noch wesentlich naturnäher war als heute und von einer eher gartenähnlichen Landwirtschaft geprägt war, während große Felder wohl erst späteren historischen Phasen ab der Bronzezeit angehören. Sowohl wilde als auch gezielt herangezogene Pflanzen wurden auf vielfältige Art genutzt.
Zentrale Bedeutung hatten Pflanzen natürlich vor allem für die Ernährung, und dieses in mehreren Kapiteln (über pflanzliche Lebensmittel allgemein und über ihre Zubereitung und Haltbarmachung im Speziellen) aufbereitete Thema bildet denn auch das Herzstück des Buchs. Während manche der damals genutzten Nahrungsmittel (wie Rohrkolben oder Wildgrassamen) dem heutigen Speiseplan eher fremd sind oder durch ihre jüngeren Kulturformen völlig aus der Küche verdrängt wurden (so z.B. Wildäpfel), sind andere seit Jahrtausenden populär geblieben (beispielsweise Holunder oder Himbeeren). Auch überregionale Handelsbeziehungen lassen sich auf diesem Gebiet nachweisen: So gelangte z.B. Saatgut aus dem Mittelmeerraum in die hier untersuchte Region. Mittelbar nützten Pflanzen der menschlichen Ernährung, wenn sie als Viehfutter Verwendung fanden. Auch hier stößt man zum Teil auf Ungewohntes, so etwa auf Misteln als gängiges Ziegenfutter.
Große Bedeutung hatten Pflanzen jedoch auch als Ausgangsmaterial für Gebäude und Gegenstände. Aus Holz und Schilf ließen sich nicht nur Behausungen, sondern auch Boote und Flöße herstellen. Rinde und Bast boten sich als Grundstoff für Gefäße und Fischernetze an, während sich aus Haselruten sogar mobile Brücken konstruieren ließen. Auch Kleidung und andere Textilien waren oft pflanzlichen Ursprungs. Nicht nur hier, sondern auch bei Wollstoffen und Keramik dienten Pflanzenfarben aller Art zur Verzierung und Verschönerung (so dass das Autorenduo hervorhebt, dass die in Rekonstruktionen gängige Darstellung von einförmig braunen Steinzeitgewändern womöglich gar nicht der Realität entspricht).
Bei allem Spannenden und manchmal Verblüffenden, was sich aus den archäobotanischen Funden ableiten lässt, verhehlen Karg und Weber jedoch auch nicht, was man – zumindest bisher – nicht weiß. So ist zwar Seifenkraut zahlreich in den Steinzeitsiedlungen des Alpenraums nachgewiesen, was einen Gebrauch zum Waschen von Textilien und zur Körperpflege nahelegt, aber wie genau damals für Sauberkeit gesorgt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis ebenso wie die Antwort auf die Frage nach dem Einsatz von Drogen, berauschenden Getränken und Heilpflanzen. Mit ein Grund dafür, dass vieles offen bleiben muss, ist auch, dass die zu den hier besprochenen Siedlungen gehörigen Bestattungsplätze bis heute nicht bekannt sind. Die Menschen selbst, deren Leben hier bruchstückhaft rekonstruiert wird, entziehen sich also noch dem Zugriff der Archäologie und werden nur selten einmal direkt greifbar (z.B. durch Zahnabdrücke in einer Art Kaugummi aus Birkenpech).
Eine Sammlung von kurzen Pflanzenporträts der im Text besprochenen Arten, eine Übersichtskarte zu den archäologischen Stätten und eine tabellarische Auflistung der dort gemachten Funde runden den durchgängig reich bebilderten und äußerst lesenswerten Band ab.
Sabine Karg, Ewald Weber: Heilsam – Kleidsam – Wundersam. Pflanzen im Alltag der Steinzeitmenschen. Darmstadt, Theiss (WBG), 2019 (Sonderheft der „Archäologie in Deutschland“ 01/2019), 112 Seiten.
ISBN: 9783806239423