Karwendelgold

Seit Jahrzehnten hütet die im Werdenfelser Land ansässige Bauernfamilie Hüttinger, mit der es immer weiter bergab geht, von einem Vorfahren in einer Kirchenruine entdeckte alte Pergamentseiten. Als Sohn Max, der nicht nur unter der Gewalttätigkeit seines Vaters, sondern auch unter seinem wenig lukrativen Job im Discounter und seinem geringen Ansehen im Freundeskreis leidet, schnell an Geld gelangen will, erscheint es ihm als die einfachste Lösung, das mittelalterliche Dokument per Internetauktion an zwei halbseidene Interessenten zu verscherbeln, nur um verspätet zu erkennen, dass er den Wert des Erbstücks viel zu gering veranschlagt hat. Das setzt eine Kette von Ereignissen in Gang, die neben einem zwielichtigen Münchener Antiquitätenhändler und einem kletterbegeisterten Urlauber, der manchmal neugieriger ist, als es ihm guttut, bald auch den örtlichen Kommissar Ignaz Greibl – Ordnungsfanatiker, Wagnerfan und Ziel eines beharrlichen Eroberungsfeldzugs seiner Nachbarin Lisa – auf den Plan rufen. Denn was als nicht ganz legale Schatzsuche im Karwendel beginnt, führt bald zu mehr als einem blutigen Mord …

Martin Schemms Karwendelgold wird vom Verlag zwar als Bergkrimi beworben, aber einen typischen Whodunit, in dem die Ermittlungsarbeit und das Rätseln, wer die Tat (bzw. Taten) begangen haben könnte, im Vordergrund stehen, darf man nicht erwarten. Eher ist es eine Tragödie mit Ansage, die sich hier abspielt: Als der erste Mord begangen wird, ist das kurze Buch, dessen Handlungszeit sich auf wenige Tage beschränkt, schon halb vorbei, und ab dann geht es in Thrillermanier darum, ob die Person, die dahintersteckt, aufgehalten werden kann, bevor alles noch viel schlimmer kommt. Doch bevor das Blutvergießen einsetzt, nimmt Martin Schemm sich Zeit, seine Figuren einzuführen, wobei Greibls amüsant ausgemaltes Privatleben einen Kontrapunkt zu den eher trostlosen Ereignissen um die Hüttingers bildet. Auch weniger zentrale Gestalten und ihre Lebenssituation werden jedoch mit scharfem Blick und spitzer Feder skizziert. Ein Leichenfund? Darauf erst einmal einen Schnaps!

Breiten Raum nimmt, wie bei einem Bergkrimi und dem vor allem auf Wander- und Kletterführer spezialisierten Verlag nicht überrascht, auch die Schilderung der Gebirgslandschaft und der Bergtouren vor allem des Touristen Henning Franke ein, dessen Kurzurlaub deutlich abenteuerlicher gerät als geplant, ist es doch nicht unbedingt risikolos, chronisch neugierig zu sein, wenn man es mit gewaltbereiten Kriminellen zu tun hat – ganz abgesehen davon, dass eine Felswand, in der man gerade kletternd unterwegs ist und keinen Handyempfang hat, zwar ein idealer Beobachtungsposten sein mag, aber die Gefahr nicht gerade minimiert, wenn das, was man sieht, ausgerechnet ein Mord ist.

Doch Karwendelgold wäre kein Roman von Martin Schemm, wenn es nicht auch eine ausgeprägte historische Komponente gäbe, die dafür sorgt, dass die Polizei auf Geisteswissenschaftlerhilfe zurückgreifen muss, um auf die richtige Spur zu kommen. Die Überführung der Gebeine des glücklosen Papstes Benedikt V. von Hamburg nach Rom ist für das, was sich gut 1000 Jahre später abspielt, von entscheidender Bedeutung, ebenso wie das nur kurz existierende Kloster Scharnitz, und ein Fund wie der, auf den im Buch gleich mehrere Figuren (wenn auch aus eher fragwürdigen Motiven heraus) hoffen, würde wohl jedes Mediävistenherz höher schlagen lassen. Aber auch wenn einem solch eine Entdeckung wohl leider verwehrt bleiben wird, ist Karwendelgold eine spannende Lektüre, die sich flott und unterhaltsam „wegliest“.

Martin Schemm: Karwendelgold. Ein tödliches Geheimnis. Bergkrimi. München, Bergverlag Rother, 2014, 208 Seiten.
ISBN: 978-3-7633-7068-9


Genre: Roman