König Artus‘ Tochter

Mordred, König Artus‘ einziger Sohn, entstammt nicht nur einer inzestuösen Beziehung, sondern ist auch charakterlich enttäuschend. So beschließt Artus, seine Tochter Ursulet zu seiner alleinigen Erbin zu erklären. Doch nach dem Tod des Königs brechen für sein Reich unruhige Zeiten an, und ein Sachsenangriff fegt das Kloster hinweg, in dem Ursulet aufgewachsen ist. Erst Jahre später macht sich der junge Ritter Ambris auf die Suche nach der verschollenen Prinzessin, die als Magd versteckt überlebt hat. Aber nicht nur von den Sachsen droht weiterhin Gefahr, sondern auch von Mordred, der sich mit der finsteren Zauberin Morgana verschworen hat und sich und seinen Nachkommen selbst die Krone sichern möchte …
Die Sagen um König Artus bieten seit dem Mittelalter immer wieder ausreichend Stoff für eine mittlerweile schier unüberschaubare Fülle von Romanen. Vera Chapmans in den 1970er Jahren als dritter Teil einer losen Trilogie entstandenes Buch um die vom Schicksal gestrafte Königstochter Ursulet bildet insofern eine interessante Variante, als hier nicht nur eine fiktive weibliche Gestalt die Hauptrolle übernimmt, sondern, wie die Autorin in ihrem Vorwort erläutert, auch ganz gezielt eine ahistorische Märchenwelt entworfen wird, in der Mythen und Magie, hochmittelalterliche Lebensart und die politische Situation kurz nach Ende der Römerzeit miteinander verknüpft werden. Als Kulisse funktioniert diese eklektische Mischung aber verblüffend gut und schafft gerade aufgrund der selbstverständlichen Einbindung von Zauber und Rätselhaftem eine ganz eigene phantastische Atmosphäre. Immer wieder merkt man dem Text nicht nur Chapmans Vertrautheit mit den mittelalterlichen Ausprägungen der Artussage, sondern auch ihre Kenntnisse der Mythologieforschung des späten 19. bis mittleren 20. Jahrhunderts an (wenn sie James Frazer und Robert Graves nicht sehr genau gelesen hätte, sollte es einen zumindest wundern). Dieser Bildungshintergrund, der vielen heutigen Autoren fehlt, hebt den Weltenbau erfreulich über den Durchschnitt hinaus.
Weniger überzeugend gerät dagegen die Figurenzeichnung, die nichts Subtiles oder Indirektes hat, sondern in ihrer Schwarzweißmalerei eher in ein Märchen als in einen Roman zu passen scheint. Insbesondere der Schurke Mordred ist so abgrundtief böse, dass seine Charakterisierung schon nahe an einer Karikatur entlangschrammt. Ambris dagegen ist ganz der edle Ritter, den nur seine Bereitschaft, sich für andere aufzuopfern, angreifbar macht, und Ursulet mag zwar etwas naiv sein, hat aber gute Eigenschaften und Führungsstärke ihrer Eltern so unverfälscht geerbt, dass selbst jahrelange Sklaverei psychisch kaum negative Auswirkungen auf sie zu haben scheint. Spannend ist an ihrer Darstellung – und auch an der von Ambris‘ Großtante Lynett, die als zupackende Agentin unterwegs ist – nur der bemerkenswert moderne Blick auf die Frauenrolle. So erweist sich die Königstochter als Naturtalent im Drachenkampf und wagt sich sogar in die Schlacht.
Insgesamt bleibt der Eindruck, den man von Chapmans Interpretation der Artussage erhält, deshalb ein wenig uneben. Die Schlichtheit der Personen und ihre oft unbedarft wirkende Handlungsweise lassen wenig Realismus aufkommen, aber die entworfene Welt und einige Ideen sind so gut, dass man ihnen eine Ausführung in klassischerer Romanform gewünscht hätte. Für alle Artusbegeisterten und Fantasyfans lohnt sich die Lektüre jedenfalls trotz allem, da König Artus‘ Tochter einfach einen erfrischend originellen Ausflug ins Genre abseits ausgetretener Pfade darstellt.

Vera Chapman: König Artus‘ Tochter. München, DTV, 2002 (Original: 1976), 192 Seiten.
ISBN: 3423205598


Genre: Roman