Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar

Judith Potts ist eine alte Kreuzworträtselautorin, die dank einer reichen Erbschaft im beschaulichen Marlow ein entspanntes Leben nach ihrem Geschmack führen kann. Als sie gerade einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen – dem Nacktbaden in der Themse – nachgeht, hört sie, wie ihr Nachbar erschossen wird. Die Polizei nimmt ihre Beobachtungen erst nicht ernst und ist eher geneigt, die Sache als Suizid oder Unfall abzutun. So muss Judith eigenmächtig aktiv werden und beginnt unerschrocken zu ermitteln, nur um bald mit einem weiteren Mord konfrontiert zu sein, der mit dem ersten in Zusammenhang zu stehen scheint. Ist hier ein Serienkiller am Werk, oder ist alles doch etwas komplizierter? Die Unterstützung der Pfarrersfrau Becks und der Hundesitterin Suzie kommt Judith bei ihren Ermittlungen durchaus gelegen, aber dass sie selbst ein dunkles Geheimnis hütet, lässt sich nicht ewig vor ihren neugierigen neuen Freundinnen verbergen …

Zugegeben: Der Titel Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar lässt erst einmal an Richard Osmans Erfolgsroman Der Donnerstagsmordclub denken und knüpft vielleicht zu Marketingzwecken auch gezielt daran an, aber abgesehen davon, dass in beiden Krimis die Ermittlungen nicht von Profis durchgeführt werden, ähnelt Robert Thorogoods von Ingo Herzke angenehm übersetztes Buch dem Bestseller nicht weiter. Ein echter Club wird hier nämlich gar nicht gegründet; die drei Protagonistinnen begegnen sich zunächst eher zufällig, weil die Verbrechen Personen in ihrem jeweiligen Bekanntenkreis betreffen, und tun sich unter Judiths Führung zum Ermitteln zusammen.

Das kann man in gewisser Weise auch als Leser tun, denn das Buch ist ein fairer Krimi zum Miträtseln. Wer viel im Genre liest, wird die Auflösung hinter den Morden wahrscheinlich relativ früh erraten, da das gewählte Muster kein ganz neues ist (so ist z. B. in einem von Marc Paillets Abbé-Erwin-Bänden die Erklärung für mehrere Todesfälle praktisch die gleiche wie hier). Aber auf atemlose Spannung ist Mrs Potts’ Mordclub ohnehin nicht angelegt, sondern eher auf den Spaß daran, hinter der idyllischen Fassade des englischen Kleinstadtlebens das Verbrechen lauern zu sehen und drei sympathische Hauptfiguren mit Ecken und Kanten bei ihren humorvoll geschilderten und teilweise herrlich schrägen, aber durchaus erfolgreichen Nachforschungen zu begleiten, während reichlich Tee und Whisky fließen.

Die exzentrische Judith scheint dabei sowohl in ihrem Habitus (ohne Cape geht sie nicht aus dem Haus) als auch in ihrer Ermittlungstaktik stark von den Miss-Marple-Verfilmungen mit Margaret Rutherford inspiriert zu sein, nur, dass sie keinen Mr Stringer, sondern zwei weitere Frauen an ihrer Seite hat. Judith, die vorbestrafte und nach einer gescheiterten Ehe mit ihren erwachsenen Töchtern hadernde Suzie und die perfektionistische Becks, die ihr Aufgehen in der Hausfrauen- und Mutterrolle nur mimt, um nicht eingestehen zu müssen, wie unglücklich sie eigentlich ist, sind auf den ersten Blick ein unwahrscheinliches Trio. Gerade dadurch bedienen sie aber die sicher tief in vielen Menschen verwurzelte Sehnsucht, auch im mittleren bis höheren Alter, wenn vieles im Leben nicht so wie erhofft gelaufen ist, noch Freundinnen finden zu können, auf die man sich absolut verlassen kann und die mit einem die wildesten Abenteuer bestehen. Auch Polizistin Tanika – die Kontaktperson der drei bei den Behörden – passt mit ihrem Leiden darunter, Familie und Karriere nicht befriedigend unter einen Hut bringen zu können, ganz gut in das Schema der unerfüllten Träume, das auch in den Biographien der drei Heldinnen anklingt.

Der große Showdown, bei dem einem Verdächtigen eine Falle gestellt wird, die dann aber doch nicht ganz so zuschnappt wie erhofft, ist für den ansonsten eher gemütlichen Krimi etwas zu überdramatisch geraten, und dass Judith hier in höchster Not noch Zeit hat, ihre Lösung des Falls in aller Ausführlichkeit darzulegen, strapaziert die Glaubwürdigkeit ein bisschen. Aber auf den allerletzten Tiefgang und Realismus kommt es bei diesem Roman, den man sich auch gut verfilmt vorstellen könnte, eigentlich gar nicht an. Das, was er verspricht – amüsante Unterhaltung am milderen Ende des Krimigenres -, bietet er jedenfalls voll und ganz.

Robert Thorogood: Mrs Potts‘ Mordclub und der tote Nachbar. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2022, 416 Seiten.
ISBN: 978-3-462-00198-3


Genre: Roman