Song of the Current

Der Lebensweg der siebzehnjährigen Caroline Oresteia scheint vorgezeichnet: Als Tochter eines Flussschiffers wird sie irgendwann in die Fußstapfen ihres Vaters treten und mit Frachttransporten und gelegentlichem Schmuggel ihren Lebensunterhalt verdienen. Nur die Tatsache, dass sie die Stimme des Flussgotts, der die Schiffer leitet, nicht hören kann, bereitet ihr heimlich Sorgen. Doch als Kapitän Oresteia unversehens verhaftet wird, hat sie auf einmal ganz andere Schwierigkeiten zu bewältigen. Um die Freiheit ihres Vaters zurückzugewinnen, muss sie in Behördenauftrag eine geheimnisvolle Kiste an Bord nehmen, die sie ungeöffnet an ihrem Bestimmungsort abliefern soll. Natürlich ist die Neugier stärker als die Vorsicht, und so stellt Caroline erschrocken fest, dass man ihr keine Waren, sondern einen in einen magischen Schlaf versetzten Mann anvertraut hat, der nicht erfreut ist, vorzeitig geweckt worden zu sein. Tarquin, wie er sich nennt, ist angeblich ein Kurier, der in politischer Mission unterwegs ist. Aber Caroline und ihre treue Freundin, die Froschfrau Fee, ahnen bald, dass es mit ihm mehr auf sich hat, als er zugibt, zumal sich auch eine finstere Piratenbande allzu sehr für ihren unerwarteten Passagier interessiert und über Leichen geht, um seiner habhaft zu werden. Als dann auch noch Carolines undurchsichtige Verwandtschaft mütterlicherseits ins Geschehen eingreift, überschlagen sich die Ereignisse, und auf einmal ist sogar mit Drachen und Untoten zu rechnen …

Sarah Tolcsers Song of the Current ist als Eingangsband einer Reihe um Caroline Oresteia konzipiert, lässt sich aber problemlos als in sich abgeschlossener Roman lesen. Der Tiefgang bleibt überschaubar, auch wenn die Protagonisten im Laufe der Geschichte von einem Flussschiff auf ein hochseetüchtiges Gefährt wechseln, aber ein vergnügliches und flott zu lesendes Fantasyabenteuer bietet der kleine Roman dennoch. Bunt ausgemalt ist vor allem die Kulisse, eine multikulturelle frühneuzeitliche Welt, die sich ein bisschen so ausnimmt, als würde der Mississippi durch ein in unterschiedliche Staaten aufgeteiltes Griechenland fließen. Auch eine Art Atlantis gibt es, und dass es sich dabei nicht um einen reinen Mythos, sondern einen ganz realen Ort handelt, ist angesichts des Genres keine so große Überraschung, dass man sie in einer Rezension verschweigen müsste. Ohnehin werden übernatürliche Elemente nicht sparsam eingesetzt: Neben dem handfesten Eingreifen von Gottheiten, die auch schon einmal das Wetter im Sinne ihrer Günstlinge beeinflussen oder das direkte Gespräch suchen, gibt es ein originelles, auf der Nutzung von Licht und Schatten basierendes Magiesystem und mit den Froschleuten auch omnipräsente nichtmenschliche Wesen.

Die Handlung ist eine schwungvolle Mischung aus Coming-of-Age-Roman, Liebesgeschichte und politischer Fantasy. Der gewohnte Konflikt zwischen Usurpator und rechtmäßigem Thronerben wird dadurch aufgelockert, dass auch noch eine von einem verbannten Adligen im Exil angeführte Demokratiebewegung das Ringen um Macht und Einfluss ein wenig aufmischt. Auf der Figurenebene wird die Bühne unangefochten von der Ich-Erzählerin Caroline und Tarquin dominiert, doch die Nebenfiguren – insbesondere der enigmatische Nereus – sind immerhin so nett skizziert, dass man ihnen ein wenig mehr Zeit gönnen würde, sich zu präsentieren.

Der Eindruck, dass es gute Ansätze gibt, die es verdient gehabt hätten, ausführlicher ausgearbeitet zu werden, lässt sich letztlich auf den gesamten Roman übertragen. So aber bleibt er trotz eines spektakulären Tauchgangs über weite Strecken an der Oberfläche, ist aber eine nette Ablenkung, wenn man den Alltag einmal für ein paar beschwingte Lesestunden vergessen möchte.

Sarah Tolcser: Song of the Current. New York, Bloomsbury, 2017, 376 Seiten.
ISBN: 978-1-68119-783-8


Genre: Roman