TickTackTakTik

In für das moderne Berlin nicht untypischen prekären Verhältnissen lebt ein Neuköllner Ehepaar, Luise und Lars Dietrich. Zur Zeit ihres Kennenlernens waren noch beide im Journalismus tätig, während sie mittlerweile als esoterische Telefonberaterin sein Leben als Autor und Musiker finanziert und ihre eigenen Gedichte dabei zu kurz kommen. Kein Wunder also, dass Luise auf die Dauer nicht glücklich mit sich selbst und diesem Arrangement ist, zumal Lars Dietrich und sein Musikerkollege – ein weiterer Lars – mehr Geschäftssinn von ihr erwarten und ihr immer wieder vermeintlich wohlüberlegte Marketingstrategien aufzudrängen versuchen. Die ihr nur telefonisch bekannte wohlhabende Kundin Carina bietet da mit ihren ständigen Männergeschichten eine willkommene Abwechslung, bis sich Stück für Stück abzuzeichnen beginnt, dass Beraterin und Klientin mehr Berührungspunkte haben, als ihnen zunächst bewusst ist, und so nimmt das Unheil seinen Lauf …

Wie auch in ihren Erzählungen in den Bänden Sehnsucht und Lost Paradise stellt Anette van den Bergh in ihrem Roman TickTackTakTik das menschliche Dasein in seiner Beziehung zur Kunst in den Mittelpunkt. Nicht ohne Grund evoziert der Titel dabei das Ticken einer Uhr: Neben Männlichkeit und Weiblichkeit samt all ihren Tücken innerhalb verschiedener (Liebes-)Verhältnisse spielt nämlich das Verstreichen der Zeit beim oft vergeblichen Warten auf den großen musikalischen oder literarischen Durchbruch, der Suche nach dem richtigen Partner und der Auseinandersetzung mit Sehnsüchten und (oftmals geplatzten) Lebensträumen allgemein eine große Rolle. Wie viel Zeit jeweils seit für Luise einschneidenden Erfahrungen vergangen ist oder wie viele (unweigerlich zu kurze) Minuten ihr für ihren Auftritt in einer zweifelhaften Wahrsage-TV-Show zur Verfügung stehen, findet leitmotivisch immer wieder Erwähnung, so dass gewissermaßen bei der Lektüre die Uhr im Hintergrund mittickt. Ganz dazu passend ist die Sprache des Romans ein beständiger Strom, lyrisch, oft lautmalerisch, und prägt das für Annette van den Bergh so typische Ineinanderfließen von Erzählerbericht, erlebter Rede und nicht durch Anführungszeichen abgegrenzten Dialogen in einer Art, die beim Lesen Sogwirkung entfaltet.

Literarische Anspielungen gibt es nicht zu knapp, ob nun ganz klassisch auf John Donnes Erkenntnis, dass kein Mensch eine Insel ist, und Platons Symposion und die darin enthaltene Geschichte von den einst zweigeteilten Menschen, die in der Liebe ihre andere Hälfte wiederzufinden hoffen, oder moderner und populärkultureller auf das Dschungelbuch sowie aufs Taubenvergiften (allerdings nicht im Park, sondern auf der Dachterrasse). Auch Kunst, Märchen und Mythologie, von Babylon bis Botticelli, sind, wie von Annette van den Bergh gewohnt, immer wieder in den Text eingeflochten und helfen, eine Welt heraufzubeschwören, in der – um Luises Einschätzung eines Musiklokals zu zitieren – „[a]lles ranzig. Aber ranzig mit Stil“ und nur die Kaffeemaschine wirklich edel ist.

So ernst die zugrundeliegenden Themen – wie die Kritik an der gnadenlosen Kommerzialisierung und Vermarktung von Spiritualität und Kunst sowie am Zynismus des Literaturbetriebs, aber noch mehr die Frage, inwieweit wir viel von unserer Lebenszeit bei allen hochfliegenden Plänen eigentlich nur vertun – auch sein mögen, TickTackTakTik ist trotz allem kein rein spöttischer und verbitterter Roman, sondern immer auch mit einer gewissen Leichtigkeit, bisweilen finsterem Humor und viel Gespür für Satire geschrieben. Zu all dem Menschlichen und allzu Menschlichen, das hier mit spitzer Feder, aber nicht ohne Gefühl karikiert wird, passt dann auch, dass alles am Ende noch eine augenzwinkernde Wendung nimmt, die zwar nicht ganz einen typischen Deus ex Machina erfordert, aber doch ein Spiel mit literarischen Konventionen (in mehr als einem Sinne) beinhaltet. Die Kunst bleibt also auch auf der Metaebene bis zum Schluss präsent, und die beim Lesen verstrichene (oder vielleicht angenehm dahingetickte?) Zeit ist deshalb auf alle Fälle nicht verschwendet.

Annette van den Bergh: TickTackTakTik. Norderstedt, BoD, 2021 (E-Book).
ISBN: 978-3-7543-1907-9

 


Genre: Roman