Trolle

Dämonische Unholde des Mittelalters, tumbe Bösewichter des neuzeitlichen Märchens, niedliche Gesellen im modernen Kinderbuch, Standardinventar der Fantasy und kitschiges Souvenir – Trolle haben schon vielen Rollen übernehmen müssen. Wie genau sich die Trollvorstellung in Mythologie, Literatur und bildender Kunst von der Wikingerzeit bis heute immer wieder gewandelt hat, zeichnet der Mediävist Rudolf Simek in seiner äußerst lesenswerten neuen Studie Trolle nach. Das üppig bebilderte Buch geht dabei gerade in seiner detailreichen Deutung literaturgeschichtlicher Zusammenhänge noch über John Lindows thematisch ähnlich konzipiertes Werk Trolls hinaus und bietet nicht nur einen glänzenden Überblick über das, was in verschiedenen Epochen den typischen Troll ausmacht, sondern auch über sprachlich mit Trollen assoziierte Ortsnamen und Begriffsfelder (historisch in Skandinavien die Zauberei, heutzutage vor allem unliebsames Verhalten im Internet).
Die Anfänge des Trollglaubens vor über 1000 Jahren liegen im Dunkeln, und die frühesten Erwähnungen erlauben noch kein allzu klares Trollbild. Trolle – so kann man nur ahnen – waren ursprünglich mit Tod und Anderswelt assoziierte Wesen, denen Gefährlichkeit für die Menschen, aber auch magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Erst ab der Sagaliteratur des Hoch- und Spätmittelalters treten sie deutlicher hervor: Den Naturgewalten und der alten heidnischen Welt verbunden, sind sie oft grobschlächtige und hässliche Gegner der Helden, die gleichwohl durchaus in Trollfrauen Ziehmütter oder Geliebte finden können. In diesem Punkt ähneln sie den Waldmenschen oder wilden Frauen der mitteleuropäischen Literatur, wie überhaupt die Übergänge zu Untoten und Riesen zunächst noch fließend bleiben.
Riesengleiche Züge legen Trolle auch in vielen Märchen der Neuzeit an den Tag: Als böse, einzelgängerische Menschenfresser wahren sie ihre Bedrohlichkeit, sind jedoch aufgrund ihrer Dummheit leicht zu überlisten und haben so oft das Nachsehen. Parallel dazu entstehen im südlichen und östlichen Skandinavien jedoch Geschichten, die anstelle der gewaltigen Unholde von einst wichtel- oder elfenartig in Gemeinschaften lebende kleine Trolle in den Vordergrund rücken.
Beide Sorten von Trollen finden ihren Niederschlag auch in der modernen Literatur. Während die für Erwachsene und Jugendliche gedachte Fantasy den großen und gefährlichen Troll als Antagonisten (seltener auch als positiv besetzte Figur) kennt, sind in der Kinderliteratur seit Mitte des 20. Jahrhunderts verstärkt putzige und soziale Trolle unterwegs.
Bei der Beschäftigung damit gewinnen die Trolle teilweise den Charakter einer Streitschrift, da es dem Autor sehr wichtig zu sein scheint, gegen eine solche Verniedlichung und Verharmlosung ins Feld zu ziehen. Hier wünscht man Simek dann doch etwas mehr Toleranz und Verständnis dafür, dass gerade im Kinderbuch die Schilderung freundlicher Varianten ursprünglich bedrohlicher Gestalten aus dem Volksglauben erstens nicht verwerflich und zweitens kein auf Trolle beschränktes Phänomen ist (man denke etwa an Die kleine Hexe oder Das kleine Gespenst bei Otfried Preußler). Allerdings muss die Rezensentin zugeben, als Verfasserin von Geschichten, in denen gelegentlich hilfreiche, wenn auch nicht notwendigerweise harmlose Trolle auftauchen, eindeutig parteiisch zu sein, was die Zuschreibung sympathischer Eigenschaften an diese Wesen betrifft.
Doch ganz gleich, ob man Simeks Wertungen nun in allen Punkten unterschreiben mag oder nicht, bleibt die Qualität seines Buchs unbestritten. Positiv fällt vor allem der große Raum auf, der Primärtexten eingeräumt wird, damit sie für sich selbst sprechen können (neben kurzen Zitaten sind ein längerer Auszug aus Þorsteins Þáttr uxafóts und drei norwegische Volkserzählungen über Trolle enthalten). Auch die schiere Fülle des in die Analyse einbezogenen Materials – vom archäologischen Fund bis hin zu Film und Fernsehen – ist bemerkenswert und trägt zu dem Eindruck bei, dass wirklich so gut wie alle wichtigen Aspekte des Gegenstands zumindest angesprochen, oft aber auch ausführlich erörtert werden. Ein Glossar mit literaturwissenschaftlichen und historischen Fachbegriffen erleichtert Laien den Zugang zur Lektüre, die sich für jeden Interessierten unbedingt lohnt.
Den Wunsch, dieses Buch mögen die Trolle holen (im Altnordischen laut Simek eine sehr üble Verfluchung), hat man also nach dem Lesen gewiss nicht; damit, dabei von den Trollen auf die bestmögliche Art gefangen genommen zu werden, sollte man aber durchaus rechnen.

Rudolf Simek: Trolle. Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum Internet. Köln u.a., Böhlau, 2018, 256 Seiten.
ISBN: 9783412507435


Genre: Kunst und Kultur, Märchen und Mythen