Die Wahrsager Calchas und Phobos haben dem tumben Krieger Bromios zur Herrschaft über das Königreich Arkadia verholfen und nutzen ihre Machtstellung an seinem Hof nun skrupellos aus, um Anhänger der alten matriarchalen Religion zu verfolgen und sich selbst zu bereichern. Der Schreiber Lucian kommt Unregelmäßigkeiten in der Palastbuchführung auf die Schliche und ist naiv genug, seine Entdeckung ausgerechnet Calchas zu offenbaren. Fortan muss er um sein Leben fürchten. Auf seiner Flucht aus der Hauptstadt Metara schließen sich ihm der in einen Esel verwandelte Dichter Fronto und die zauberkundige Joy-in-the-Dance an. Frontos einzige Hoffnung auf Rückverwandlung besteht darin, sich an die menschliche Verkörperung der entschwundenen Göttin zu wenden, die „Lady of Wild Things“. Doch auf dem Weg zu deren Heiligtum am Berg Panthea lauern ungeahnte Gefahren, und die mächtige Frau selbst steht in dem Ruf, arkadischen Männern nicht unbedingt wohlgesonnen zu sein …
Lloyd Alexander ist vor allem als Autor der Prydain Chronicles um den jungen Taran bekannt. Einige Elemente in seinem charmanten Jugendbuch The Arkadians ähneln auch tatsächlich den aus der berühmteren Reihe schon vertrauten: In beiden Fällen sammelt ein zunächst unbedarfter jugendlicher Held nach und nach Gefährten um sich, darunter ein ihm in mancherlei Hinsicht überlegenes Mädchen und einen vom Pech verfolgten Dichter, und die wichtigste Inspirationsquelle ist jeweils die Mythologie (bei Taran die keltisch-walisische, in diesem Fall die griechische). Ein reiner Abklatsch der älteren Serie in mediterranen Gefilden ist The Arkadians aber dennoch nicht.
Zum einen unterscheidet sich die Grundstimmung erheblich. Schwingt in den Prydain Chronicles bis zum bittersüßen Ende immer ein gewisses Maß an Düsternis und Verlust mit, sind Lucians Abenteuer trotz aller Härten, denen sich die Protagonisten stellen müssen, durchgehend sehr heiter und humorvoll erzählt und von spritzigen Dialogen und viel Situationskomik geprägt.
Zum anderen sind The Arkadians, auch wenn sie ursprünglich für Jugendliche und ältere Kinder gedacht sein mögen, fast eher eine für Erwachsene geeignete Lektüre, sind sie doch in hohem Maße ein literarisches Spiel, in dem es oft auch ganz explizit ums Geschichtenerzählen und um stilistische Fragen geht. Homer, Ovid, Apuleius und Lukian von Samosata haben dafür erkennbar ebenso Anregungen geliefert wie die typische Struktur antiker Romane, und neben Ilias und Odyssee sind auch die Sagen um Pandora, den Minotaurus, Narziss und Echo und noch manche mehr mit eingeflossen, wenn auch nicht selten ironisch auf den Kopf gestellt.
Abgesehen davon, dass auch noch Zentauren und Faune in einer Form, die der Phantasie des Palaiphatos entsprungen sein könnte, durchs Bild huschen, fügt Alexander der bezaubernden Mischung eine Fülle von religions- und kulturhistorischem Wissen und Anspielungen auf die minoische und mykenische Kultur hinzu (dass die „Lady of Wild Things“ namentlich und zum Teil auch in ihrem Habitus an die Potnia theron angelehnt ist, stellt dabei nur ein spannendes Detail unter vielen dar). Beim Lesen immer neue dieser oft augenzwinkernd eingeflochtenen Einzelheiten zu entdecken, macht einfach großen Spaß.
Ganz perfekt ist der Roman dennoch nicht. Manchen Entwicklungen hätte man mehr Platz zur allmählichen Entfaltung gewünscht, und dafür, dass die Frage nach einem gerechten Geschlechterverhältnis eines der zentralen Themen des Buchs ist, gibt es bis auf die furios in Szene gesetzte Joy-in-the-Dance viel zu wenige Frauengestalten, die mehr als nur Hintergrundfiguren sind. Doch von diesen kleinen Wermutstropfen sollte man sich nicht weiter stören lassen. Insgesamt betrachtet sind The Arkadians nämlich trotz allem herrliche Wohlfühllektüre und für Antikeninteressierte ebenso ein Hochgenuss wie für Fantasyfans.
Lloyd Alexander: The Arkadians. London / New York u.a., Puffin Books, 1997 (Original: 1995), 276 Seiten.
ISBN: 9780140380736