Lesestoff: Eine gelbe Rose

In den anstrengenden Zeiten, die wir derzeit alle durchmachen, tut ein bisschen Lektüre zur Ablenkung vielleicht ganz gut. Deshalb gibt es heute im Blog etwas Neues – eine kleine Geschichte von mir, in der unter anderem auch der Namensgeber dieser Website auftritt.

Wer neugierig ist, was ich außer Rezensionen noch schreibe oder was zwischen meinen Romanen Tricontium und Die Teeräuber in Aquae Calicis passiert ist, findet hier die Antwort. Übrigens können auch alle, die Fantasy sonst nicht unbedingt gern lesen, beruhigt einen Versuch mit dieser Geschichte wagen, denn übernatürliche Elemente enthält sie bis auf einen handlichen Drachen nicht, und der beißt heute nicht, versprochen!

 

Eine gelbe Rose

 

„Das verzeihe ich dir nie, Ardeija“, verkündete Wulfila.

Er meinte damit nicht unbedingt, dass Ardeijas kleiner Drache Gjuki derzeit eifrig damit beschäftigt war, die Haselnüsse aufzufressen, die Wulfila sich zur Beruhigung bereitgelegt hatte und eigentlich gleich selbst hatte verzehren wollen.

Ardeijas Auflachen war mehr als selbstbewusst und wie immer gefährlich ansteckend.

Ihre Freundschaft hatte so manches überlebt, seit sie sich als Jungen kennengelernt hatten, erbitterte Übungskämpfe, ernsthafte Auseinandersetzungen und sogar die Tatsache, dass sie in einem blutigen Bürgerkrieg auf unterschiedlichen Seiten gestanden hatten.

Noch wundersamer war vielleicht, dass ihre fast brüderliche Nähe sich danach unbeschadet wiedereingestellt hatte, obwohl Ardeija mittlerweile die Wachen einer Richterin befehligte, während die Beschäftigungen, denen Wulfila seither nachgegangen war, eine ganze Weile weniger löblich gewesen waren. Zu seinen Heldentaten zählte, dass er es fertiggebracht hatte, sich für einen Hühnerdiebstahl brandmarken zu lassen, und zwar ausgerechnet von der besagten Richterin, einer Frau mit kastanienbraunem Haar, einem gelegentlich recht boshaften Sinn für Humor und einem abscheulichen Geschmack, was Männer anging.

Hätte sie in der Hinsicht etwas mehr Verstand besessen, hätten ihre scharfen dunklen Augen nie und nimmer Ardeija übersehen, den sie nun schon seit Jahren vor der Nase hatte. Er war schließlich ein guter, großherziger Mensch und nicht dumm, auch wenn er Letzteres manchmal vergaß, wenn es galt, irgendein wildes Vorhaben zu verfolgen. Ganz abgesehen von seinen inneren Vorzügen bot er auch nicht unbedingt einen hässlichen Anblick, heute weniger denn je, da er festlich in meergrüne Seide gekleidet war.

„Du verzeihst mir schon“, behauptete er nun kühn und veränderte den Winkel des Spiegels, den er Wulfila hinhielt. „Früher oder später wirst du mir danken.“

Angesichts seines Spiegelbilds wagte Wulfila das zu bezweifeln.

Vielleicht hätte er vorausahnen sollen, was ihn erwartete. Als sie noch jung und töricht gewesen waren, hatten sie sich gelegentlich gegenseitig die Haare geflochten, um, wenn auch mit wechselndem Erfolg, die neueste höfische Mode nachzuahmen. Aber was Ardeija heute in der Küchenecke geleistet hatte, in die er Wulfila vor knapp einer Stunde geschleift hatte, um ihn auf einen Hocker zu setzen und ein sehr gründliches Verschönerungswerk zu beginnen, ging über jene Spielereien aus einem anderen Leben hinaus.

Der kunstvolle Zopf, den Wulfila auf der rechten Schulter sacht durch den noch zu steifen und neuen Stoff seiner blauen Tunika spürte, war mit glatten Silberschnüren durchflochten und sorgfältig so zurechtgezogen, dass er selbst einem alles andere als lieblichen Gesicht schmeichelte und dessen zu schmale und spitze Züge unvertraut weich wirken ließ.

Vor allem aber trug Wulfila nun einen üppigen Kranz aus Efeu und Immergrün, der ihn an den übermütigen Bacchus auf einem der alten Sarkophage draußen in der Römernekropole vor dem Südtor erinnerte. Ein einäugiger Witwer, der bei der Belagerung von Salvinae und in der Schlacht von Bocernae gekämpft hatte und noch dazu ein gebrandmarkter Dieb war, hatte gewiss kein Recht, sich so zu schmücken und dabei seltsam jung und hoffnungsvoll zu wirken.

„Ich sehe nicht aus wie ich selbst“, gab Wulfila also zu bedenken, weil Ardeija viel zu zufrieden mit seinem Werk zu sein schien.

„Das sollte ein Bräutigam auch nicht“, beschied ihn Ardeija, legte den Spiegel beiseite und griff nach dem Parfümfläschchen, das neben den spärlichen Überresten der Haselnüsse wartete. Er musste erst Gjukis Schwanz vom Flaschenhals lösen, aber das kostete ihn nur eine geübte Handbewegung. „Und nun halt brav still.“

Wulfila wusste, dass selbst eine rasche Flucht ihn nicht mehr gerettet hätte, und so ertrug er es geduldig, in viel zu viel Blumenduft gehüllt zu werden.

„Und die hier? Ist das wirklich nötig?“, fragte er, als das Schlimmste überstanden war, und berührte die einzelne gelbe Rose, die Ardeija in die Mitte des Kranzes gesteckt hatte wie einen Edelstein, der in einer Krone die Stirn eines Königs zierte.

Ardeija beugte sich zu ihm. „Gelbe Rosen mag sie besonders, merk dir das“, flüsterte er mit verschwörerischer Miene, als gäbe er damit ein großes Geheimnis preis. Dabei lächelte er so sehr, dass man ihm anmerkte, wie stolz er darauf war, spät im Jahr, kurz vor Anbruch des Winters, noch eine unvergleichlich prächtige Blüte an einem der Rosenstöcke seiner Mutter gefunden zu haben. „Und ein Bräutigam muss nun einmal Blumen im Haar haben, das gehört sich.“

„Bei seiner ersten Hochzeit vielleicht“, wandte Wulfila ein. Ihm war nur zu gut bewusst, dass er kein unschuldiger Junge mehr war, der sich einreden konnte, dass tiefe Liebe allein schon genug sein würde, alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, die eine Ehe mit sich brachte, von der bis auf einige freundliche Seelen die gesamte Menschheit annahm, dass die Braut einen schweren Fehler beging.

„Dann ist ja alles, wie es sein sollte“, sagte Ardeija im Tonfall schönster Vernunft. „Es ist schließlich das erste Mal, dass du Frau Herrad heiratest. Und nun komm, deine Braut hat lange genug warten müssen.“

„Ich möchte gar nicht wissen, was sie sagt, wenn sie mich so zu Gesicht bekommt“, murmelte Wulfila und hoffte insgeheim doch, dass es kein Scherz, sondern etwas Lobendes sein würde.

Ardeija würdigte ihn keiner Antwort, und so blieb ihm nichts übrig, als gehorsam aufzustehen und sich seiner Richterin zu stellen.

Finis

Nachtrag: Mittlerweile ist diese kleine Geschichte zusammen mit mehreren anderen in meinem Buch Immergrün und Walküren erschienen, so dass dieser Blogbeitrag zugleich als Leseprobe dient.

Nachtrag Nr. 2 (August 2021): Heike Baller von der Kölner Leselust hat mich damit überrascht, dass sie diese Geschichte eingelesen hat. Wer Eine gelbe Rose gern hören möchte, findet sie inzwischen also auch auf Youtube.

5 Gedanken zu „Lesestoff: Eine gelbe Rose

  1. Pingback: Lesestoff: Geisterreigen | Ardeija

  2. Nina Bodenlosz

    Oh, böse dass der Arme nun heiraten muss. Aber die schön gekleideten Männer mit den aufwendigen Frisuren gefallen mir gut. Ich würde gern mehr über diese Welt erfahren!

  3. KBB

    Wie schön! Als ich zu der Stelle mit der neuen Tunika kam, dachte ich: „Die Hochzeit!“ Ich hätte ja gerne noch etwas über Herrad gelesen. Ich mag die beiden einfach zu gerne, aber es ist auch immer schön, Szenen mit Ardeija und Wulfila zu lesen. Es ist eine Art kleines Happy End, dass sie zumindest ihre Freundschaft nach dem Krieg und allem anderen wieder aufnehmen konnten.

    Viele Dank für „Die Teeräuber“. Das war dieses Jahr mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst, und auf dem E-reader hat es mir so manchen Abend mit schlafende Baby im Arm versüßt. Besonders gut gefallen hat mir, dass man mehr über Wulf erfahren hat. Zu meiner großen Überraschung war sein ehemaliger Dienstherr nicht der hinterhältige Schurke, als den ich ihn mir vorgestellt hatte. Skrupellos schon, aber trotzdem ein bisschen nachvollziehbar.

    Viele Grüße!
    KBB

    1. Ardeija Beitragsautor

      Ganz herzlichen Dank für den Kommentar! Vielleicht kommt mir ja irgendwann noch die zündende Idee, um ein paar Sätze zu Herrads Sicht auf die Hochzeit zu schreiben.

      Wenn „Die Teeräuber“ keine Enttäuschung waren, freut mich das sehr. Was Wulfs ehemaligen Dienstherrn betrifft: Wenn der ein völliger Bösewicht wäre, hätte ich wohl meine Schwierigkeiten gehabt, vor mir selbst zu begründen, warum Wulf lange Jahre klaglos für ihn gearbeitet hat.

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