Lesestoff: Hechte, Mond und Sterne

Darauf, dass Hechte, Mond und Sterne als Podcast abrufbar ist, habe ich ja vor einer Woche schon hingewiesen. Für alle, die Geschichten lieber lesen als hören, kommt sie hier aber nun auch noch einmal in schriftlicher Form. Viel Spaß bei der Lektüre!

 

Hechte, Mond und Sterne

 

Skadi stand beim Schweinekoben, als Alva ihr den Frosch brachte.

Es war ein milder Herbstabend in Haithabu, der hätte schön sein können, aber Skadi achtete kaum auf das goldene Licht, das die Häuser innerhalb des Ringwalls an der Slia umfloss, sondern beschränkte sich ganz darauf, den Eimer mit Essensresten und Eicheln zur Freude des grunzenden Empfängers gründlich in den Trog zu leeren.

Eigentlich war es nicht ihre Aufgabe, das Schwein zu füttern, aber dass sie es nun tun musste, hatte sie sich selbst zuzuschreiben.

„Ach, lass nur“, hatte sie nämlich vorhin gesagt, als Aud nach dem Eimer gegriffen hatte. Denn Aud war in letzter Zeit oft blass um die Nase, einmal, weil ihr Bauch sich immer weiter rundete und das Leben beschwerlich machte, dann aber auch, weil sie trotz des Kindes, das da wuchs, ständig rannte, schleppte und wühlte, um ihrer Mutter Torfa, die seit Wochen Blut hustete, abzunehmen, was sie nur konnte. Darum tat Skadi stillschweigend ihrerseits alles, um Aud zu unterstützen, und hatte es schon die letzten Monate über getan, obwohl doch bei so vielen Leuten im Haus die Last auf zahlreiche Schultern hätte verteilt sein sollen.

Aber Alva war mit ihren nicht ganz acht Jahren bei allem guten Willen noch zu klein, wie eine erwachsene Frau mit anzupacken, Helgi hatte nun einmal ein krankes Bein, das den arbeitsreichen Sommer nicht gut verkraftet hatte, und Theudoald – der eine Mitschuld an der üblen Lage trug, weil er Aud schließlich zu dem Kind verholfen hatte, das sie nun so ermüdete – verschwand oft schon früh am Morgen mit seinem Kessel zum Landesteg oder zum Tor, wo die Kundschaft für seine Garküche zahlreicher war als auf der engen Straße neben Torfas Werkstatt. Und wer wollte es ihm verdenken, dass er so gern floh, wenn doch nichts anderes verhinderte, dass er mit anhören musste, wie Aud jedem erzählte, dass diejenigen irrten, die behaupteten, dass fränkische Männer im Bett nicht viel taugten?

Oh ja, sie alle hatten gute Gründe, nicht hier zu sein, um das Schwein zu füttern, und da Skadi, die es auch nicht tun wollte, einen Schuldigen brauchte, beschloss sie, dass Auds Neffe verantwortlich war. Schließlich hatte er sich einfach nach einem langen Winter in einem zu engen Haus, das ihm auf einmal eine ungeliebte Tante und ihr Anhang streitig gemacht hatten, auf eines der ersten Schiffe geschlichen, die im Frühjahr immer dann abfuhren, wenn die Kraniche gen Norden flogen, und hatte seitdem nichts von sich hören lassen.

Skadi wäre ihm böse gewesen, wenn sie ihn nicht so beneidet hätte.

Die jungen Leute hielten sich alle für so abenteuerlustig, wenn sie auszogen, um zu plündern, Handel zu treiben und ferne Länder zu sehen. Sie taten, als hätten es die leicht, die zu Hause auf den Höfen und in den Städten blieben. Noch vor einem Jahr war Skadi selbst töricht genug gewesen, diese Einschätzung zu teilen. Wäre sie gefragt worden, hätte auch sie sich in die Brust geworfen und stolz erzählt, welch eine Heldin man sein musste, wenn man kämpfen, tosende Stürme bezwingen und allen Gefahren furchtlos ins Auge blicken wollte. Doch man musste eigentlich nicht sonderlich tapfer sein, um das zu tun, das wusste sie heute, wusste es besser, als sie es je hatte wissen wollen, denn was dort draußen geschah, ging immer rasch vorüber. Jeder zornige Berserker, dem man entgegentrat, war binnen kurzer Frist entweder besiegt oder siegreich, und kein Unwetter tobte ununterbrochen ein ganzes Jahr lang.

Dagegen konnte man sehr wohl ein Jahr lang zusehen, wie Torfa immer schwächer und gebeugter wurde, und ahnen, dass sie nicht heute oder morgen sterben würde, aber vielleicht doch, bevor ihr Enkelkind geboren war, und ganz gewiss, bevor sie die Zeit gehabt hatte, all die kleinen Kunstgriffe weiterzugeben, die ihre Glasperlen über das bloße Mittelmaß hinaushoben. Man konnte auch ein Jahr lang jeden Morgen beobachten, wie Helgi sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Füße stemmte, weil sein verletztes Knie nicht besser wurde und der Kampf, den er gegen Schmerzen und Unbeweglichkeit ausfocht, nie ein Ende nehmen würde, bevor es auch mit ihm selbst aus war. Man konnte sich über Wochen mit einer minderwertigen Glaslieferung aus Dorestad herumärgern, ohne dass man die Sache mit der Streitaxt klären durfte. Man konnte sich stillschweigend darüber grämen, dass man auf der großen Reise, zu der man selbst aufgebrochen war, weder Ruhm noch Gold erlangt, sondern nur ein Schiff und gute Freunde verloren hatte, so dass einem jetzt nichts blieb, als zusammen mit Aud bei deren Mutter unterzukriechen. Man konnte tagtäglich grübeln, wie man weiter gut für den Mann mit dem kranken Bein und seine kleine Tochter sorgen sollte, die das Einzige waren, was man von der besagten Reise mitgebracht und behalten hatte.

Und zu guter Letzt konnte man dieses verdammte Schwein füttern, das einen viel zu nett angrunzte, sich mit dem Gedanken quälen, dass man trotz aller uneingestandenen Freundschaft mit ihm vermutlich diejenige war, die es im Winter würde schlachten müssen, und bis in die Knochen spüren, dass auch das nächste Jahr nicht weniger zermürbend geraten würde.

Wie konnte man da den dummen Jungen, der vor alledem davongelaufen war, nicht beneiden?

Und in diese Sehnsucht nach einer unbeschwerteren Zeit, in der man für niemanden als sich selbst verantwortlich gewesen war, trug Alva ihr den Frosch hinein.

Erst war gar nicht zu sehen, dass es ein Frosch war, nur, dass Alva, die vom Brunnen drei Häuser weiter kam, den schweren Eimer mit einer Hand schleppte und sich die andere vor die Brust presste, als hätte sie Schmerzen.

Das betrübte Gesicht, das sie machte, passte dazu, aber sie schritt kräftig aus, so dass sie nicht krank sein konnte. Vielleicht hätte Skadi Alva einfach zum Haus weiterlaufen lassen sollen, weil Helgi doch ihr Vater war und sich besser auf sie verstand als eine törichte Stiefmutter, die das weite Meer vermisste. Aber Helgi war vorhin schon so schlecht auf den Beinen gewesen, dass er sich stumm und bleich hingelegt hatte, nachdem sie die Werkstatt zugeschlossen hatten. Da mochte irgendein Kinderkummer schon eine Belastung zu viel sein.

„Was hast du denn, Alva?“, fragte Skadi also, als das Mädchen näher heran war.

Alva zögerte, als wüsste sie, dass Skadi die Frage gern ungestellt gelassen hätte, und antwortete dann doch: „Einen Frosch.“

Mit diesen Worten löste sie die Finger ein wenig, und Skadi sah, dass in der dunklen Höhle zwischen Kinderhand und Kittelstoff tatsächlich ein armes kleines Fröschlein saß, dessen rechtes Hinterbein ganz verdreht wirkte. Das war nicht gut, da Alva weiter so traurig dreinsah, als würde sie gleich zu weinen beginnen, und noch dazu seltsam, weil Alva sonst nicht zu den Kindern gehörte, die einem ständig Kleingetier ins Haus holten.

„Stell hin“, sagte Skadi mit Blick auf den elend schweren Wassereimer. „Mit dem Frosch hat es doch etwas auf sich, nicht wahr? Das sehe ich dir an, also erzähl schon, denn wenn man Kummer in sich hineinfrisst, wächst er, bekommt Zähne und nagt einem an den Eingeweiden.“

Aber nicht einmal das brachte Alva zum Lachen; sie senkte nur den Kopf und schloss die jetzt freie zweite Hand mit um den Frosch. „Eigentlich hat Thora ihn gefunden, drüben beim Brunnen“, erklärte sie, und das war noch schlechter als alles andere. Denn Thora, die eine Straße weiter wohnte, war ein unangenehmes kleines Mädchen und hatte ihre Freundinnen schon mehr als einmal aufgestachelt, Alva zu ärgern. „Da musste ich ihn schnell mitnehmen, damit Thora ihm nichts tun konnte. Sie wollte ihn totschlagen, weißt du?“

„Was, harmlose Frösche schlägt sie auch noch tot?“ Skadi sah sich in ihrer wenig vorteilhaften Meinung über das abscheuliche Nachbarskind bestätigt. „Das sollte mich wohl nach allem, was sie sich schon geleistet hat, nicht wundern, aber anständig ist das nicht.“

Doch da war noch mehr. Alva zögerte wieder und erklärte dann doch: „Weil sein Bein nicht ist, wie es sein soll, hat sie gesagt. Einer, der nicht mehr laufen kann, ist zu nichts nütze; den kann man gleich totschlagen.“ Zwei quälend lange Atemzüge später setzte sie hinzu: „Das sollte man besser auch mit meinem Vater machen, sagt sie.“

„So, das hat Thora also gesagt?“, vergewisserte Skadi sich erbittert. „Dann soll das kleine Dreckstück sich vorsehen – wenn ich es erwische, gehe ich hin und ersäufe es eigenhändig in der Slia, es sei denn, du kommst mir zuvor.“

Das immerhin entlockte Alva ein winziges Lächeln, doch sie hielt die Hände weiter fest um den Frosch geschlossen, und Skadi konnte sich denken, dass das Tier durch Thoras boshafte Worte in irgendeiner Weise zu Helgi geworden war und deshalb doppelt und dreifach beschützt werden musste.

Aber das ging nicht, denn wie sollte man denn einen kranken Frosch pflegen? Man konnte ihm doch keine Fliegen fangen, und in einem Haus musste es einem wie ihm ohnehin zu trocken sein.

In etwa das sagte Skadi auch zu Alva, die aber das Richtige vermutete und ihren Fund nicht freigeben wollte. „Zurück zum Brunnen kann er doch auch nicht, sonst stößt ihm etwas zu.“

„Nein, dem stößt nichts zu“, hörte Skadi sich selbst sagen und verabscheute sich dafür, zu feige für die Wahrheit zu sein. Allerdings konnte man kaum ehrlich bleiben, wenn alle so anstrengende Monate hinter sich hatten und niemand in Tränen ausbrechen sollte. „Das ist ein ganz besonderer Frosch, der sehr gut zurechtkommt, wenn man ihn nur von Thora fernhält.“

„Und woher weißt du das?“

„Das haben mir die Molche erzählt“, stürzte Skadi sich kopfüber ins Verderben und setzte in dem edlen Bestreben, den Frosch zumindest ein kleines Stück von Helgi wegzurücken, noch hinzu: „Und auch, dass das hier kein Frosch ist, sondern eine Fröschin.“

„Ja?“, fragte Alva zweifelnd.

„Ja“, bekräftigte Skadi. „Und zwar ist es eine Fröschin, die als Kaulquappe im Teich der Molche gelebt hat … Dem, in dem auch Haithabu-unter-dem-Teich liegt, weißt du? Dein Vater hat dir doch schon viele Geschichten von den Molchen und Hechten da unten erzählt, von ihren Gewändern aus Muschelseide und ihren aufregenden Abenteuern. Von dort stammt auch die Fröschin.“

„Ja?“, wiederholte Alva und löste die Hände ein wenig, um ihren Schützling zu betrachten.

Skadi ergriff die Gelegenheit, zuzupacken und den Frosch in den leeren Futtereimer zu setzen.

„Du gibst sie aber doch nicht dem Schwein, nicht wahr?“, fuhr Alva auf.

„Nein“, versicherte Skadi und überlegte fieberhaft, was sie stattdessen mit dem Tier anfangen sollte, damit es nicht noch vor Alvas Augen einging. „Wir … Wir bringen sie hinüber zum Graben auf der Ziegenweide am Wall. Da ist es feucht und angenehm für eine kleine Fröschin, und außerdem wohnen dort ein paar von ihren Molchfreunden, die sich um sie kümmern können, bis ihr Bein wieder gesund ist. Sie ist nämlich eine sehr tapfere Fröschin, geachtet im Teich und zu Lande unter Fröschen und Molchen. Man kommt schließlich nicht zu einem lahmen Bein, wenn man nichts Mutiges unternimmt. Dein Vater hat seines ja auch nur, weil er einen gefährlichen Kundschaftergang unternommen hat.“

Alva sah sie an, als wolle sie sagen, dass sie nur zu genau wusste, dass Helgi auch ohne jeden Heldenmut vom Schuss eines rachsüchtigen Feinds getroffen worden wäre, aber dann erkundigte sie sich nur: „War die Fröschin denn auch eine Kundschafterin?“

Skadi warf einen Blick auf den bedauernswerten Eimerinsassen und verfluchte sich selbst dafür, dieses eine Mal von ihrer lebenslangen Überzeugung abgewichen zu sein, dass tröstliche Lügen nichts nützten. Nun musste sie das Märchen weiter ausspinnen, und so etwas lag ihr doch nicht. „Ja“, behauptete sie dennoch, „ja, in gewisser Weise kann man das so sagen, nicht wahr, Fröschin? Sie wollte etwas herausfinden.“

Der Frosch in seinem Eimer blieb stumm und regte sich wenig, und um diese besorgniserregende Tatsache zu verschleiern, eilte Skadi raschen Schritts Richtung Ziegenweide.

„Haben die Frösche denn Krieg geführt? Gegen die Hechte?“, fragte Alva, und obwohl kein Lachen in ihrer Stimme lag, hatte Skadi den Verdacht, dass das Kind nur allzu gut durchschaute, wie Helgis Molch- und Hechtgeschichten aufgebaut waren und wozu sie dienten.

Das war bewundernswert, aber nicht dienlich, um die Laune zu heben, denn das konnte eine Geschichte schließlich nur tun, wenn sie einen so überraschte und bannte, dass man nicht schon jede Wendung vorausahnte.

Deshalb sagte Skadi: „Nein, auch wenn die Hechte mit vorkommen … Die sind immer dabei, die Hechte, so ist das nun einmal; man wird sie nicht los. Aber erst einmal waren da noch keine Hechte, sondern nur allerlei Frösche und Molche, die Haithabu-unter-dem-Teich verlassen hatten, um an Land zu leben. Erst war es ja auch ganz schön da – nicht so viele wildbewegte Wellen wie im Wasser und auch keine Hechte! Aber nun kamen die hungrigen Iltisse besser an die Frösche und Molche heran, und das war wiederum nicht gut … Denn sie waren alle sehr hungrig, die Iltisse, weißt du? Es war ein schlechtes Mäusejahr, und so brauchten sie viele Frösche und auch viele Molche.“ Im Vorübergehen nickte sie zum Gruß einer Nachbarin zu, die mit einem großen Reisigbündel auf dem Heimweg war, und hoffte, dass die Frau zu schwer beladen war, auch nur daran zu denken, einen Blick in den Froscheimer zu werfen.

„Hat die Fröschin die Iltisse ausgekundschaftet?“, fragte Alva.

„Nein“, entgegnete Skadi, denn das wäre zu einfach gewesen, und lauschte in sich hinein, um zu ergründen, was die Fröschin stattdessen getan hatte. „Unsere Fröschin sann auf ein anderes Mittel, um Abhilfe zu schaffen. Du weißt doch, dass die Frösche in den Sommernächten viel quaken, nicht wahr? Da singen sie den Mond an, den sie gern betrachten. Und weil sie ihn so gern betrachten, wissen sie auch alle, dass er immer nach und nach wieder ganz wird, obwohl ihn doch allmonatlich der große, hungrige Wolf oben am Himmel stückweise auffrisst. Wie gesagt, das wissen die Frösche. Aber nur unsere Fröschin hier war schlau genug, sich zu überlegen, dass sie doch hingehen und den Mond nach seinem Geheimnis fragen könnte. Sie sagte sich nämlich: ‚Wenn der Mond weiß, wie man es bewerkstelligt, wieder ungefressen zu werden, nachdem man verschlungen worden ist, dann kann er es uns gewiss erklären, und wenn wir es erst wissen, können wir ebenfalls wieder ganz werden, so hungrig die Iltisse auch sein mögen!‘ Das also sagte sich die Fröschin. Es bestand nur eine Schwierigkeit: Hoch genug springen, um zum Mond zu kommen, konnte sie nicht, obwohl sie doch eine so tapfere Fröschin war. Darum kommen nun die Hechte ins Spiel. Habe ich dir nicht versprochen, dass sie noch dabei sein würden?“

„Hast du“, bestätigte Alva in heiligem Ernst.

Skadi nickte befriedigt. „Die Hechte also … Denen war dort unten im Wasser langweilig, denn eine so gut befestigte Stadt wie Haithabu-unter-dem-Teich anzugreifen, wäre ihnen übel bekommen, und immer nur unvorsichtige Molche zu entführen, die sich zu weit in den Teich wagten, war kein sehr einträgliches Geschäft. Das fand vor allem Hecht-Thora, die böse Tochter des finsteren Hecht-Jarls. Die wollte mehr Ruhm und Ehre, als sich im Teich erwerben ließen, und vor allem auch Gold, um sich prächtig schmücken zu können und vom ganzen Wasservolk beneidet zu werden. Aber einfach neben dem Teich auf Wikingerfahrt gehen konnte sie nicht, denn dann wäre sie mit den Iltissen aneinandergeraten, und mit denen will sich selbst eine Hecht-Thora nur ungern anlegen, das kannst du mir glauben! Deshalb schwamm sie übellaunig hin und her, und wie sie so schwamm, da sah sie über dem Teich goldglänzend die Sterne funkeln. Da kam ihr der Gedanke, dass sie doch einfach den Himmel plündern könnte – und das, obwohl die Sterne doch allen gleichermaßen dienen und man sie deshalb tunlichst nicht stehlen sollte. Aber so einer wie Hecht-Thora war das natürlich gleichgültig, und sie ließ rasch ein Drachenboot bauen. Wenn Hechte ein Boot bauen, um an Land oder an den Himmel zu fahren, ist es aber immer eines, das aussieht, als hätte man zwei Boote aufeinandergestellt, denn sie müssen ja Wasser hineinlassen, sonst könnten sie nicht atmen. Ein rundes Boot also, das ließ Hecht-Thora bauen und mit Wasser füllen. Sie hatte keine Schwierigkeiten, viele Hechte zusammenzubekommen, um es zu bemannen, denn der Gedanke, die Sterne zu stehlen, gefiel ihnen allen. ‚Wir werden reiche, berühmte Hechte‘, das sagten sie und klopften sich gegenseitig mit den Flossen auf den Rücken.“

„Wenn man einfach ein solches Boot bauen kann, um in den Himmel zu fahren, warum hat die Fröschin dann keines gebaut, um zum Mond zu gelangen?“, fragte Alva mit gutem Recht.

Skadi fasste im Stillen den Entschluss, das Geschichtenerzählen künftig wieder Helgi zu überlassen, doch das half ihr jetzt auch nicht weiter, und so verkündete sie: „Frösche und Molche sind keine großen Bootsbauer, weil sie sich ja zu Land und zu Wasser bewegen können und selten etwas oben am Himmel zu tun haben. Die Hechte dagegen mussten einst lernen, Boote zu bauen, weil sie sonst gar nicht an Land gelangen können – genau, wie die Menschen ihrerseits auf dem Wasser ohne Boot nicht weiterkommen. Ganz abgesehen davon erfordert es großen Aufwand, hinauf in den Himmel zu fahren, das kann man nur tun, wenn man davon ausgeht, dass es auch etwas einbringt, wie etwa die goldenen Sterne. Denn der Wind weht ja gemeinhin nicht von unten nach oben, und guten Rückenwind braucht man, um bis zum Himmelsgewölbe zu reisen. Rudern allein reicht nicht aus. Also muss man ein großes Feuer entzünden. Die warme Luft steigt nach oben, das hast du doch auch schon oft gesehen! Wenn das Feuer groß ist, gibt das genug Wind von unten nach oben.“

„Genug Wind, um ein Schiff in den Himmel zu tragen?“

„Keines voller Menschen, das wäre dann doch zu schwer. Aber mit einem kleinen Hechtschiff voller Hechte geht es. Sie hatten ja viele Molche gefangen genommen. Die mussten ihnen das Feuer entzünden. Und da die Molche gut Freund mit den Fröschen waren, verrieten sie unsere Fröschin nicht, als sie von außen auf das Schiff der Hechte kroch, um sich mit an den Himmel tragen zu lassen und sich mit dem Mond zu unterhalten. Aber leider ging das nicht lange gut. Denn Hecht-Thora hatte ein Fenster ins Drachenboot bauen lassen, um zu sehen, wohin sie fuhr, und durch dieses Fenster erspähte sie unsere Fröschin, als sie schon hoch oben in der Luft waren. Da befahl sie eilends ihren Hechten, im Boot immer hin und her zu schwimmen, hin und her, hin und her.“ Sie vollzog die Bewegung selbst etwas zu eifrig nach, aber das war nicht gut, da der arme Frosch dabei durchgerüttelt wurde, und so kam sie schnell zum Ende: „Da schwankte und wankte das Boot ganz fürchterlich. Das hatte die Fröschin nicht vorhergesehen, und so fiel sie dann vom Drachenboot und verletzte sich leider das Bein, als sie neben unserem Brunnen hier landete, weit weg von ihrem Teich. Da wusste sie nun gar nicht, was sie tun sollte, aber zum Glück bist du gekommen und hast sie gerettet, so dass sie jetzt ganz bequem in unserem Eimer zu ihren Molchfreunden reisen und sich pflegen lassen kann.“

Alva wirkte trotz dieses halbwegs tröstlichen Endes, auf das Skadi ungeheuer stolz war, noch unglücklich. „Dann hat sie nicht erfahren, wie der Mond sich wieder ungefressen macht, nicht wahr?“

„Nein“, räumte Skadi ein, der jetzt erst auffiel, dass das Vorhaben ihrer Heldin gescheitert war, „aber das hätte der Mond ihr ohnehin nicht verraten dürfen. Dort oben am Himmel mag es ja angehen, dass Gefressenes wieder ungefressen wird. Aber wenn die Frösche und Molche um das Geheimnis wüssten, dann müssten alle Iltisse verhungern, und die Reiher und Störche und dergleichen auch. Das wäre nicht gut, und wenn die Frösche ein wenig nachdenken würden, könnten sie das auch verstehen. Denn stell dir nur vor, wie es ihnen ergehen würde, wenn die Fliegen um die Kunst des Ungefressenmachens wüssten!“

„Dann hatte das alles ja gar keinen Sinn.“ Alva sah aus, als dächte sie bei sich, dass ihr Vater weit bessere Geschichten kannte.

Skadi konnte es ihr noch nicht einmal übel nehmen. „Doch“, entgegnete sie trotz allem mit Nachdruck, „eines hat es genützt: Jetzt hat sie eine große, abenteuerliche Geschichte über etwas zu erzählen, das so noch kein Frosch erlebt hat, und das ist viel wert, vielleicht weit mehr als das Ungefressenwerden. Denn am Ende sind es doch Geschichten, die einem den Mut und das Leben retten, auch inmitten aller Iltisse und Hechte. Wenn Helgi uns nicht so häufig von den Molchen erzählen würde, dann wüssten wir doch oft nicht weiter. Aber die Molche helfen einem immer, und jetzt helfen sie auch unserer Fröschin.“ Sie waren mittlerweile am Graben eingetroffen, der die Ziegenweide beim Wall begrenzte, und Skadi stellte den Eimer sanft ab. „Willst du sie heraussetzen? Sie kann ja nicht im Eimer bleiben. Kommt, kleine Molche! Eure Freundin, die Fröschin, ist hier und braucht Hilfe.“

Alva rührte sich nicht und sah erst Skadi, dann die neugierigen Ziegen auf der anderen Grabenseite und schließlich das Fröschchen im Eimer an. „Du meinst, ich soll sie hier aussetzen, ja?“

Skadi nickte, und zu ihrer unendlichen Erleichterung griff Alva zu und setzte den Frosch tatsächlich auf den Boden.

Einen Augenblick lang war es sehr still; dann riefen hoch über ihnen ziehende Gänse, und als hätte dieser Laut Zaubermacht, geschah es, dass sich das hohe Gras am Graben teilte. Drei kleine Molche traten daraus hervor, doch keine gewöhnlichen Molche, sondern solche, die auf zwei Beinen gingen und Muschelseide trugen, Helgis Molche aus Haithabu-unter-dem-Teich. Zwei beeilten sich, den Frosch in die Mitte zu nehmen; der dritte dagegen stellte sich sehr aufrecht hin, legte das Molchköpfchen schief und sagte: „Es ist nicht schön von dir, dass du die Geheimnisse des kleinen Volks vom Teich in der Stadt herumerzählst, Skadi. Du redest zu laut, weißt du das? Aber weil du die Fröschin hergetragen hast, wollen wir es dir noch einmal verzeihen.“

Dann waren sie so schnell fort, wie sie gekommen waren, und der Frosch mit ihnen. Das Gras schloss sich und stand wieder ruhig am Grabenrand, als wäre nichts gewesen.

Skadi wusste nicht recht, ob nur der Frosch davongehüpft und zwischen den Halmen unsichtbar geworden war oder ob wirklich ein Molch mit ihr gesprochen hatte.

„Dann musst du die Geschichten künftig ganz leise erzählen“, sagte Alva und beantwortete so die Frage, die Skadi nicht laut zu stellen gewagt hatte. „Sie sollen doch nicht böse werden.“

„Nein. Böse werden sollen sie nicht, und wir müssen jetzt nach Hause“, sagte Skadi und war dankbar, als ihnen nach wenigen Schritten auf dem Bohlenweg Theudoald entgegenkam, denn Alvas unverhohlene Bewunderung dafür, dass Skadi ganz offensichtlich die Molche herbeigezaubert hatte, war nicht zu vermeiden und machte sie doch nur verlegen.

Theudoald war guter Laune und ließ den Kochkessel im Gehen hin und her schwingen. „Leer geworden“, verkündete er und fuhr Alva mit der freien Hand zur Begrüßung übers Haar. „Die Leute waren hungrig.“

„Wie die Iltisse“, sagte Alva.

„Wie die Iltisse?“, wiederholte Theudoald in Unkenntnis der Grundlage dieses kühnen Vergleichs. „Nun ja, vermutlich wie die Iltisse, da wirst du Recht haben. Was habt ihr beiden denn noch so spät draußen beim Wall gemacht?“

„Einen Frosch retten“, sagte Skadi, und Alva setzte hinzu: „Eine ganz besondere Fröschin sogar.“

„Das ist schön“, sagte Theudoald lächelnd und begann zu erzählen, wie viele Frösche immer auf den Wiesen bei Quentovic gewesen waren, wo er als kleiner Junge gespielt hatte. So verging der Rückweg mit einer Unterhaltung über sonnenbeschienenes Gras im Frankenreich, das in der Erinnerung gewiss auch doppelt und dreifach so schön war wie in Wirklichkeit, bis sie in die Nähe des Brunnens kamen und Thora noch draußen herumstreifen sahen.

Leider war die Kleine klug genug, die Beine in die Hand zu nehmen, als sie bemerkte, dass Alva nun in Gesellschaft zweier Erwachsener unterwegs war, und da sie schnell rennen konnte, wurde vorerst nichts aus dem Plan, sie zur allgemeinen Befriedigung in dem nahen Meeresarm zu versenken. Das ihr zugedachte unerfreuliche Schicksal bot aber reichlich neuen Gesprächsstoff, bis sie nach Hause gelangten, und Skadi glaubte, dass die Fröschin und ihre Molchfreunde nun vergessen sein würden.

Sie blieben es aber nur bis zum nächsten Morgen, auch wenn Molchgeschichten der Werkstatt sonst gewöhnlich sehr fern waren. Als Helgi Skadi den Tiegel hinhielt, damit sie die Glasabfälle, die wieder eingeschmolzen werden mussten, leichter einfüllen konnte, sagte er mit gesenkter Stimme: „Ich weiß nicht, wie du Alva glauben gemacht hast, dass du ihren Frosch gerettet hast, aber sie ist zutiefst überzeugt, dass ihn die Molche mitgenommen haben und nun gesundpflegen, und dafür danke ich dir. Ich weiß, dass du nicht gern Lügenmärchen erzählst, aber dieses eine musste sie hören, sonst hätte sie einen schlimmen Abend gehabt, nach Thora und alledem.“

Skadi schaute auf, musterte ihn und fragte sich, ob er sie für verrückt erklären würde, wenn sie ihm sagte, dass tatsächlich die kleinen Molche gekommen waren, wie Alva getreulich berichtet hatte. Da die Gefahr durchaus bestand, beschränkte sie sich auf ein Schulterzucken und erwiderte: „Vielleicht hast du Recht, dass man manchmal solche Geschichten erzählen und selbst daran glauben muss.“

„Ob ich Recht habe oder nicht, ich bin dankbar, dass du sie erzählst, wenn ich es nicht kann“, gestand Helgi mit einem schiefen Lächeln. „Denn wenn so ein Bein über Monate derart wehtut, wird es schwer, sich noch etwas über die Molche einfallen zu lassen.“

Wenn er das zugab und der Schmerz selbst jetzt, da Helgi ruhig neben der Feuerstelle saß und sein Knie nicht belastete, nicht aus seinen Augen schwand, musste es ein schlimmer Tag sein.

Skadi hätte ihn gern in die Arme geschlossen, doch der Tiegel war im Weg, und so ging es nicht; die Hand konnte sie ihm aber streicheln. „Dann sag, wenn du auch eine Geschichte hören musst, die ablenkt. Ich erzähle dir eine, damit du lachst und ganz vergisst, dass du ein Knie hast.“

„Die fliegenden Hechte in ihrem Drachenboot“, erwiderte Helgi sogleich, und einen Herzschlag lang meinte Skadi, den Helgi sehen zu können, der er gewesen war, lange bevor sie ihn kennengelernt hatte, Klein-Helgi in Alvas Alter mit großen Augen und einer schon damals unstillbaren Gier nach immer neuen Geschichten. „Was aus denen geworden ist, würde ich wirklich gern hören.“

Skadi zog die Augenbrauen hoch. „Aus den Hechten? Die haben sich die Flossen verbrannt, so einfach war das. Als Hecht-Thora und ihre Leute nämlich dort oben am Himmel ankamen, mussten sie erkennen, dass sie sich geirrt hatten. Die Sterne waren gar nicht aus Gold, sondern aus Feuer, und wer sie stehlen will, der verbrennt sich unweigerlich die Finger … Oder die Flossen, wenn er ein Hecht ist. So mussten sie in Schimpf und Schande ohne Gold in ihren Teich zurückkehren, als das große Feuer erloschen war und ihr Drachenboot wieder hinabsinken konnte. Künftig lachten hinter ihrem Rücken alle über sie, bis hin zu den kleinsten Molchen und Fröschen. Und wenn die Hechte nicht so dumm gewesen wären, hätten sie es auch von vornherein wissen können, denn ihr ganzer Plan beruhte ja darauf, dass das Feuer nach oben steigt. Wenn sie also besser nachgedacht hätten, hätten sie gewusst, dass die Sterne nichts anderes als die Funken sind, die aus all den Feuern auf Erden nach oben fliegen und dann hoch oben am Himmelsgewölbe hängenbleiben, um dort weiterzuleuchten.“

„So ist das also?“

„Ja, so ist das, und es muss so sein, damit Licht und Wärme niemals ganz fortgehen, nicht einmal in den kalten Winternächten.“

„Die können gar nicht ganz fortgehen, solange du da bist“, sagte Helgi und sah sie so an, wie er sie manchmal in ihrem langen gemeinsamen Sommer auf dem Schiff betrachtet hatte.

„Ach, red keinen Unsinn“, gab Skadi unwirsch zurück und beugte sich wieder über den Tiegel, um endlich mit der Arbeit fortzufahren. Aber in ihr breitete sich wohlig so etwas wie Zufriedenheit aus, der die Träume von der wilden See zumindest für diesen einen Tag weichen mussten.