Es ist eine ganze Weile her, dass ich den letzten Beitrag mit einem Ausschnitt aus einem meiner Bücher hier im Blog veröffentlicht habe. Diesmal gibt es eine kurze Passage aus meinem neuesten Buch Verzauberte und Unbesungene, allerdings nicht nur schriftlich, sondern für alle, die daran Interesse haben, auch von mir gelesen zum Anhören.
Mathilde, die Leibwächterin eines hochrangigen Mitglieds der Hofkanzlei, benötigt Hilfe dabei, eine verschwundene Urkunde auf nicht ganz legalem Weg wiederzubeschaffen. Zeitgleich mit dem Abhandenkommen des Dokuments sind zwei wenig vertrauenerweckende Wikingersöldner wegen einer Messerstecherei verhaftet worden, und das gedenkt Mathilde auszunutzen.
Mathilde sucht Hilfe
(Verzauberte und Unbesungene, S. 15 – 17)
Es war Mathildes Glück, dass der alte Radulf, der die wenigen Krieger des Königsguts befehligte, sie nicht nur als Justas beschützenden Schatten, sondern auch und vor allem als Tochter eines einstigen Kampfgefährten kannte.
Als sie ihn vorn am Tor aufsuchte und ihm sagte, dass sie dringend einen der beiden gefangenen Söldner unter vier Augen sprechen müsse, ohne dass jemand etwas davon erfuhr, musterte er sie zwar kurz, schlug ihr aber die Bitte nicht ab.
»Such dir einen aus«, sagte er nur, ging zum Küchenhaus voran und holte keinen seiner Krieger, aber dafür einen ebenso starken wie wortkargen Knecht zu Hilfe, bevor er ihr die Tür zu dem behelfsmäßigen Gefängnis aufschloss.
Die Kammer, die als vorläufiger Verwahrungsort der Söldner aus dem Norden diente, war eng und dunkel, und so sah Mathilde nur das Wichtigste, als sie dicht vor den beiden stand und sich entscheiden musste, wer ihr für den Auftrag, den sie zu vergeben hatte, tauglich erschien. Der kräftige Kerl zu ihrer Rechten mit dem lockigen schwarzen Bart wirkte, als wäre seine Hilfe bei wirklich allem und jedem für den richtigen Preis zu erkaufen, aber sein schmalerer Gefährte – bartlos, braunhaarig und allem Anschein nach ein paar Jahre jünger – hatte Augen, die ihr gefielen. Das gab binnen eines Atemzugs den Ausschlag.
»Den da«, befahl sie kurz entschlossen und wusste noch nicht, dass sie damit ihre Wahl für ein ganzes Leben traf. Auch der Söldner, auf den sie zeigte, wusste es nicht, konnte es nicht wissen; so wie er dreinsah, nahm er eher an, dass sie gerade festgelegt hatte, wessen Kopf sie zuerst rollen sehen wollte.
Aber er leistete keinen Widerstand, sondern ging zwischen Radulf und dem Knecht brav mit durch die Tür und dann die Treppe hinab in einen der Vorratskeller, die seit der Flut ungenutzt geblieben waren, weil die Feuchtigkeit noch immer in den Wänden steckte. Die schlanke Säule in der Mitte des Raums, die das Gewölbe trug, wirkte aber unerschütterlich fest. Radulf war nicht unnötig grob, als er Mathildes neuen Bekannten mit dem Rücken daran stellte und ihm die Hände hinter der Säule mit Handschellen fesselte, die so uralt wirkten, als wären sie aus Römertagen übriggeblieben, aber er bestand darauf.
»Sicher ist sicher«, verkündete er mit zufriedener Miene, als er zurücktrat und dem Knecht einen Wink gab, dass sie Mathilde nun mit dem Gefangenen allein lassen könnten. »Sag nachher einfach Bescheid, wenn wir ihn wieder einsammeln kommen sollen.«
Mathilde nickte und hielt die Hand auf. »Gib mir bitte den Schlüssel.«
Diesmal ruhte Radulfs Blick länger auf ihr, doch am Ende reichte er ihr das rostige Ding und bat: »Aber sei vorsichtig. Ich glaube, dass er derjenige war, der das Messer geführt hat.«
Der Mann aus dem Norden sah anscheinend keinen Anlass, zu leugnen oder zu bestätigen, dass es sich so verhalten hatte.
Dann waren nur noch er, das flackernde Talglicht, das der Knecht neben der Tür abgestellt hatte, und Mathilde selbst da.
Als ihr auserkorener Helfer – zwei Fingerbreit kleiner als sie und mit in Unordnung geratenem Haar, aber mit diesen wachen Augen in klarem Meerblau – so vor ihr stand, kam sie zu dem Schluss, dass sie froh war, dass ihre Notlage ihm einen Weg eröffnen würde, ungestraft aus dieser Sache herauszukommen. Eigentlich hatte sie keinen Grund, ihn zu mögen, und mochte ihn doch, ohne auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben.
Hab keine Angst, hätte sie gern gesagt und begann das Gespräch doch kühler und nüchterner, wie sie es musste.