Archive

The Secret of the Haunted Forest

Jenny Dolfen ist eine ungemein vielseitige Künstlerin und Autorin. Vor allem für ihre Fantasy-Illustrationen (insbesondere zu Tolkiens Werken) bekannt, ist sie auch schon mit einem historischen Roman und mit Artbooks hervorgetreten, die ebenso sehens- wie lesenswert sind. Mit The Secret of the Haunted Forest legt sie nun ein poetisches Bilderbuch vor, das nicht nur von seinen gelungenen, oft ganzseitigen Illustrationen voller Geister, Spukbäume, Lichtwesen und finsterer Feen lebt, sondern auch einen spannenden und unterhaltsamen Text bietet.

Agnes ist eine Jackalope (eine Art Wolpertingerverwandte der amerikanischen Folklore) und führt mit ihrem Freund, dem Wintergoldhähnchen Peef, ein friedliches Leben. Nur der nahe Wald, in dem es spuken soll, obwohl niemand darüber Genaueres weiß, ist ihr unheimlich. Als Peef eines Tages im Wald verschwindet, hilft aber alles nichts, und Agnes muss aufbrechen, um den kleinen Vogel wiederzufinden. Auf ihrem Weg begegnet sie hilfreichen ebenso wie feindlichen Wesen und muss bald feststellen, dass viel mehr auf dem Spiel steht, als sie zu Beginn ihres Abenteuers geahnt hat.

Die Geschichte, die sich daraus ergibt, lässt sich als Zaubermärchen mit leichten Gruselelementen ebenso lesen wie als mythisch-symbolisch aufgeladene Erzählung über Mut und die Bereitschaft, sich auf Unbekanntes und auf neue Interpretationen von Vertrautem einzulassen. Für ganz kleine Kinder sind manche Aspekte vielleicht noch ein wenig zu unheimlich, aber abgesehen davon ist The Secret of the Haunted Forest ein Buch, an dem man in jedem Alter seinen Spaß haben kann.

Jenny Dolfens Tolkienbegeisterung schwingt dabei zumindest unterschwellig mit, denn der gespenstische Wald lässt mit seinen schaurigen Seiten, seinem geheimnisvollen weißen Hirsch und seiner lebensvollen Vergangenheit leise Anklänge an Tolkiens Mirkwood (Düsterwald) erahnen, und Agnes – mit ihrem niedlichen kleinen Umhang halb Fantasyheldin, halb knuffiges gehörntes Kaninchen – hat durchaus etwas Hobbithaftes.

All das wirkt so durchdacht und gut konzipiert, dass einen der im Nachwort der Autorin enthaltene Hinweis, dass die Bilder und die Handlung dazu ursprünglich aus einer Promptliste für ein Kunstprojekt entstanden sind, überraschen kann, wenn man die Genese von The Secret of the Haunted Forest nicht zufällig in den sozialen Medien verfolgt hat. Besser gelingen können hätte das Buch aber auch dann nicht, wenn es von Anfang an so und nicht anders geplant gewesen wäre, und so kann man nur allen Fantasyfans die Lektüre und das Betrachten ans Herz legen.

Jenny Dolfen: The Secret of the Haunted Forest, o. O. 2022, 32 Seiten.
Ohne ISBN, erhältlich bei Etsy.


Genre: Kinderbuch, Märchen und Mythen
Illustrated by Jenny Dolfen

Journeys

Insbesondere als Tolkien-Illustratorin ist Jenny Dolfen eine feste Größe, aber auch mit anderen literarischen sowie historischen und mythologischen Themen hat sie sich schon künstlerisch auseinandergesetzt. In Journeys. Artbook 2015 – 2019 stellt sie eine Auswahl aus ihrem Schaffen in dem erwähnten Zeitraum mit berührenden und interessanten, immer wieder aber auch humorvollen Begleittexten zusammen. Das ist optisch traumhaft schön (mit einem Hauch von Art Nouveau), in Wort und Bild oft wunderbar nerdig und alles in allem ein großes Lese- und Schauvergnügen.

Hauptattraktion sind natürlich die Zeichnungen und Aquarelle selbst, die, oft ganzseitig, in guter Bildqualität reproduziert sind und bestechend lebendig wirken. Die Sujets sind oft Tolkiens Werken entnommen und reichen von dramatischen Schlachtenszenen bis hin zu sensiblen Figurenstudien (gerade Fans der Söhne Feanors dürften hier voll auf ihre Kosten kommen). Aber auch andere fiktive Welten haben Anregungen geliefert (z.B. Star Wars). Daneben findet man viel Mythologie (vor allem keltische), aber auch zarte, spontane Skizzen von Reisen (ganz entzückend z.B. die eines Rotkehlchens aus Glastonbury, wie ohnehin Vögel aller Art ein wiederkehrendes Motiv auf vielen Bildern sind).

Wie schon bei Jenny Dolfens empfehlenswertem Roman Darkness over Cannae macht es großen Spaß, in ihren Bildern auf die Suche nach Einzelheiten zu gehen. So taucht etwa in einer eindrucksvollen Darstellung durch die Luft reitender Walküren ein sehr authentisch wirkendes spätantikes Drachenfeldzeichen auf (nicht unähnlich z.B. dem Fund von Niederbieber und doch etwas ganz Eigenes). Genauso nett ist es, auf einem Bild des Helden Tuor aus Tolkiens Silmarillion als Schmuckelement an den Ärmeln seiner Tunika ein Wellenornament zu entdecken, das eine gewisse Hokusai-Inspiration nicht verleugnen kann und gut dazu passt, dass in Tuors Geschichte das Meer und mit ihm assoziierte höhere Mächte eine zentrale Rolle spielen. Ohnehin ist die Detailverliebtheit bei den Kostümen wunderbar, bis hin dazu, dass die Figuren in Tolkiens (früh-)mittelalterlich inspirierter Welt sichtlich wendegenähte Schuhe tragen (hübsch zu erkennen etwa auf dem Bild As little might be thought). Umso lustiger ist es, wenn die Künstlerin für Tolkiens Ostlinge einmal ganz bewusst vom Hörnerhelm bis zur zottigen Pelzgarderobe alles auffährt, was es an ahistorischen Barbarenklischees in der Populärkultur so gibt – und die Reaktion darauf schildert, dass manche Leute darin Wikinger als Vorbild zu erkennen meinen …

Bei allem Witz und Humor ist es aber doch eine sehr ernste und betroffen stimmende persönliche Reise, die Jenny Dolfen in ihren englischsprachigen Begleittexten Stück für Stück erzählt. Ein Trauerfall und gesundheitliche Probleme sind nicht ohne Auswirkungen auf ihre Kunst geblieben, und die Einblicke, die sie hier in ihren Umgang mit den Härten des Lebens gestattet, bleiben am Ende stärker im Gedächtnis als die ebenfalls enthaltenen technischen Hinweise (z.B. zur Arbeit mit Bildvorlagen und Modellen, die – im Falle einer Katze – auch schon einmal wenig kooperativ sein können).

Die im Titel versprochenen Journeys, auf die man hier mitgenommen wird, führen also nicht nur in grandios heraufbeschworene fremde Welten, sondern auch in Überlegungen, die einen mitfühlen lassen und einem zum Denkanstoß werden können. Allen Kunst- und Fantasyfans sei das Artbook daher wärmstens ans Herz gelegt.

Jenny Dolfen: Journeys. Artbook 2015 – 2019, o.O. 2019, 100 Seiten.
Ohne ISBN, erhältlich bei Etsy.


Genre: Kunst und Kultur

Darkness over Cannae

Jenny Dolfen hat sich vor allem als Illustratorin einen Namen gemacht, aber mit Darkness over Cannae legt sie einen historischen Kurzroman über die Schlacht von Cannae im Zweiten Punischen Krieg vor, in der der karthagische Feldherr Hannibal seine römischen Gegner vernichtend schlug. Die thematische Eingrenzung ist übrigens sehr wörtlich zu nehmen: Die Handlung setzt am Morgen unmittelbar vor der Schlacht ein und endet schon am Abend danach. Die Beschränkung auf diesen knappen Zeitausschnitt ist jedoch noch nicht das eigentlich Ungewöhnliche an der Geschichte. Ihre Wirkung und schiere Wucht gewinnt sie vielmehr in hohem Maße auch daraus, dass sie gewissermaßen als Bilderbuch für Erwachsene gestaltet ist. So gut wie jede Seite weist eine von der Autorin selbst stammende Illustration auf, in der sich das Streben nach historisch möglichst exakter Rekonstruktion und der Sinn für Dramatik und emotionale Ansprache die Waage halten.

Dolfens Held ist dabei eindeutig Hannibal, den sie als brillanten Taktiker zeichnet, der den noch eher traditionsverhafteten und zudem vom Profilierungswettstreit der einzelnen Mitglieder der Nobilität behinderten Römern militärisch selbst in Unterzahl haushoch überlegen ist, sich allerdings politisch übel verkalkuliert, wenn er glaubt, dass ein Sieg bei Cannae den gesamten Krieg entscheiden könnte. Wer sich je gewünscht hat, den ersten Teil der bei Livius Hannibals Mitstreiter Marhabal in den Mund gelegten Einschätzung, Hannibal verstehe zu siegen, aber den Sieg nicht zu nutzen, gewissermaßen in Buchlänge ausgearbeitet zu sehen, findet hier genau das.

Auch die anderen Protagonisten sind überwiegend historisch belegte Kombattanten; darauf, die Situation der Zivilbevölkerung zu schildern, verzichtet Dolfen bis auf einen Verweis auf von den Karthagern abgeerntete örtliche Felder fast völlig. Der reinen Konzentration auf die Schlacht entsprechend, erscheinen die Handelnden auch primär in ihrer militärischen Funktion. Nur bei wenigen Figuren erlaubt die Autorin einen knappen Blick auf Gedanken und Gefühle jenseits des Krieges, wenn die Familie von Hannibals fiktivem Leibwächter Bomilkar Erwähnung findet oder der römische Tribun Lentulus an seine Eltern denken darf. Apropos Lentulus: Ganz so wie beim historischen Vorbild verlaufen seine Erlebnisse nicht, aber mit voller Absicht, denn an seinem Beispiel zeigt Dolfen glaubhaft, wie und warum tatsächliche Geschehnisse möglicherweise hinter einer doch etwas geschönten Version in den Quellen verschwunden sein könnten.

Eindrucksvoll ist Dolfens Detailwissen über Kulturhistorisches und Alltägliches, das praktisch in jeder Szene in die Beschreibungen mit einfließt, ohne explizit lehrhaft vorgetragen zu werden. So vollzieht der römische Konsul Aemilius Paullus ganz selbstverständlich ein Ritual mit verhülltem Haupt (capite velato), wie überhaupt positiv auffällt, dass Dolfen antike Religiosität in ihrer ganzen Bandbreite ernstnimmt – vom aufrichtigen Götterglauben bis hin zu kleinen Tricksereien, um ein günstiges Vorzeichen wahrscheinlicher zu machen.

Obwohl es ein ausführliches Glossar gibt und historisches Vorwissen für die Lektüre nicht zwingend erforderlich ist, schadet es nichts, ein paar Kenntnisse mitzubringen, um hier und da schon beim ersten Lesen Einzelheiten zu bemerken, die an Insiderwitze grenzen. So ist es z.B. vor Beginn der Schlacht ausgerechnet der junge Scipio (lange, bevor er den Beinamen Africanus gewinnt), der als späterer Sieger über Hannibal als einziger Römer bemerkt, dass an Hannibals Truppenaufstellung etwas verdächtig ist. Nicht jede Anspielung stammt jedoch aus der Antike. So kann man zumindest vermuten, dass der im Bild wie im Text präsente rote Mohn durchaus eine symbolische Bedeutung hat und eine Art „In Flanders Fields“ avant la lettre evozieren soll.

Denn was mit Siegesgewissheit auf beiden Seiten beginnt und wider Erwarten sogar Raum für Humor lässt (wenn etwa der Reiterführer Hasdrubal in eine von Sprachbarrieren erschwerte Debatte mit keltischen Kopfjägern unter seinem Kommando gerät), artet nach und nach in ein einziges Gemetzel aus, das für die Gewinner kaum weniger verstörend als für die Besiegten ist. Trotz der immer wieder durchklingenden Bewunderung für Hannibal und seine Fähigkeiten als Feldherr ist Darkness over Cannae damit auch eine in Wort und Bild eindringliche Schilderung des Grauens des Krieges, die über die ins Zentrum gestellte konkrete historische Situation hinaus Gültigkeit beanspruchen kann und nicht nur Antikenbegeisterte betroffen und nachdenklich zurücklassen dürfte.

Dolfen, Jenny: Darkness over Cannae. Thalion Graphics, Eppingen-Mühlbach, 2014, 144 Seiten.
ISBN: 978-3-9816944-1-3


Genre: Roman