Auf keiner Landkarte

Armand Gamache, der ehemalige Leiter der Mordkommission von Québec, wechselt an die Polizeiakademie und holt neben seinem Schwiegersohn Jean-Guy Beauvoir auch seinen alten Freund Michel Brébeuf, der durch eigenes Fehlverhalten tief gefallen ist, mit ins Boot. Offiziell geht es darum, die Lehre dort zu verbessern, aber in Wahrheit ist Gamache kriminellen Machenschaften des ehemaligen stellvertretenden Akademieleiters Serge Leduc auf der Spur. Unterdessen wird in Gamaches Wohnort Three Pines, der so klein ist, dass er auf keiner Karte verzeichnet ist, eine alte Landkarte entdeckt, die das Dorf nicht nur zeigt, sondern geradezu in den Mittelpunkt stellt. Mehr darüber in Erfahrung zu bringen, scheint eine gute Übung für ein Quartett von Polizeischülern zu sein. Doch als kurz darauf Leduc erschossen aufgefunden wird, liegt in seiner Schublade eine Kopie der geheimnisvollen Landkarte und erschwert die Aufklärung des Verbrechens, das ohnehin rätselhaft ist, weil es zu viele Verdächtige gibt. Denn praktisch jeder könnte ein Motiv gehabt haben, von den Polizeischülern, die Leduc gnadenlos schikanierte, bis hin zu Gamache selbst …

Auf keiner Landkarte, Louise Pennys zwölftes Buch um Armand Gamache, liest sich insgesamt, wie von der Autorin gewohnt, mitreißend und unterhaltsam, weist aber Handlungsstränge von recht unterschiedlicher Qualität auf. Während die Nachforschungen um die Landkarte, die in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurückführen, und die Geschichte der unangepassten Polizeischülerin Amelia Choquet, in deren Vergangenheit es eine unerwartete Verbindung zu Gamache gibt, jeweils spannend erzählt sind und auf eine überzeugende Auflösung hinführen, fällt der eigentliche Kriminalfall samt dem obligatorischen überdramatischen Finale, in dem es gleich drei Selbstmorde zu verhindern gilt (mit unterschiedlichem Erfolg), eher ab. Hier hat man das Gefühl, dass Penny nach den vorherigen Bänden, in denen mit einem Korruptionsskandal bei der Polizei und der Aufdeckung von Kriegsverbrechen und geheimen Waffenbauplänen für einen Krimi jeweils fast schon zu viel auf dem Spiel stand, unbedingt noch einmal „große“ Verbrechen in den Mittelpunkt rücken wollte, derer man beim Lesen allmählich müde wird.

Denn der wahre Reiz der Reihe und auch dieses Bandes liegt im Kleinen, in der Schilderung der Interaktionen der teilweise herrlich exzentrischen Dorfbewohner von Three Pines, unter denen die alte Dichterin Ruth Zardo und ihre zahme Ente Rosa wie immer eine besondere Hervorhebung verdient haben, und in der Ergründung lokaler Auffälligkeiten wie eben der Landkarte, hinter der sich eine ebenso traurige wie berührende Geschichte verbirgt. Auch insgesamt ist der Tonfall des Buchs etwas ernster und düsterer als im Rest der Reihe, auch wenn hier und da Humor aufblitzen darf (z. B., wenn ein neuer Welpe bei der Familie Gamache Aufnahme findet und sich als sehr spezielles kleines Wesen entpuppt).

Trotz der relativen Schwäche des Mordfalls und seiner Hintergründe schreibt Louise Penny aber selbst hier um Längen besser als viele andere Krimiautoren, so dass der Erfolg der Romane um Armand Gamache nicht verwundert. Zum Einstieg in die Welt von Three Pines sollte man aber vielleicht einen anderen Band als gerade diesen hier wählen. Gut geeignet ist der Folgeband Hinter den drei Kiefern, der das wiederkehrende Personal liebevoller und ausführlicher vorstellt, als es hier geschieht.

Louise Penny: Auf keiner Landkarte. Der zwölfte Fall für Gamache. Zürich, Kampa, 2022, 560 Seiten.
ISBN: 978-3-311-12033-9


Genre: Roman