Böse Saat

Eigentlich könnte es in der Polizeidienststelle in der Payton Lane in Sedgefield recht beschaulich zugehen: Den täglichen Betrieb bestimmen unaufklärbare Diebstähle von Weihnachtsbäumen und Blumenerde aus dem örtlichen Supermarkt, die polizeieigenen Meerschweinchen sind immer wieder für einen Lacher gut, und die größte Gefahr für den Seelenfrieden von DCI Liam Woodhouse scheint von den esoterisch angehauchten Teambuilding-Veranstaltungen auszugehen, an denen er gezwungenermaßen teilnimmt.

Doch dann geschieht in einer luxuriösen Wohnanlage ein Mord. Zunächst ist völlig rätselhaft, warum jemand den harmlos wirkenden Ingenieur Ethan Baine erschossen hat, doch in dem Haus, in dem er getötet wurde, geht allerlei Seltsames vor.  Was hat es mit der geheimnisvollen Antonia auf sich, die dort einen Geist gesehen haben will? Welche Rolle spielt der undurchsichtige Portier? Was belastet die kleine Halinda, deren Verhalten immer auffälliger wird? Und warum benimmt der hochrangige Polizist Rakers sich plötzlich anders als gewohnt?

Gemeinsam mit Joanna Bloom, die eigentlich viel lieber ihrem friedlichen Streifendienst nachgehen würde, und dem willensstarken Organisationstalent Mailin Stump beginnt Woodhouse zu ermitteln, tappt aber im Dunkeln, bis er von seinem pensionierten Vorgänger Rhymer erfährt, dass es womöglich eine Verbindung zu einem nie gelösten Fall gibt: Vor Jahren wurde der kleine Archie Wells ermordet, und Rhymer hat am Fundort der Leiche eine Beobachtung gemacht, die keiner ernstnehmen wollte. Aber kann das, was er gesehen haben will, wirklich stimmen, oder redet er sich in seiner Besessenheit von dem lange zurückliegenden Vebrechen nur etwas ein? Wenn Woodhouse sich darauf einlassen will, Rhymers Verdacht zu überprüfen, muss er viel riskieren …

Wer schon einmal einen Krimi von Christian Wagnon gelesen hat, weiß, was ihn erwartet: eine Kombination aus einem liebevoll ausgemalten Setting, lebendigen Charakteren mit Ecken und Kanten und kompromissloser Härte, was die eigentlichen Kriminalfälle betrifft. Die Verbrechen in Wagnons Büchern gehen einem unweigerlich an die Nieren, und Böse Saat bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Die humorvoll geschilderten kleinen und großen Alltagssorgen des Ermittlerteams – von den Meerschweinchenabenteuern im Hintergrund über die Folgen einer etwas überhöhten Dosis Likör bei einer heiklen Abendeinladung bis hin zum ständigen Ungeschick des Hilfspolizisten Parker – bilden zwar einen heiteren Ausgleich dazu, aber wer angesichts dessen auf eine entspannte Cozy-Crime-Geschichte hofft, in der bis auf einen Mord an sich nichts weiter Verstörendes geschieht, hat mit Böse Saat wirklich das falsche Buch erwischt.

Das anhand von Woodhouse’ Vorgänger Rhymer ausgearbeitete Motiv des Ermittlers, der sich in die erfolglose Suche nach einem Kindermörder verbeißt und daran allmählich zerbricht, erinnert ein wenig an Das Versprechen von Friedrich Dürrenmatt (noch besser bekannt wohl in der allerdings inhaltlich abweichenden Filmfassung Es geschah am hellichten Tag). Der Vergleich trifft vielleicht noch in einer weiteren Hinsicht zu: Spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem Rhymer ins Geschehen eingreift, folgt Böse Saat keinem klassischen Whodunit-Muster zum Mitraten mehr. Die Krimihandlung bleibt zwar das Grundgerüst, aber erzählt wird eigentlich vor allem eine mehrsträngige Geschichte über komplexe menschliche Beziehungsgeflechte mit allen Licht- und Schattenseiten. Bei der Lektüre lohnt es sich, auf Details zu achten, denn oft verstecken sich Anspielungen, die tiefere Rückschlüsse erlauben, in scheinbar Beiläufigem, z. B. in den oft von treffenden Vergleichen getragenen Figurenbeschreibungen.

Obwohl der Roman sich flott und packend wegliest, ist er also niemals oberflächlich. Die Spannung bleibt bis zum Schluss hoch, und auch, als eigentlich schon alles geklärt scheint, wartet noch eine letzte schockierende Erkenntnis. So ist Christian Wagnon – wie schon in Gerechtigkeit und Balmsund: Fegefeuer – hier wieder eine überzeugende Mischung gelungen, die gut als erster Band einer Krimiserie geeignet ist und einen neugierig auf weitere Ermittlungen der starken Figurenriege macht.

Christian Wagnon: Böse Saat. Ein Payton-Lane-Krimi. Dresden 2022. E-Book (über Amazon zu beziehen).
ASIN: B0B41XJ1HY


Genre: Roman