Als der Musiker Lionel Saux nahe beim Hafen der entlegenen bretonischen Insel Ouessant tot im Wasser entdeckt wird, ist zunächst völlig offen, wie er ums Leben gekommen ist – war es ein tragischer Unfall, Suizid oder gar Mord? So wenig erfolgversprechend die Ermittlungen zunächst auch wirken, Kommissar Dupin muss sich besondere Mühe geben, denn ein Mitglied der Sirenen, einer keltischen Musikgruppe, die in engem Kontakt zu Saux stand, ist ausgerechnet die Nichte seines lästigen Vorgesetzten, der ihn nun unter Druck setzt, schnell Ergebnisse zu präsentieren. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn man sich nicht nur mit einem unliebsamen E-Bike anfreunden muss, sondern auch gezwungen ist, sich auf einer Insel voller Mythen und Legenden zurechtzufinden, auf der einen die angesehene Museumsleiterin ganz ernsthaft vor dem örtlichen Vampir warnt und den Druidinnen, die ein übereifriger christlicher Missionar vor Jahrhunderten in einen Steinkreis gebannt haben soll, von manchen Einheimischen durchaus noch ein Einfluss auf das Hier und Jetzt bescheinigt wird. Doch als erst eine zweite und dann noch eine dritte Leiche auftaucht, ist Dupin sogar bereit, seine Abneigung gegen riskante Bootsfahrten zu überwinden, um dahinterzukommen, was auf Ouessant eigentlich gespielt wird …
In seinem neuesten Krimi Bretonische Sehnsucht, dem 13. Band der Reihe um den ohne ausreichend Kaffee schlicht nicht einsatzfähigen Kommissar Dupin, ist Jean-Luc Bannalec (alias Jörg Bong) in Hochform. Während die Bände 11 und 12 eher etwas schwächer als ihre Vorgänger waren, schöpft Bannalec hier das Potenzial der keltischen (Musik-)Kultur und vor allem der lokalen Sagenwelt voll aus, bei letzterem Themenbereich so genüsslich, dass man ihm auch zutrauen würde, einen verdammt guten Fantasyroman zu schreiben, falls er je Lust darauf bekommen sollte. Denn auch wenn Bretonische Sehnsucht im Hier und Jetzt verwurzelt bleibt und es für alles, was geschieht, auch eine realistische Erklärung geben kann, wird geschickt mit der selbst rational denkende Menschen gerade in Extremsituationen befallenden Unsicherheit gespielt, ob nicht vielleicht doch im Hintergrund dann und wann Kräfte wirken, die sich einer strikt naturwissenschaftlichen Erklärung entziehen.
Wie gewohnt lebt der Roman aber auch von der detaillierten und liebevollen Schilderung von Land und Leuten, die sich hier, in einer abseits der Touristensaison oft auf sich selbst zurückgeworfenen, verschworenen Inselgemeinschaft, noch einmal anders ausnehmen als in der übrigen Bretagne. Historisches und Viehwirtschaft spielen diesmal eine große Rolle, aber es wäre kein Kommissar-Dupin-Krimi, wenn nicht auch kulinarische Genüsse breiten Raum einnehmen würden. Ein ungetrübtes Idyll ist Ouessant allerdings nicht, und das nicht nur, weil dort eben auch gemordet wird: Die Fragilität der Umwelt, die etwa unter Überfischung schwer zu leiden hat, wird ebenso thematisiert wie das Verschwinden traditioneller Lebensweisen und die Verwerfungen, die sich daraus ergeben können.
Die übliche Figurenkonstellation wird dadurch ein wenig aufgebrochen, dass Dupin die längste Zeit ohne das Organisationstalent Nolwenn, das ihm sonst den Rücken freihält, auskommen muss, denn seine Mitarbeiterin macht Urlaub, so dass die Rollen sich etwas anders als sonst auf das Ermittlerteam verteilen (abgesehen natürlich davon, dass Riwal wieder einmal sein reichhaltiges Wissen über die Bretagne von dem Kommissar, dem das rasch zu viel des Guten wird, ausbreiten darf).
So schwungvoll, unterhaltsam und je nach Blickwinkel auch augenzwinkernd phantastisch wie hier darf es gern weitergehen, denn dass es auch einen 14. Band geben wird, ist eigentlich zu erwarten.
Jean-Luc Bannalec: Bretonische Sehnsucht. Kommissar Dupins dreizehnter Fall. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2024, 416 Seiten.
ISBN: 978-3-462-00246-1