Frankfurt am Main 1844. Die Geschäfte des Kaufmanns Best, dem mehrere Schicksalsschläge die Weihnachtszeit gründlich verleidet haben, gehen schlecht, und der harte Winter wird selbst den eingelagerten Waren gefährlich. Seine zupackende, aber als reizlos verschriene Tochter und Gehilfin Elise will er daher sicherheitshalber in eine Versorgungsehe mit einem ältlichen Witwer drängen. Während Elise trotz aller Vorbehalte mit dem Gedanken spielt, sich auf das Arrangement einzulassen, gabelt sie auf einem Spaziergang den Waisenjungen Josua auf. Mitleidig geht sie auf die Suche nach den scheinbar unauffindbaren Verwandten des Kleinen und muss sich nebenbei mit dem quälenden Verdacht herumschlagen, dass an der geschäftlichen Misere ihres Vaters ausgerechnet ihre heimliche große Liebe schuld sein könnte …
Die seit einigen Jahren bei Rowohlt veröffentlichten, von Andrea Offermann äußerst liebevoll illustrierten historischen Weihnachtsgeschichten sind immer nach einem ähnlichen Muster aufgebaut: Bewohner oder Besucher einer größeren Stadt (neben Frankfurt waren auch schon Hamburg, Dresden und Straßburg Schauplatz), deren Traditionen in die Handlung mit eingeflochten werden, plagen sich zur Weihnachtszeit mit Geldnöten, Einsamkeit oder anderen existenziellen Sorgen. Aus Begegnungen miteinander oder mit hilfreichen Dritten ergeben sich dann aber doch noch Lösungen, bei denen die Mitmenschlichkeit im Vordergrund steht und auch die ein oder andere Liebesgeschichte nicht fehlt. Gelegentlich finden auch reale Persönlichkeiten Erwähnung (wie in diesem Fall der nur durch seinen Pudel vertretene Philosoph Schopenhauer oder der Struwwelpeter-Autor Heinrich Hoffmann).
Diese wiederkehrenden Elemente nimmt man den Büchern jedoch nicht übel, denn sie sind alle auf ihre Art rührend und herzerwärmend, ohne in Kitsch abzugleiten. Das gilt auch für die Eisweihnacht, die Ruth Berger mit lebendigen, sympathischen Figuren bevölkert und mit einigen überraschenden Wendungen würzt. Charmant ist daran besonders, dass auch für Gestalten, die in ähnlichen Geschichten oft wenig Aufmerksamkeit erfahren, eine tröstliche Lösung gefunden wird (so muss z.B. derjenige der beiden Verehrer der Hauptfigur, gegen den sie sich am Ende entscheidet, nicht allein zurückbleiben, sondern findet auf durchaus stimmige Art weit passendere Gesellschaft).
In den Grundton wohliger Weihnachtsatmosphäre mischen sich jedoch deutlich auch die Schattenseiten des historischen Hintergrunds: Müttersterblichkeit, latenter Antisemitismus, die einengenden Rollenerwartungen an Frauen und Krankheiten wie Kinderlähmung, vor denen selbst die bessere Gesellschaft nicht gefeit ist, verhindern eine übermäßige Romantisierung der Handlungszeit. Da das Stadtbild Frankfurts seit dem 19. Jahrhundert, nicht unbedingt zu seinem Vorteil, weit einschneidendere Veränderungen durchgemacht hat als das vieler anderer Orte, sind Andrea Offermanns Illustrationen diesmal dennoch stärker als sonst ein nolstalgisches Heraufbeschwören einer vergangenen Zeit, das scharf mit düsteren Elementen kontrastiert (wie etwa erfroren vom Baum gefallenen toten Krähen).
Insgesamt schwingt in Wort und Bild unterschwellig die Überzeugung mit, dass selbst in einer oft schwierigen und scheinbar trostlosen Welt bei allseitigem Bemühen Wärme und Zufriedenheit möglich sind – eine zeitlose Botschaft, die in Erinnerung zu behalten sich lohnt.
Ruth Berger: Eisweihnacht. Eine Wundergeschichte. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 2. Aufl. 2014 (Original: 2013), 126 Seiten.
ISBN: 9783499266676