Im schwarzen Wasser

Hamburg 1774. Hippolyt Meunier, ein junger Erfinder, ist mit großen Plänen in die Stadt gekommen und hat auch wohlhabende Unterstützer für seine Projekte gewinnen können, aber eines Morgens wird er erschlagen in einer Gerberei aufgefunden. Nicht nur Gerberlehrling Jakob, der den Toten offensichtlich kannte, verhält sich eigenartig, sondern auch die für die Bergung von Mordopfern zuständige städtische Leichenfrau samt ihren Kindern. Als dann auch noch einige ehrbare Bürger ein auffälliges Interesse an Meuniers Habseligkeiten bekunden, hat der mit den Ermittlungen betraute Weddemeister Wagner endgültig zu viele Verdächtige und keine heiße Spur. Zu seinem Glück ist die ehemalige Komödiantin Rosina, die seit ihrer Heirat ihrem freien Vagabundenleben nachtrauert, nur zu gern bereit, ihn bei seinen Nachforschungen zu unterstützen, und kommt dahinter, dass in der Tatnacht an der Gerberei etwas Ungewöhnliches beobachtet worden ist, das einen entscheidenden Hinweis darauf liefert, wer Meunier ans Leder wollte …

Mit Im schwarzen Wasser fügt Petra Oelker nach längerer Pause ihrer Reihe von Historienkrimis um die abenteuerlustige Rosina, die sich als Privatdetektivin avant la lettre betätigt, einen neuen Band hinzu, der nicht nur ein Wiedersehen mit liebgewonnenen Figuren ermöglicht, sondern auch sonst alles bietet, was man an der Serie schätzt: zuverlässige Recherche über das 18. Jahrhundert und seine Kulturgeschichte, atmosphärische Beschreibungen des alten Hamburg, eine Dosis feinen Humor und einen ausgeklügelten Kriminalfall. Charmant sind die Auftritte eines Rotmilans, der an einer Stelle sogar kurz als Perspektivträger fungiert und zwar Entscheidendes beobachtet hat, sich dann aber doch eher für schmackhafte Beute als für die langweiligen Menschen interessiert. Solche netten Details am Rande machen Petra Oelkers Bücher immer zu etwas Besonderem und tragen dazu bei, sie weit über den durchschnittlichen historischen Roman hinauszuheben.

Typisch für Petra Oelker ist auch, dass die Handelnden glaubwürdig aus ihrer Zeit heraus agieren und in ihren Wertvorstellungen, Überzeugungen, Träumen und Sorgen, aber auch in ihrem gelegentlichen Rebellieren gegen die ihnen auferlegten gesellschaftlichen Beschränkungen nicht wie nur aus der Moderne in eine bunte Kulisse verpflanzt wirken. Selbst Kleinigkeiten wie die liebevolle Schilderung von Kleider- und Frisurenmode sind nicht nur reines Zeitkolorit, sondern liefern, wenn man genau aufpasst, schon früh Hinweise darauf, wer hinter dem Mord stecken könnte.

Der Mordfall selbst ist spannend aufgebaut und wartet mit einer Vielzahl falscher Fährten auf. Ganz am Schluss macht es die Person, die den Mord begangen hat, der Heldin dann vielleicht doch etwas zu leicht, aber bis dahin liest sich der Roman äußerst unterhaltsam und mitreißend. Viel Spaß macht vor allem die sympathisch geschilderte Freundschaft zwischen Wagner und Rosina, die hier schon weitaus selbstverständlicher zusammenarbeiten als in früheren Bänden der Reihe und einfach ein sehr liebenswertes Team abgeben.

In ihrem Nachwort schreibt Petra Oelker, es müsse sich erst erweisen, ob es „klug war“ (S. 429), Rosina noch einmal zurückkehren lassen. Zumindest diese Rezensentin hier ist fest davon überzeugt, dass es eine sehr gute Idee war und Rosina gern noch ein paar Jahrzehnte in Hamburg ermitteln kann, um dann irgendwann als alte Dame die Verwerfungen der napoleonischen Besatzung zu erleben – auch das wäre sicher ein aufregender historischer Hintergrund für einen Krimi. Das Ende dieses Bandes allerdings deutet erst einmal darauf hin, dass bei einer Fortsetzung der Reihe eine Episode außerhalb der Hansestadt anstehen könnte. Da literarische Roadmovies aus Petra Oelkers Feder sich eigentlich immer gut lesen (man denke nur an Emmas Reise), wäre das etwas, worauf man sich freuen kann – hoffen wir also, dass dies nun nicht der letzte Auftritt von Rosina und ihrem Umfeld war.

Abschließend noch ein Hinweis, der auch als Werbung für das örtliche Museum gelesen werden kann: Wenn einem beim Lesen der Appetit auf die mehrfach von den Figuren lustvoll verspeisten „Harburger Kringel“ packen sollte, kann das Helms-Museum mit einem Rezept weiterhelfen (auf der Museumsseite S. 4 in diesem PDF).

Petra Oelker: Im schwarzen Wasser. Hamburg, Rowohlt, 2020, 432 Seiten.
ISBN: 978-3-499-00330-1


Genre: Roman