Quartett im Herbst

Vier Londoner Angestellte kurz vor dem Ruhestand teilen sich ein Büro, aber sonst bis auf die Kaffeedose nicht viel, obwohl sie alle alleinstehend und auf ihre Art einsam sind. Marcia hat eine Krebsoperation hinter sich und redet sich ein, auf sämtliche Wechselfälle des Lebens vorbereitet zu sein, während Norman sich in ein zynisches Auftreten flüchtet, um nicht zugeben zu müssen, dass er sich nach mehr sehnt als einem trübseligen Dasein als Untermieter. Letty dagegen gibt sich angepasst, überlässt aber gerade dadurch zu oft anderen die Entscheidung über ihr Leben; Edwin schließlich ist in zahlreichen Kirchengemeinden aktiv, ohne wirklich dazuzugehören. Unerwartete Ereignisse insbesondere im Leben der beiden Frauen sorgen dafür, dass die vier Kollegen doch noch enger zusammenrücken, als es sich bisher ergeben hat – aber die Dinge nehmen einen tragischen Verlauf, und am Ende wird von dem Quartett nur noch ein Trio übrigbleiben …

Mit Quartett im Herbst, das im Original schon 1977 erschien, ist Barbara Pym ein ebenso todtrauriger wie humorvoller Roman gelungen. Im Grunde ist die Geschichte von Vergänglichkeit, verpassten Chancen und unausweichlichem Sterben deprimierend. Dass sie einen dennoch nicht völlig verstört und niedergeschlagen zurücklässt, ist der scharfen Beobachtungsgabe der Autorin zu verdanken, die mit spitzer Feder Menschliches und Allzumenschliches karikiert und einen dabei immer wieder auch zum Lachen über Ernstes bringt. Das gilt übrigens nicht nur aus Lesersicht: In einer Szene im letzten Buchdrittel, auf die im weiteren Verlauf noch mehrfach angespielt wird, brechen Edwin und Norman aus einem eigentlich von Besorgnis getragenen Gespräch heraus in Gelächter aus – teils aus Nervosität, teils aber auch in der Erkenntnis, dass Existenzielles und Lächerliches oft nahe beieinanderliegen.

Neben dem zielgenauen Aufspießen individuellen Versagens schwingt in Barbara Pyms von Sabine Roth kongenial übersetzten Schilderungen aber immer wieder auch ein gerüttelt Maß an Gesellschaftskritik mit, wenn etwa eingefahrene Verhaltenserwartungen, alltäglicher Rassismus und der herablassende Umgang mit Alten, Kranken und generell Hilfsbedürftigen aufs Korn genommen werden. Trotz dieses klaren Blicks auf Welt und Menschen ist das Buch nicht immer ohne Widersprüche: So ist Edwin angeblich Vegetarier (S. 144), wählt aber, als ein Konservenvorrat aufgeteilt werden soll, ausgerechnet „Frühstücksfleisch und Schmorsteak“ für sich aus (S. 232).

Den positiven Gesamteindruck trüben solche Kleinigkeiten allerdings kaum, und es berührt und unterhält in gleichem Maße, den differenziert gezeichneten Figuren auf ihren oft schon ausgetretenen, manchmal aber auch neu gebahnten Wegen durch ein London abseits von Weltstadtflair und Touristenrummel zu folgen. Obwohl die Geschichte für ein Mitglied des ursprünglichen Quartetts ein düsteres Ende nimmt, lässt Barbara Pym den Roman nicht ohne Hoffnungsschimmer für die verbliebenen drei ausklingen: Auch wenn man schon im Herbst des Lebens steht, so die mitschwingende Botschaft, kann man noch begreifen, dass man mehr Dinge selbst in der Hand hat, als man je anzunehmen gewagt hätte. Die Zeitlosigkeit dieser Moral bestätigt einmal mehr, was man schon bei der Lektüre von In feiner Gesellschaft geahnt hat: Barbara Pym ist als Autorin eine wahre Entdeckung, deren Bücher mit den Jahrzehnten nichts von ihrem Reiz verloren haben.

Barbara Pym: Quartett im Herbst. Köln, DuMont, 2021, 240 Seiten.
ISBN: 978-3-8321-8164-2


Genre: Roman