Unter dem Stichwort Lesestoff veröffentliche ich hier von Zeit zu Zeit kleine Ausschnitte aus meinen Romanen und Geschichten. Aber warum schreibe ich das, was ich schreibe?
Den ersten Teil der Antwort auf diese Frage gibt es heute. Nächste Woche folgt ein zweiter Blogpost zum Thema.
Zur Einstimmung auf den Beitrag aber zunächst einmal eine neue Zeichnung von Jennifer S. Lange (JSL-Art), die Herrad, die Richterin, eine meiner wiederkehrenden Hauptfiguren, perfekt eingefangen hat.
Hinter dem Lesetoff (Teil 1): Ein bisschen Kindheit und viel Mittelalter
Eigentlich schreibt man doch immer die Geschichten, die man selbst am liebsten lesen möchte. Zumindest geht es mir so, und was ich am liebsten lesen möchte, ist meist (früh-)mittelalterlich inspirierte Fantasy. Ein Drache, ein Gespenst oder ein wenig Magie macht fast jedes Buch besser, das muss ich keinem Fantasyfan erläutern, aber an etwaigen historischen Anklängen scheiden sich die Geister dann doch.
Ich rede mir gern ein, dass eine gewisse Begeisterung für das Frühmittelalter und umliegende Epochen sich bei mir unvermeidlich entwickeln musste, bin ich doch nicht weit entfernt von einem Hügel aufgewachsen, auf dem man heute noch die Reste von Wällen aus dieser Zeit sehen kann.
Geschichte war für mich aber nie von Geschichten zu trennen. Meine Eltern waren nicht nur für jeden Museumsbesuch zu haben, sondern hatten zu allen möglichen Ereignissen und Epochen über die nüchternen Fakten hinaus immer eine Sage oder Anekdote parat. Gerade in den Erzählungen meiner Mutter war die ferne Vergangenheit stets sehr menschlich und darüber hinaus auch oft verdammt witzig.
Im Archäologischen Museum Hamburg, damals noch Helms-Museum, war ich sicher häufiger als die meisten anderen Kinder – einen im Museum arbeitenden Vater zu haben, hat seine Vorteile (und eines der Prunkstücke der dortigen Sammlung, die Tangendorfer Scheibenfibel, wird vermutlich allen bekannt vorkommen, die Immergrün und Walküren schon gelesen haben).
Das alles prägt bis heute mein Verhältnis zu historischen Quellen und archäologischen Funden. Objektiv weiß ich nach einem Unter-anderem-auch-Geschichtsstudium selbstverständlich, dass der wissenschaftliche Erkenntniswert das Entscheidende an ihnen ist. Subjektiv sind sie für mich aber immer noch vor allem Anknüpfungspunkte für spannende und lustige Geschichten.
Das dürfte anderen ähnlich gehen, denn sonst gäbe es wahrscheinlich weder historische Romane noch entsprechende Fantasy. Auch das Hinzufügen einiger anachronistischer Komponenten, die einem Spaß machen – in meinem Fall z.B. reichlich Tee für alle -, ist weitverbreitet. Eigentlich müsste ich doch also genug zu lesen haben, ohne es selbst zu schreiben?
Ja und nein. Zwar gibt es ohne jede Frage wunderbare historisch angehauchte Fantasy, aber gerade das Mittelalter als Inspirationsepoche muss oft auch für einiges herhalten, das ich unangenehm oder fragwürdig finde. Besonders als Vorwand dafür, ziemlich blutrünstige Geschichten zu erzählen und im Namen einer vermeintlichen historischen Korrektheit alle möglichen Klischees und Vorurteile zu bedienen, wird es immer wieder gern missbraucht.
Welchen Reiz gerade die finstersten gesellschaftlichen Verhältnisse, die man in der Zeit aufspüren – oder auch nur in sie hineininterpretieren – kann, auf offenbar doch recht viele heutige Menschen ausüben, ist mir schleierhaft (und in einem Interview im Blog Kölner Leselust habe ich vor längerer Zeit einmal erklärt, warum ich es für kontraproduktiv halte, erst einmal das Schlimmste als Normalfall zu setzen und bestenfalls den Kampf von Figuren dagegen zu schildern). Denn wie ich zu Anfang dieses Beitrags beschrieben habe, waren für mich eigentlich von Anfang an diejenigen Geschichten aus der Vergangenheit die schöneren und wertvolleren, in denen man auch Menschlichkeit und Humor spüren und sich vielleicht sogar über die zeitliche Distanz hinweg mit den Handelnden verbunden fühlen konnte.
Um diesen Eindruck, den ich als Kind so oft haben durfte, geht es mir letztlich auch heute beim Schreiben – ob mit Erfolg, ist eine Frage, die nur diejenigen beantworten können, die meine Texte lesen. Daneben ist es aber natürlich auch einfach nur ein schieres Vergnügen, allen möglichen schönen oder amüsanten historischen Kleinigkeiten, die mir begegnen, eine neue Heimat in einer erdachten Welt zu geben, die deshalb auch immer weiter ausgebaut wird, statt mit jeder Geschichte zu wechseln.
Und übrigens: Wer den Eindruck hat, dass Herrad auf dem Bild oben modisch ein bisschen von der Merowingerkönigin Arnegunde inspiriert sein könnte, liegt richtig.
Fortsetzung folgt nächste Woche – dann geht es eher um Literarisches als um Historisches.
Falls jemand neugierig auf die zugehörigen Bücher geworden ist: Hier findet man nähere Informationen.
Liebe Maike,
danke für den Einblick. Eine spannende Frage, warum wir schreiben. Zum Thema „historisch korrekt“ versus „authentisch“ habe ich gerade am Wochenende auf dem Litcamp Heidelberg eine aufschlussreiche Session besuchen dürfen. Ich mag deine Geschichten ja sehr!
Viele Grüße
Maike
Liebe Maike,
danke für deinen Kommentar! Dass du nach wie vor Spaß an meinen Geschichten hast, freut mich sehr, und die nette Rezension, die du damals zu „Greifen, Grabraub und Gelichter“ geschrieben hast, bedeutet mir immer noch viel.
Die Litcamp-Session, die du besucht hast, klingt sehr interessant. Mit ein Grund dafür, dass ich lieber mit ausgedachten Kulissen als mit realen arbeite, ist übrigens auch, dass ich an historischer Korrektheit da, wo sie mir wichtig wäre, schier verzweifelt bin, wann immer ich versucht habe, etwas tatsächlich Historisches zu schreiben. Das ist regelmäßig darauf hinausgelaufen, dass ich mich in Recherchen zu irgendwelchen kultur- oder alltagshistorischen Details verbissen habe, zu denen es schlimmstenfalls gar keine guten Quellen gab, weil ich nichts falsch machen wollte. Diesbezüglich freier zu sein, ist für mich ein eindeutiger Vorteil von Fantasy (und, wie gesagt: Es gibt Drachen!).
Viele Grüße
Maike
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