Archive

Heilsam – Kleidsam – Wundersam

Der als Sonderheft der Zeitschrift Archäologie in Deutschland erschienene Band von Sabine Karg und Ewald Weber informiert – so verheißt es der Untertitel – über Pflanzen im Alltag der Steinzeitmenschen. Kenntnisreich und voller spannender Details wird dieses Versprechen auch eingelöst. Konkret geht es um die jungsteinzeitlichen Feuchtbodensiedlungen des Voralpenraums (insbesondere am Bodensee und in der Schweiz) und die dort aufgrund der besonders günstigen Erhaltungsbedingungen gemachten archäobotanischen Funde, die Aussagen über die Verbreitung und Nutzung verschiedenster Pflanzen in der damaligen Epoche erlauben.
Die Ackerbau und Viehzucht betreibenden Menschen der Jungsteinzeit schufen und bewohnten bereits eine Kulturlandschaft, die allerdings noch wesentlich naturnäher war als heute und von einer eher gartenähnlichen Landwirtschaft geprägt war, während große Felder wohl erst späteren historischen Phasen ab der Bronzezeit angehören. Sowohl wilde als auch gezielt herangezogene Pflanzen wurden auf vielfältige Art genutzt.
Zentrale Bedeutung hatten Pflanzen natürlich vor allem für die Ernährung, und dieses in mehreren Kapiteln (über pflanzliche Lebensmittel allgemein und über ihre Zubereitung und Haltbarmachung im Speziellen) aufbereitete Thema bildet denn auch das Herzstück des Buchs. Während manche der damals genutzten Nahrungsmittel (wie Rohrkolben oder Wildgrassamen) dem heutigen Speiseplan eher fremd sind oder durch ihre jüngeren Kulturformen völlig aus der Küche verdrängt wurden (so z.B. Wildäpfel), sind andere seit Jahrtausenden populär geblieben (beispielsweise Holunder oder Himbeeren). Auch überregionale Handelsbeziehungen lassen sich auf diesem Gebiet nachweisen: So gelangte z.B. Saatgut aus dem Mittelmeerraum in die hier untersuchte Region. Mittelbar nützten Pflanzen der menschlichen Ernährung, wenn sie als Viehfutter Verwendung fanden. Auch hier stößt man zum Teil auf Ungewohntes, so etwa auf Misteln als gängiges Ziegenfutter.
Große Bedeutung hatten Pflanzen jedoch auch als Ausgangsmaterial für Gebäude und Gegenstände. Aus Holz und Schilf ließen sich nicht nur Behausungen, sondern auch Boote und Flöße herstellen. Rinde und Bast boten sich als Grundstoff für Gefäße und Fischernetze an, während sich aus Haselruten sogar mobile Brücken konstruieren ließen. Auch Kleidung und andere Textilien waren oft pflanzlichen Ursprungs. Nicht nur hier, sondern auch bei Wollstoffen und Keramik dienten Pflanzenfarben aller Art zur Verzierung und Verschönerung (so dass das Autorenduo hervorhebt, dass die in Rekonstruktionen gängige Darstellung von einförmig braunen Steinzeitgewändern womöglich gar nicht der Realität entspricht).
Bei allem Spannenden und manchmal Verblüffenden, was sich aus den archäobotanischen Funden ableiten lässt, verhehlen Karg und Weber jedoch auch nicht, was man – zumindest bisher – nicht weiß. So ist zwar Seifenkraut zahlreich in den Steinzeitsiedlungen des Alpenraums nachgewiesen, was einen Gebrauch zum Waschen von Textilien und zur Körperpflege nahelegt, aber wie genau damals für Sauberkeit gesorgt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis ebenso wie die Antwort auf die Frage nach dem Einsatz von Drogen, berauschenden Getränken und Heilpflanzen. Mit ein Grund dafür, dass vieles offen bleiben muss, ist auch, dass die zu den hier besprochenen Siedlungen gehörigen Bestattungsplätze bis heute nicht bekannt sind. Die Menschen selbst, deren Leben hier bruchstückhaft rekonstruiert wird, entziehen sich also noch dem Zugriff der Archäologie und werden nur selten einmal direkt greifbar (z.B. durch Zahnabdrücke in einer Art Kaugummi aus Birkenpech).
Eine Sammlung von kurzen Pflanzenporträts der im Text besprochenen Arten, eine Übersichtskarte zu den archäologischen Stätten und eine tabellarische Auflistung der dort gemachten Funde runden den durchgängig reich bebilderten und äußerst lesenswerten Band ab.

Sabine Karg, Ewald Weber: Heilsam – Kleidsam – Wundersam. Pflanzen im Alltag der Steinzeitmenschen. Darmstadt, Theiss (WBG), 2019 (Sonderheft der „Archäologie in Deutschland“ 01/2019), 112 Seiten.
ISBN: 9783806239423


Genre: Geschichte, Sachbuch allgemein

Das Knopfbuch

Praktischer Verschluss, modischer Zierrat, Statussymbol, Wirtschaftsfaktor oder begehrtes Sammelobjekt – Knöpfe spielen seit vor- und frühgeschichtlicher Zeit für die Menschen viele verschiedene Rollen. Zu einem facettenreichen und liebevoll bebilderten Streifzug durch Herstellung, Gebrauch und Kulturgeschichte dieser nur scheinbar unbedeutenden Gegenstände lädt Stephanie Schneider in ihrem Knopfbuch ein.
Nach einer kurzen Vorstellung der gebräuchlichsten Knopfformen und -größen stehen zunächst einmal die Materialien im Vordergrund, aus denen Knöpfe hergestellt wurden und werden. Von Naturprodukten tierischen oder pflanzlichen Ursprungs wie Perlmutt, Holz, Hirschhorn oder Bambus bis hin zu allerlei modernen Kunststoffen ist die die Auswahl schier unüberschaubar und hält neben Gewöhnlichem auch manch Exotisches bereit, das die meisten Leserinnen und Leser wohl nicht im eigenen Kleiderschrank finden dürften (wie z.B. Haizähne oder Schreibmaschinentasten).
Der daran anschließende umfangreichste Teil des Buchs ist der Geschichte des Knopfs gewidmet, der, zunächst nur mit einer Schlaufe als Gegenstück, ab dem Hochmittelalter auch mit dem uns heute vertrauteren Knopfloch, schon früh in allen möglichen Formen überliefert ist und sich flexibel allen Wandlungen von Mode und Selbstdarstellung anpasste. Hier finden sich daher auch viele kostümhistorische Details, die weit über das Thema Knopf hinausgehen.
Abschließend folgen noch eine kleine Sammlung von Kuriosa und Anekdoten und eine Betrachtung des Phänomens der Knopfkiste, die es in vielen Haushalten gibt. In Stephanie Schneiders persönlichen Betrachtungen und Erinnerungen zu diesem Thema entfaltet das Buch seinen größten Charme, und man liest schmunzelnd von Kinderspielen und Familienüberlieferungen, die sich mit Knöpfen verbinden.
Leider kann man jedoch bei einigen der historischen Informationen insbesondere über die frühesten Epochen berechtigte Zweifel haben, ob sie zutreffen. So können koptische Gräber nicht „aus der Zeit um 4500 bis 4000 v.Chr. “ (S. 56) stammen, sondern müssen wesentlich jünger sein. Auch wenn „die ersten Metallknöpfe der Bronzezeit, wie ‚Ötzi‘ sie getragen hat“ (S. 55), Erwähnung finden, darf man sich wundern. Nicht genug damit, dass der berühmte Gletschermann gemeinhin in die Jungsteinzeit bzw. Kupferzeit datiert wird und damit wohl etwa tausend Jahre vor Beginn der mitteleuropäischen Bronzezeit starb, zu seiner Kleidung gehörten laut Literatur zum Thema gar keine Knöpfe. Aufgrund der Konzeption eher als unterhaltsamer Geschenkband denn als Fach- oder Sachtext mit Quellennachweisen bleibt unklar, woher solche Fehlinformationen stammen, doch sie sorgen natürlich dafür, dass man auch auf Gebieten, auf denen man sich nicht gut genug auskennt, Bedenkliches sofort zu erkennen, der Zuverlässigkeit des Buchs zu misstrauen beginnt.
Das Gesamturteil muss daher notwendigerweise zweigeteilt ausfallen. Von der liebevollen Gestaltung her und als persönliche Auseinandersetzung mit dem Knopf macht Das Knopfbuch viel Vergnügen, doch als Informationsquelle braucht es zuallermindest vertrauenswürdige Ergänzungen, um einen nicht in die Irre zu führen.

Stephanie Schneider: Das Knopfbuch. Berlin, Insel Verlag, 2018 (Insel-Bücherei 1447), 136 Seiten.
ISBN: 9783458194477


Genre: Geschichte, Sachbuch allgemein

Wie klone ich ein Mammut?

Keine Angst – trotz seines dahin misszuverstehenden Titels ist Torill Kornfeldts Wie klone ich ein Mammut? Die Rückkehr der Eiszeitgiganten keine Schritt-für-Schritt-Anleitung, um bald die eigene Mammutherde im Garten weiden lassen zu können. Die Antwort auf die Frage, wie man ein Mammut klont, kennt derzeit mangels gut genug für solch einen Vorgang erhaltener Mammutzellen nämlich noch niemand. Stattdessen geht es im Buch der schwedischen Wissenschaftsjournalistin um die unterschiedlichsten Versuche, ausgestorbene Arten wiederzubeleben.
Das im Titel so prominent herausgestellte Klonen ist dabei nur in den seltensten Fällen das Mittel der Wahl, eignet es sich doch aufgrund des raschen Verfalls der DNA in toten Organismen nur bei gerade erst ausgestorbenen oder kurz vor dem Verschwinden stehenden Tieren und Pflanzen. Eingesetzt wurde es mit eher zweifelhaftem Erfolg beim um die Jahrtausendwende ausgestorbenen Pyrenäensteinbock: Hier kam tatsächlich ein geklontes Jungtier zur Welt, starb aber aufgrund eines Lungenproblems unmittelbar nach der Geburt. Auch für das Nördliche Breitmaulnashorn, eine nur noch in wenigen Individuen überdauernde Unterart des Breitmaulnashorns, wird diese Möglichkeit diskutiert.
Schon heute praktiziert wird dagegen die Vorgehensweise, mit konventionellen Methoden Tiere zu züchten, die äußerlich einer verschwundenen Art gleichen und darum deren Funktion im Ökosystem übernehmen könnten. Gleich mehrere Initiativen bemühen sich so um eine Rückzüchtung des im 17. Jahrhundert ausgestorbenen Auerochsen, der seither als großer Pflanzenfresser in Mitteleuropa fehlt.
Spektakulärer, aber in ihren ethischen und ökologischen Implikationen zugleich auch weit schwieriger einzuschätzen sind Vorhaben, schon länger ausgestorbene Tierarten durch gentechnische Veränderungen an heutigen Verwandten wiederauferstehen zu lassen. Die Rückkehr einst prägender Arten könnte möglicherweise aus der Bahn geworfene Ökosysteme wieder näher an ihren natürlichen Zustand führen und dadurch langfristig sogar zur Lösung von Problemen wie dem Klimawandel beitragen.
Wirkt dieser Plan schon bei der durch immer intensivere Bejagung im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgerotteten nordamerikanischen Wandertaube ziemlich kühn, stellt man sich bei der Idee, aus Asiatischen Elefanten durch Genveränderungen Mammuts zu machen und sie in Sibirien auszuwildern, vollends die Frage, ob das eine gute Idee sein kann. Noch bizarrere Formen nehmen die Gedankengänge der Verantwortlichen an, wenn ernsthaft vorgeschlagen wird, aus genveränderten Hühnern eine Art kleiner Dinosaurier zu gewinnen, die als Haustiere dienen sollen.
Sinnvoll umsetzbare Ideen, verlockende bis abschreckende Zukunftsvisionen und vollkommen exzentrische Phantastereien samt der dazugehörigen Selbstüberschätzung und Lust daran, Gott zu spielen, scheinen auf diesem Gebiet so eng beieinanderzuliegen wie auf kaum einem anderen. Dennoch vermeidet Kornfeldt eindeutige moralische Urteile. Bei allen Zweifeln, die sie eingesteht, scheint doch immer wieder auch ihr Verständnis für Experimentierfreude durch. Das erklärte Ziel der Autorin ist es, dass ihre Leserinnen und Leser ihre eigenen Schlüsse aus dem geschilderten ziehen, wenn es gilt, Hoffnungen und durchaus überzeugende Gegengründe (wie Aufwand und mögliches Tierleid) gegeneinander abzuwägen.
Um dazu auch tatsächlich in der Lage zu sein, wünscht man sich allerdings manchmal etwas mehr Tiefgang und detailreichere Informationen, als der reportagehafte, auf leichte Lesbarkeit angelegte Stil sie zulässt. Als erster Einstieg in ein ebenso komplexes wie verstörendes Thema ist Wie klone ich ein Mammut? dennoch geeignet.

Torill Kornfeldt: Wie klone ich ein Mammut? Die Rückkehr der Eiszeitgiganten. Darmstadt, WBG / Theiss, 2018, 224 Seiten.
ISBN: 9783806237702


Genre: Sachbuch allgemein

Ungeheuerlich

Alte Karten und Beschreibungen von Küsten und Meeren sind voller Fabelwesen, die mit der realen Fauna der dargestellten Region allenfalls bedingt etwas zu tun haben. Der Historiker Erling Sandmo nimmt sich in Ungeheuerlich. Seemonster in Karten und Literatur 1491 – 1895 der verblüffenden, unheimlichen und oft auch sehr amüsanten Kreaturen an, die durch die Bestände der norwegischen Nationalbibliothek geistern. In kurzen Kapiteln, die sich auch sehr gut unabhängig voneinander lesen lassen, wird jeweils ein wundersames Tier oder Phänomen vorgestellt, um dann in einer meist doppelseitigen historischen Illustration auch im Bild präsentiert zu werden. Die Übersetzung von Sylvia Kall wirkt elegant und flüssig, so dass die Lektüre zur genüsslichen Entdeckungstour werden kann.
Während Seeschlangen, Meermenschen oder schiffeversenkende Riesenkraken fast schon zum Standardinventar phantasievoller Seefahrergeschichten zählen, begegnet man in Sandmos kleinem Kompendium der bizarren Meeresbewohner auch originelleren Geschöpfen, so etwa dem ebenso gierigen wie ängstlichen swamfisk, der sich im Notfall sogar selbst auffrisst.
Neben Ungeheuern im eigentlichen Sinne bevölkern auch reale Tiere, über die man Merkwürdiges berichtete, die Seiten. Vermeintliche Wunderzeichen (wie eine im 17. Jahrhundert gefangene Scholle, deren Haut ein Kreuzeszeichen aufwies, so dass man sogleich den Bischof von Bergen informierte) stehen neben ungewöhnlichen Verhaltensweisen, die man bei Walross, Rochen oder Wal beobachtet haben wollte. Darüber hinaus spielen immer wieder auch andere erstaunliche Geschichten eine Rolle. So vertrat ein Geistlicher im frühen 18. Jahrhundert etwa die Theorie, Odysseus habe nicht nur die Lofoten bereist, sondern sei überdies mit Odin gleichzusetzen.
Wie vieles in dem Buch regt diese These aus heutiger Sicht natürlich zum Schmunzeln an, aber all das Witzige, Abstruse und Unterhaltsame trägt letztlich dazu bei, eine durchaus ernsthafte Geschichte zu erzählen – die nämlich von einem Wandel des Weltbilds, das in der hier im Zentrum stehenden Frühen Neuzeit einen allmählichen Übergang von Wundergläubigkeit und mythischer Zeichenhaftigkeit zu naturwissenschaftlichen Erklärungen erlebte. Stand erst noch die Frage im Vordergrund, was Erscheinen und Verhalten eines monströsen Wesens im wahrsten Sinne des Wortes zu bedeuten hätten, überwog später der Aspekt der Erforschung. Sandmo weiß mit leichter Hand deutlich zu machen, dass die Welt im Zuge ihrer Entzauberung zwar viel von ihrem Schrecken, aber in gewisser Weise auch etwas von ihrem Charme einbüßte.
Umso schöner ist es, den heute größtenteils vergessenen Bewohnern eines mit Magie und Legenden aufgeladenen Meeres in Ungeheuerlich begegnen zu können und sich auch an der liebevollen Gestaltung zu freuen: Beispielsweise ist im vorderen Buchdeckel der Innenteil einer Windrose ausgespart, so dass einen vom Vorsatzblatt aus ein Ungeheuerauge aus dem geschlossenen Buch anblickt. Ein rundum gelungenes kleines Werk also, dem man viele begeisterte Leserinnen und Leser (sowie Betrachterinnen und Betrachter) wünscht!

Erling Sandmo: Ungeheuerlich. Seemonster in Karten und Literatur 1491 – 1895. München, Nagel & Kimche, 2018, 100 Seiten.
ISBN: 9783312010943


Genre: Kunst und Kultur, Märchen und Mythen, Sachbuch allgemein

Das Herz einer Honigbiene hat fünf Öffnungen

Honigbienen zählen als Bestäuber von Pflanzen und Honigproduzenten zu den Tieren, die mit den Menschen am engsten verbunden sind. Gezähmt sind sie trotz jahrtausendealter Bienenhaltung bis heute nicht, und ihre erst spät wirklich in Schwung gekommene Erforschung hält immer noch so manche Überraschung parat. Wer auf unterhaltsame und berührende Art mehr über die kleinen Insekten, ihre Lebensweise und die Geschichte ihrer Koexistenz mit uns erfahren möchte, findet in Helen Jukes Erfahrungsbericht Das Herz einer Honigbiene hat fünf Öffnungen genau die richtige Lektüre.
Nach zahllosen Umzügen verschlägt es die dreißigjährige Helen Jukes für längere Zeit nach Oxford, doch weder das schimmelbefallene Haus, das sie sich mit einer Freundin teilt, noch der von Stress und Reibereien geprägte Bürojob lässt so etwas wie ein Heimatgefühl aufkommen. Das ändert sich, als ein Geschenk sie zwingt, ihr altes Interesse an der Imkerei nicht mehr nur in Gedankenspielen zu verfolgen, sondern endlich Nägel mit Köpfen zu machen: Das Bienenvolk, das sie bekommt, muss schließlich untergebracht und versorgt werden, und es gibt noch viel über die neuen Mitbewohner im Garten herauszufinden.
An diesem Wissen lässt Jukes ihre Leserinnen und Leser in der Schilderung ihres ersten Jahres als Imkerin teilhaben, doch die naturkundlichen und forschungshistorischen Informationen sind so liebevoll um persönliche Eindrücke bereichert, dass nie der Eindruck aufkommt, ein trockenes Sachbuch vor sich zu haben. So lernt man nicht nur den ungewöhnlichen Körperbau der Bienen, ihre Nahrungssuche und ihr Sozialverhalten kennen, sondern auch ihre Bedrohung durch Insektengifte wie etwa Neonicotinoide. Auch die auf Hochleistung getrimmte moderne Imkerei selbst hat jedoch ihre Tücken für die Tiere, so dass Jukes sich für eine auf den ersten Blick unpraktischere, dafür aber natürlichere Haltungsform entscheidet und sich mit Gleichgesinnten vernetzt. Bisweilen hilft ihr daneben der Blick in die Geschichte weiter: Insbesondere die Untersuchungen des blinden Schweizers François Huber, der im 18. Jahrhundert die Bienenforschung entscheidend voranbrachte, und des amerikanischen Pastors Lorenzo Langstroth, dessen im 19. Jahrhundert in die Imkerei eingeführte Neuerungen bis heute nachwirken, beeindrucken sie stark und werden immer wieder lebendig gewürdigt.
Beide Männer dienen Jukes zugleich als Beispiele dafür, wie die Beschäftigung mit Bienen Menschen helfen kann, Einschränkungen oder Belastungen in ihrem eigenen Leben zu bewältigen. Denn diese Erfahrung macht Jukes Schritt für Schritt selbst, während sie das Wachsen ihres Bienenvolks verfolgt und auf die erste Honigernte wartet. Die genaue Naturbeobachtung und die Verantwortung für die Tiere verändern viel in ihr selbst, und durch die Bienen erleichterte Begegnungen mit teilweise herrlich exzentrischen alten und neuen Bekannten tun ein Übriges, sie aus dem sinnentleerten Arbeitsalltag ausbrechen zu lassen. So findet sie neben einer neuen Aufgabe ganz allmählich auch die Liebe und eine wirksamere Art, mit Schwierigkeiten umzugehen.
Das alles ist in bester englischer Sachbuchtradition sehr zugänglich beschrieben, ohne je anspruchslos zu werden. Neben allem, was man so ganz entspannt über Bienen lernt, findet man in Jukes‘ Geschichte auch Denkanstöße für das eigene Leben und indirekt die Ermutigung, neue Wege einzuschlagen. Wenn ein Buch einem also ebenso viel nützt, wie es beim Lesen Freude macht, dann garantiert Das Herz einer Honigbiene hat fünf Öffnungen. Uneingeschränkte Lektüreempfehlung!

Helen Jukes: Das Herz einer Honigbiene hat fünf Öffnungen. Köln, DuMont, 2018, 304 Seiten.
ISBN: 9783832183639


Genre: Sachbuch allgemein

One Pot Soulfood

Mit One Pot Soulfood setzen die renommierten Kochbuchautorinnen Susanne Bodensteiner und Sabine Schlimm ihre Seelenfutter-Reihe fort, in der wohlige und unkomplizierte Gerichte im Mittelpunkt stehen, die ohne großen Aufwand den Alltag ein bisschen versüßen können. Den Hinweis One Pot im Titel sollte man dabei weitgefasst auslegen – der „Topf“ ist manchmal auch eine Pfanne, eine Auflaufform oder sogar ein Backblech, aber man kommt in der Tat mit wenig Kochgeschirr aus, um eine bunte Vielfalt von Speisen zu zaubern. Der Titel dieses Bandes hätte eigentlich auch Seelenfutter weltweit lauten können, denn die Gerichte – von Mona Binner in eher minimalistischen als besonders seelenwärmenden Fotos effektvoll in Szene gesetzt – decken geographisch eine große Bandbreite ab: Von verschiedensten europäischen Ländern über den Orient, Indien und Ostasien bis nach Amerika kann man sich hier nach Lust und Laune einmal um die Welt kochen. Bei manchen Rezepten ist deshalb auch ein bisschen Einkaufsvorbereitung erforderlich: Jackfruit oder Okraschoten hat wahrscheinlich nicht jeder dauerhaft im Vorratsschrank, um sie spontan nach Feierabend einem schnellen Gericht hinzuzufügen.
Zu diesem Zweck dienen eher die auf Sonderseiten zwischen den großen Kapiteln vorgestellten Vorratsjoker wie z.B. Hülsenfrüchte, Speck oder Tiefkühlbeeren, zu denen gleich passende Rezepte vorgeschlagen werden. Ansonsten gliedert sich das Buch in die Kategorien Vegetarische Wundertöpfe, Fleischiges mit Wohlfühlfaktor, Seelenfutter bei die Fische sowie Seelenstreichler süß und sündig, so dass für wirklich jeden Geschmack das Passende dabei ist. Zu ganz typischem Trostessen wie Pasta, Eintöpfen oder Milchreis gibt es dabei über die eigentlichen Rezepte hinaus schwungvoll formulierte Zusatztexte, die mit historischen Informationen, aber auch mit Empfehlungen zur Auswahl guter Zutaten und mit ganz praktischen Küchentipps aufwarten (und sogar mit einem versteckten Extrarezept – es lohnt sich also, genau zu lesen). Solche kleinen Hinweise – zu Variationen der Gerichte, aber auch z.B. zum Händereinigen nach Kontakt mit Roter Bete – sind auch in den Rezeptteil immer wieder eingestreut und bieten gute Ideen, die man in dieser Form noch nicht überall gelesen hat. Ohnehin sind die originellen Abwandlungen bekannter Gerichte eine große Stärke von One Pot Soulfood (mein Favorit in der Beziehung ist bisher der Heidelbeer-Clafoutis, der schnell gemacht ist, ganz hervorragend schmeckt und den Vergleich mit dem eigentlich mit Kirschen zubereiteten französischen Original nicht zu scheuen braucht).
Nützlich gerade für Singles oder für kleine Haushalte ist auch die Tatsache, dass alle Rezepte für zwei Personen (anders als sonst üblich für vier oder sechs) berechnet sind. Wer nicht jeden Tag für eine ganze Familie oder eine gesellige Besucherrunde kocht, hat es hier also leicht, sofort ohne langes Umrechnen eine angemessene Menge auf den Tisch zu bringen. Neben der unbestreitbar gegebenen praktischen Anwendbarkeit kommt aber auch der Spaß nicht zu kurz: Charmante kleine Einleitungstexte zu jedem Rezept nehmen, oft mit einem Augenzwinkern, eine Einordnung der Herkunft vor oder erläutern, welche Zutaten hier der Seelenfutter-Wirkung besonders dienlich sind.
Wer eine abwechslungsreiche Küche schätzt, einen Hauch von Exotik nicht scheut und dennoch auf eine alltagstaugliche Zubereitung Wert legt, findet bei One Pot Soulfood also genau das, was er sucht.

Susanne Bodensteiner, Sabine Schlimm: One Pot Soulfood. 80 Seelenwärmer-Rezepte für Topf, Blech oder Pfanne. München, Gräfe und Unzer, 2018, 192 Seiten.
ISBN: 97838338677637

 


Genre: Sachbuch allgemein

Römisches Kochbuch

Die Aufbereitung historischer Rezepte für moderne Geschmäcker und Bedürfnisse liegt im Trend, und gerade die römische Küche, aus der mit dem sogenannten Kochbuch des Apicius, aber auch mit einzelnen Anleitungen etwa bei Cato und Columella die genaue Zubereitung zahlreicher Gerichte überliefert ist, bietet in der Hinsicht ein dankbares Betätigungsfeld.
Robert Maiers Römisches Kochbuch ist ein besonders gut konzipiertes Beispiel für einen solchen kulinarischen Ausflug ins alte Rom, das durch große Sachkenntnis besticht. Bevor es zu den eigentlichen Rezepten geht, verrät eine kurze Einführung viel Wissenswertes über die römische Küche. Neben den üblichen Hinweisen zu damals noch nicht bzw. heute nicht mehr bekannten Zutaten und einer Vorstellung der wichtigsten Quellen geht es dabei auch um Feinheiten, die man sonst selten bedenkt (etwa darum, dass bestimmte Gemüsesorten heute größer gezüchtet werden, als sie es in der Antike waren), und um Traditionen, die bis heute überdauert haben: So lassen sich etwa die Ursprünge mancher Arten von Wurst und Gebäck, die in bestimmten italienischen Regionen immer noch gängig sind, bis in die Römerzeit zurückverfolgen. Daneben finden sich interessante Überlegungen zum Preis von Lebensmitteln in der Antike. Zumindest einzelne Werte haben sich hier nicht sehr verändert: Umgerechnet kostete ein Ei zur Zeit des Kaisers Diokletian ungefähr das Gleiche wie heute ein Bio-Ei.
Die eigentlichen Rezepte sind nach den Kategorien Getränke, Eingemachtes, Vorspeisen, Hauptgerichte, Beilagen, Nachspeisen und Gebäck geordnet. Neben heute gängigen Mengenangaben und Zubereitungsempfehlungen bieten sie immer wieder auch durchdachte Detailtipps (z.B. sind Hinweise enthalten, wann man in einem Rezept besser etwas verändern sollte, weil der Garprozess sonst bei einem modernen Herd oder Ofen nicht zum selben Resultat führt wie bei der Nutzung der jeweiligen antiken Pendants).
Trotz dieser Anpassung an unsere Möglichkeiten und Kochgewohnheiten ist das Römische Kochbuch aber eines der wenigen seiner Art, das neben alltäglichen Rezepten ganz bewusst auch solche für schwelgerische Feste enthält. Wer also schon immer wissen wollte, wie er ein Spanferkel mit Füllung aus Hähnchen, Wachteln, Weinbergschnecken und allerlei Gemüse und Früchten zubereiten kann – hier gibt es die Schritt-für-Schritt-Anleitung, komplett mit der wenig überraschenden Versicherung, dass man damit garantiert „eine große Anzahl von Gästen“ satt bekommt. Wahrscheinlich wird man zwar eher etwas einfachere Speisen spontan nachkochen (z.B. eines der vielen empfehlenswerten Pilzgerichte), aber es verdient doch Anerkennung, dass Robert Maier nicht einfach unterschlägt, dass auch solch übersteigerte Üppigkeit durchaus Teil der gehobenen römischen Küche war, und sich tatsächlich an eine Umsetzung wagt.
Aber keine Sorge: Auch Vegetarier und Veganer kommen hier auf ihre Kosten, und die Menüvorschläge, die das Buch abrunden, sind jeweils so gekennzeichnet, dass man schnell erkennt, ob sie nur für Fleisch- und Fischfans oder speziell für die Freunde rein pflanzlicher Nahrung geeignet sind.
Nur eines fehlt dem kompakten Taschenbuch: eine Bebilderung. Wer wissen möchte, wie die römischen Gerichte denn nun zubereitet aussehen, hat keine Wahl, als sich ans Nachkochen zu machen – aber das lohnt sich durchaus.

Robert Maier: Römisches Kochbuch. Rezepte für die moderne Küche. Stuttgart, Reclam, 2015, 257 Seiten.
ISBN: 9783150110195


Genre: Geschichte, Sachbuch allgemein

Auf Jesu Spuren

Zugegeben, der Titel lässt erst einmal an ein frommes Erbauungsbuch denken – doch Nils Straatmanns Auf Jesu Spuren ist kein primär religiöses oder geschichtliches Werk, sondern ein hochaktueller Reisebericht über das heutige Israel und Palästina.
Als Theologiestudent nicht unbedingt frei von Skepsis und Glaubenszweifeln beschließt Nils Straatmann, dem historischen Jesus nachzuspüren, indem er dessen Weg von Galiläa bis Jerusalem nachwandert – ein Vorhaben, das er im Frühjahr bis Sommer 2016 gemeinsam mit seinem wenig kirchenaffinen Freund Sören in die Tat umsetzt.
Was so als schräge Mischung zwischen Pilgerfahrt und Bildungsreise beginnt, führt jedoch nicht zu bahnbrechenden Erkenntnissen über die Antike oder gar zur spirituellen Erweckung. Im Gegenteil: Die touristische Ausschlachtung jeder noch so zweifelhaften Legende stößt die beiden Besucher eher ab und nimmt selbst prinzipiell interessanten archäologischen Stätten ihren Reiz.
Als umso spannender erweisen sich die Begegnungen mit den heutigen Bewohnern der Landstriche, in denen Jesus einst wirkte. Immer wieder erleben die beiden Wanderer Offenheit und rührende Gastfreundschaft, sehen sich daneben aber angesichts der angespannten politischen Lage auch mehr als einmal mit Misstrauen bis hin zur Aggression konfrontiert.
Wer den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht nur in seiner historischen Dimension, sondern auf ganz persönlicher Ebene verstehen möchte, findet in Straatmanns Schilderungen seiner Gespräche mit Juden, Muslimen, Christen und Drusen reichlich Material. Mehrfach scheinen Friedenssehnsucht und legitime Kritik am Verhalten beider Seiten auf, aber vor allem wird überdeutlich, dass auch mancher, der auf den ersten Blick aufgeschlossen und sympathisch wirkt, der jeweils anderen Konfliktpartei gegenüber Vorurteile bis hin zur ideologischen Verbohrtheit hegt. Dementsprechend sind es auch nicht ausschließlich praktische Gründe, die einer dauerhaften Überwindung der Gegnerschaft im Wege stehen, sondern nicht zuletzt auch die Tatsache, dass das Festhalten an eingefahrenen Feindbildern für Israelis wie für Palästinenser in gewissem Maße identitätsstiftend wirkt und hilft, in sich durchaus heterogene Gruppen zusammenzuschweißen. Eine schnelle Lösung dieser Probleme sieht Straatmann zu Recht nicht, und so stimmen einen viele seiner Beobachtungen eher nachdenklich und pessimistisch.
Deprimierend ist die Lektüre dennoch nicht, denn neben allem Ernst finden sich am Wegesrand auch zahlreiche Kuriosa, von einem Harry-Potter-Film, der etwas Abwechslung ins triste Beduinendasein bringt, über merkwürdige Souvenirs wie Jordanwasser, vor dessen Konsum dringend gewarnt wird, bis hin zu einer Brauerei in einem christlichen Palästinenserdorf, die Bier nach deutschem Reinheitsgebot herstellt. Nicht nur an diesen Stellen ist der Erzählstil beschwingt und humorvoll, so dass sich das Wandeln Auf Jesu Spuren durchgehend sehr unterhaltsam gestaltet, auch wenn einmal manchmal das Lachen im Halse steckenbleibt.

Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren. Eine Wanderung durch Israel und Palästina. München, Piper, 2. Aufl. 2018, 304 Seiten.
ISBN: 9783890294797


Genre: Sachbuch allgemein

Die Weisheit der Wölfe

Wölfe haben in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer keinen leichten Stand: Das Image des „bösen Wolfs“ ist schwer abzuschütteln, und die andererseits bisweilen betriebene Romantisierung wird den klugen und sozialen Tieren ebenso wenig gerecht. Dem wirklichen Wesen der Wölfe versucht Elli H. Radinger sich in Die Weisheit der Wölfe anzunähern.
Das Buch in eine der gängigen Schubladen einzuordnen, ist dabei fast unmöglich: Vordergründig ist es zwar naturkundlich ausgerichtet und schildert vor allem Beobachtungen an den Wolfsrudeln im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark, doch es hat zugleich eine philosophische Komponente, wenn Radinger immer wieder herausarbeitet, inwieweit das Verhalten der Wölfe dem menschlichen ähnelt oder ihm sogar als Vorbild dienen kann. Wer eher trockene Sachtexte gewohnt ist, wird vielleicht sogar einen kleinen Kulturschock erleben, denn Die Weisheit der Wölfe ist bewusst emotional geschrieben – nicht sentimental (die Tiere werden keineswegs verniedlicht), sondern von viel Enthusiasmus und Sympathie für Wölfe im Allgemeinen und manche Exemplare im Besonderen getragen. Ob und inwieweit man sich darauf einlassen mag, ist sicher Geschmackssache, aber wenn man es tut, wird man mit einem intensiven Ausflug in eine faszinierende Welt belohnt.
Wie Wölfe in freier Wildbahn miteinander, mit ihrer Beute und mit weiteren Lebewesen interagieren, ist, wie man hier erfährt, erst relativ spät erforscht worden. Noch immer sind die populären Vorstellungen daher stark von Beobachtungen geprägt, die man an in Gefangenschaft gehaltenen Wölfen gemacht hat, deren Zwangsgemeinschaften mit der natürlichen, überwiegend familiär geprägten Rudelstruktur wenig gemein haben. „Alphatiere“ und dergleichen mehr tauchen hier deshalb nur als kritisierte und überholte Konzepte auf.
Stattdessen erfährt man viel über den fürsorgliches Miteinander, clevere Jagdstrategien, erbitterte Kämpfe gegen rivalisierende Rudel, Anpassungsfähigkeit, ausgelassene Spiele, die Zusammenhänge in ganzen Ökosystemen und – besonders spannend – die fast freundschaftliche Zusammenarbeit mit Raben bei der Beutesuche. Auch den weitverbreiteten Ressentiments gegenüber Wölfen und nicht zuletzt der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland, die nicht bei allen Begeisterung auslöst, obwohl sie eigentlich zu begrüßen ist, sind Kapitel gewidmet.
Wer sich schon eingehender mit Wölfen befasst hat, wird hier zwar viel Bekanntes wiederfinden, aber die Lektüre von Radingers Buch lohnt sich dennoch, da bei ihr einzelne Tiere deutlicher als anderswo als Individuen hervortreten. Wölfe – so wird einem klar – ähneln Menschen auch in der Hinsicht, dass vieles vom Charakter des Einzelnen abhängt und nicht jeder denselben Weg beschreitet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Oft scheinen sie dabei weit mehr im Einklang mit sich und ihrer Umwelt zu sein als Menschen, so dass Radinger immer wieder dafür plädiert, sich einiges bei ihnen abzuschauen. Hier sind manche Interpretationen natürlich sehr subjektiv, aber insgesamt ist die Überlegung, dass der Blick in die Natur helfen kann, innezuhalten und eigene Gewohnheiten und Denkmuster zu hinterfragen, sicher nicht falsch.
Neben zahlreichen schönen Fotos (teilweise sogar in Farbe) runden einige praktische Hinweise den Band ab. Außer Tipps zum richtigen Verhalten wilden Wölfen gegenüber ist hier auch eine Art kleiner Reiseführer enthalten, falls man selbst planen sollte, den Protagonisten des Buchs in den USA einen Besuch abzustatten. Wer keinen wissenschaftlich-trockenen, sondern eher einen mitreißenden und schwungvoll lesbaren Zugang zum Thema Wolf sucht, findet hier also genau das Richtige.

Elli H. Radinger: Die Weisheit der Wölfe. Wie sie denken, planen, füreinander sorgen – Erstaunliches über das Tier, das dem Menschen am ähnlichsten ist. München, Ludwig, 2017, 288 Seiten.
ISBN: 9783453280939


Genre: Sachbuch allgemein

Der Geschmack des Weltreichs

Die Alltagsgeschichte der römischen Antike ist nicht nur in der Forschung, sondern auch bei historisch Interessierten ein beliebtes Thema, und die Esskultur ist daraus nicht wegzudenken: Speisen, die man nachkochen und probieren kann, bieten schließlich mit den unmittelbarsten sinnlichen Zugang zu einer vergangenen Welt. Die überlieferten Rezepte sind jedoch in Mengenangaben und Zubereitungsempfehlungen oft äußerst vage. Abhilfe schaffen Kochbücher, die das antike Textmaterial heutigen Gepflogenheiten entsprechend ausdeuten. Der Geschmack des Weltreichs ist ein Beispiel für diese Buchgattung, das ins römische Germanien führt.
Der Romanautor Michael Kuhn nähert sich der römischen Kochkunst nicht aus streng wissenschaftlicher Perspektive, sondern von der unterhaltsamen Seite. Eine strikte Rekonstruktion steht nicht im Vordergrund, sondern der Spaß für Hobbyköchinnen und -köche. So sind die Rezepte in eine kleine Geschichte um das Pech eines jungen Legionärs eingebettet, der unfreiwillig als Küchenhilfe beim Gastmahl seines Vorgesetzten einspringen muss, und kommen in Geschmacksrichtung und Zutatenauswahl heutigen Vorlieben sehr entgegen. Wer also hofft, hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für orgiastische Prassereien à la Trimalchio zu erhalten, dürfte eher enttäuscht sein.
Stattdessen gibt es freie Interpretationen derjenigen antiken Rezepte (etwa von Apicius oder Cato), die im weitesten Sinne so etwas wie solide Hausmannskost ergeben, vom Fladenbrot über Linseneintopf und Schinken im Teigmantel bis hin zum Honig-Käsekuchen. Bequemlichkeit geht dabei teilweise vor historischer Korrektheit (so wird z.B. ein Wurstrezept in eines für Frikadellen umgewandelt und auch durchaus einmal Backpulver in den Teig gemischt). Aber nicht immer ist der Griff zu modernen Zutaten so bewusst: Ein Gericht wird mit grünen Bohnen zubereitet, die den Römern eigentlich noch unbekannt gewesen sein dürften, da sie aus der Neuen Welt stammen.
Nicht ganz klar geworden ist mir die Logik hinter der Grammatik der lateinischen Rezeptnamen, bei denen Nominativ und Akkusativ munter abwechseln. Hier hätte man sich ein gründlicheres und sprachkundigeres Lektorat gewünscht.
Auch bei den Illustrationen schwankt die Qualität ein wenig. Während die Fotos der einzelnen Gerichte ansprechend geraten sind, wirken die Grafiken mit der Übersicht über die den Römern bekannten und unbekannten Lebensmittel etwas unscharf und hätten eine hübschere Gestaltung verdient.
Ein Gesamturteil über den Geschmack des Weltreichs fällt daher im Endeffekt schwer. Einerseits ist einem an dem Buch die Intention sympathisch, römische Esskultur für Laien ohne großen Aufwand und mit raschen Erfolgserlebnissen nachvollziehbar zu machen, und die fiktiven Szenen lesen sich ganz unterhaltsam, auch wenn ihnen der didaktische Charakter anzumerken ist. Andererseits hätte man sich doch etwas mehr Genauigkeit im Detail gewünscht. Wer in der Antike einfach nur ein paar vergnügliche Anregungen für die Küchenpraxis sucht, kann hier fündig werden, aber alle, die auf bis in alle Einzelheiten belastbare Informationen Wert legen, sollten zumindest zusätzlich oder gleich ganz zu anderen Werken greifen.

Michael Kuhn: Der Geschmack des Weltreichs. Einführung in die römische Küche. Aachen, Ammianus, 2017, 96 Seiten.
ISBN: 9783945025604


Genre: Geschichte, Sachbuch allgemein