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Die Vandalen

Vandalen sind heute noch in aller Munde – allerdings eher selten auf die germanische Gruppierung bezogen, die diese Bezeichnung an der Schwelle von der Spätantike zum Frühmittelalter führte. Vielmehr ist die übertragene Bedeutung geläufig, die in Vandalen ausschließlich die Verursacher blindwütiger Zerstörung sieht – aber haben die historischen Namensträger diese Zuschreibung eigentlich verdient?

Konrad Vössing zeichnet in Die Vandalen ein differenziertes Bild der völkerwanderungszeitlichen Gens, deren Geschichte sich nur für etwa hundertdreißig Jahre von einem ersten massiven Angriff auf das römische Reich (Rheinübergang von 406) bis hin zur vollständigen Auflösung nach dem Ende des Vandalenreichs in Nordafrika (534) einigermaßen sicher nachverfolgen lässt. Die Frühzeit der Vandalen liegt eher im Dunkeln, wobei Vössing sie weder als Stamm noch als kriegerisches Zweckbündnis sieht, sondern sie unter Verwendung des von Reinhard Wenskus geprägten Begriffs des „Traditionskerns“ als Gemeinschaft zeichnet, deren Zusammengehörigkeitsgefühl zunächst auf historischen Narrativen, später aber auch auf der im Kontrast zum Katholizismus der Römer stehenden arianischen Ausprägung des Christentums fußte.

Gerade in dieser bewussten Abgrenzung der Vandalen von der sie umgebenden römischen Kultur sieht Vössing dabei neben politischen Fehlern eine der entscheidenden Ursachen für den raschen und vollständigen Untergang des Reichs, das sie unter ihrem ebenso langlebigen wie tatkräftigen und skrupellosen König Geiserich in Nordafrika erobert hatten, nach nur wenigen Generationen. Den Vandalen fehlte der Rückhalt in der übrigen Bevölkerung, weil sie eine Integration in die bestehende Gesellschaft – anders als etwa die Franken in Gallien oder später die Westgoten in Hispanien – weder erreichten noch überhaupt anstrebten, sondern sich zeitweise sogar durch eine Verfolgung der Katholiken oder die Missachtung ehemaliger Verbündeter unbeliebt machten. Versuche des Königs Hilderich, relativ spät in der Geschichte des Vandalenreichs doch noch eine Annäherung zwischen Vandalen und Römern durchzusetzen, stießen in der vandalischen Elite auf Ablehnung und führten letzten Endes zur Absetzung des Herrschers. Sein glücklos agierender Nachfolger Gelimer sah sich den oströmischen Truppen, die nach mehreren vergeblichen Anläufen Jahrzehnte zuvor nun endgültig die Rückeroberung der an die Vandalen verlorenen Gebiete in Angriff nahmen, nicht gewachsen.

An Vössings Interpretation der vandalischen Geschichte fällt positiv auf, dass er nicht allein die Beziehungen der Vandalen zum römischen Reich in den Mittelpunkt stellt, sondern auch Konflikte und Bündnisse der barbarischen Gentes untereinander verstärkt ins Bewusstsein ruft. Mehrfach eröffnet er dabei anregende neue Perspektiven, so etwa, wenn er anmahnt, Amalafrida, die Schwester des Ostgotenkönigs Theoderich, die den Vandalenkönig Thrasamund heiratete, als politische Akteurin ernstzunehmen und nicht als reinen Spielball der Interessen anderer zu sehen.

Dabei schreibt Vössing gut lesbar und auch für ein allgemeines Publikum eingängig und problemlos verständlich. Wenn er in seinem Schlusskapitel noch einmal den Bogen zurück zum Vandalismusbegriff schlägt, dessen Entstehung im späten 18. Jahrhundert analysiert und zu dem Fazit kommt, dass die Verbindung mit gedankenloser Verwüstung den historischen Vandalen nicht gerecht wird, ihren Namen aber immerhin im Gedächtnis hält und dadurch zur Beschäftigung mit ihnen anregt, kann man ihm nur zustimmen. Denn wie sein Buch zeigt, lohnt es sich durchaus, sich die Vandalen einmal näher anzusehen.

Konrad Vössing: Die Vandalen. München, C.H. Beck, 2018, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-71881-6

 


Genre: Geschichte

Etruscan Art

Unter den Kulturen der Antike ist die der Etrusker vermutlich diejenige, die am stärksten ausschließlich oder doch vorwiegend mit ihrer Kunst assoziiert wird. Da die etruskische Literatur verloren ist, beschränken sich die Textquellen abgesehen von einigen Inschriften auf oft von Vorurteilen gefärbte Erwähnungen bei griechischen und römischen Autoren. Unmittelbarer scheint die Lebens- und Gedankenwelt der Etrusker in erhaltenen Statuen, verzierten Gebrauchsgegenständen und insbesondere in den prächtigen Grabmalereien greifbar zu werden. Eine der zugänglichsten und lesenswertesten Einführungen in die etruskische Kunst ist nach wie vor Nigel Spiveys Etruscan Art, eine an ein allgemeines Publikum gerichtete, reich bebilderte Darstellung, die auch durch einen übersichtlichen Anhang, der die zeitliche Gliederung der etruskischen Geschichte aufschlüsselt und eine kleine kommentierte Bibliographie bietet, den Einstieg in das Thema sehr erleichtert.

Gleich in der Einleitung bemüht Spivey sich, die Mär von den besonders geheimnisvollen oder rätselhaften Etruskern zu entkräften, indem er deutlich macht, dass der erwähnte Schriftquellenmangel einerseits und die besonders gute Erhaltung der in einen sepulkralen Kontext einzuordnenden Kunst andererseits das Bild verzerren und gerade in der älteren Forschung Spekulationen aller Art Tür und Tor geöffnet haben. Um ein Gegengewicht zu einer mystifizierenden Etruskerdeutung zu schaffen, versucht er, die Kunst in gesichertes Wissen über ihren historischen und sozialen Kontext einzubetten.

Ein erstes Kapitel skizziert die allmähliche Herausbildung des Etruskischen in der eisenzeitlichen Villanova-Kultur (ab etwa 1000 v. Chr.), die aus bronzezeitlichen Wurzeln hervorging. Diese einheimischen Vorgänger waren jedoch nicht das Einzige, was die etruskische Kunst ausmachen sollte. Im zweiten Kapitel, Etruria and the Orient, werden die lange dominierenden orientalischen (vielfach phönizischen) Einflüsse geschildert, die sich insbesondere auch in den oft unendlich feinen etruskischen Goldschmiedearbeiten aufspüren lassen. Das dritte Kapitel, Etruria Hellenized, hebt die Kontakte zu Griechenland hervor, die ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. nicht nur den Stil, sondern auch die Inhalte der etruskischen Kunst entscheidend mitbestimmten: Neben Gestalten aus der griechischen Sagenwelt, die offenbar auch die Etrusker sehr faszinierte, tauchen lokal umgeformte griechische Bräuche wie das festliche Trinkgelage (Symposion) immer wieder auf.

Ort des Kunstschaffens und des Kunstgenusses waren die Städte als Sitz der Eliten, die als Auftraggeber einheimischer wie umherreisender, wohl oft griechischer Künstler anzusprechen sind. Mit The Etruscan Cities as Centres of Art ist den etruskischen Städten daher auch folgerichtig das umfangreichste Kapitel des gesamten Buchs gewidmet. Besonders anhand der etruskischen Sarkophage spürt Spivey hier der Frage nach, inwieweit die Lebenswirklichkeit und ihre künstlerische Wiedergabe auch auseinanderklaffen konnten (z.B. bei der Grabstatue einer nach Ausweis ihrer erhaltenen Gebeine schon alten Frau, die gleichwohl in jugendlicher Frische und mit bräutlichem Gestus dargestellt wurde, während andere Bildnisse gerade in der etruskischen Spätzeit durchaus mehr Mut zur Hässlichkeit erkennen ließen). Prägend wurde die etruskische Kultur zunächst für das frühe Rom, doch wie schon der Titel des fünften Kapitels – From Etruscan Rome to Roman Etruria – andeutet, blieb es nicht dabei. Die Etrusker gingen in der römischen Welt nach der Eroberung Etruriens ebenso auf wie unter – während Familien mit latinisierten Namen und bestimmte religiöse Bräuche (z.B. bei der Opferschau) noch lange weiterexistierten, verschwanden etruskische Sprache und Schrift.

Das sechste Kapitel kann darum nur noch The Etruscan Legacy, also das Erbe der Etrusker, in den Blick nehmen und schildert die Wiederentdeckung ihrer Kunst ab der Renaissance, aber verstärkt im 18. und 19. Jahrhundert, ebenso wie einige der haltlosen Theorien und Phantasievorstellungen, die sich in der Neuzeit mit den Etruskern verknüpften. Dass in der Moderne auch eine von finanziellen Interessen gelenkte Ausbeutung der etruskischen Kunst einsetzte – ob nun eher harmlos in Form von Olivenölwerbung oder, bitter für die Wissenschaft, durch die Aktivitäten von Raubgräbern -, lässt das Buch mit einer nachdenklichen Note ausklingen.

Wenn etwas an Etruscan Art zu kritisieren ist, so eigentlich nur, dass die Abbildungsqualität besser sein könnte. Gerade bei den ja stark durch ihre Farbenpracht wirkenden Wandgemälden aus den etruskischen Gräbern ist es bedauerlich, dass viele Abbildungen nur in Schwarz-Weiß vorhanden sind, aber auch bei den Farbfotos hat man nicht den Eindruck, dass sie in jedem Fall so klar und exakt abgedruckt sind, wie man es sich wünschen würde. Das schmälert den Wert des Texts aber nicht, und der sei wirklich allen ans Herz gelegt, die sich für etruskische Kunst interessieren.

Nigel Spivey: Etruscan Art. London, Thames & Hudson, 2006 (Nachdruck der Ausgabe von 1997), 216 Seiten.
ISBN: 978-0-500-20304-0


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur

Die Geburt der mediterranen Welt

Ist es statthaft, eine Rezension mit einem Hinweis auf einen eigentlich völlig nebensächlichen Tippfehler zu beginnen? Vermutlich nicht, aber dieser hier ist fast schon genial, zeigt er doch so herrlich auf, worum es in Cyprian Broodbanks monumentalem Werk Die Geburt der mediterranen Welt geht. Denn wenn auf einmal vom „Mittelmehr“ (S. 215) die Rede ist, fasst das unabsichtlich sehr schön zusammen, dass das Mittelmeer für die Menschen in seiner Umgebung nie nur ein Gewässer war, sondern ebenso oft trennendes wie – nach dem Aufkommen der Seefahrt – verbindendes Element, Nahrungsquelle, Handelsweg und nicht zuletzt Mittelpunkt eines Kulturraums, dessen Entwicklung von den Anfängen bis zum Beginn der klassischen Antike nachgezeichnet wird.

In der Tradition Fernand Braudels richtet Broodbank dabei den Blick auf die longue durée, und der Begriff ist in diesem Fall sehr ernst zu nehmen: Bevor überhaupt die ersten Vorfahren der Menschheit die Bühne betreten, hat man schon einiges über Erd- und Naturgeschichte des Mittelmeerraums erfahren. Dann aber folgt ein detailfreudiges Panorama, in dem von Neandertalern über Ägypter, Minoer, Phönizier und Griechen bis hin zu den ersten Römern so gut wie alle ihren Auftritt haben, die in den behandelten Epochen an den Küsten des Mittelmeers lebten. Man liest von Herausbildung und Zerfall unterschiedlichster Gemeinschaften, von schon früh erstaunlich weitgespannten Handelsnetzen, aber auch von naturräumlich bedingter oder selbstgewählter Isolation einzelner Kulturen. Neben der Geschichte der Menschen spielt aber auch die der Tiere eine Rolle, ob nun die im Laufe der Zeit ausgerotteter Inselarten oder aber die einer so erfolgreichen Spezies wie der Hausmaus, die sich als Kulturfolgerin erst nach und nach bis in den Westen des Mittelmeerraums verbreitete. Ohnehin wird eines hier sehr deutlich: Bis rings um das Mittelmeer vergleichbare Bedingungen entstanden, die man unter dem Oberbegriff einer mediterranen Lebenswelt fassen kann, dauerte es tatsächlich bis in die Antike.

Broodbank neigt zu einprägsamen sprachlichen Bildern und Wortspielen, gerade auch in den Kapiteltiteln (besonders hübsch: „Von Mäusen und Melkart“, nicht von Steinbeck, S. 620). Die Leistung der Übersetzer Klaus Binder und Bernd Leineweber kann darum gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, auch wenn selbst sie an manchen Stellen nicht um erklärende Fußnoten herumkommen, weil die Art des Autors, sich auszudrücken und sein breitgefächertes Wissen zu vermitteln, in jeder Hinsicht sehr englisch ist und sich nicht ohne Abstriche ins Deutsche übertragen lässt. Für eine anregende Lektüre sorgt dieser Stil allemal.

Zusätzliche Anschaulichkeit gewinnt das Buch durch sein üppige Bebilderung: Auch abgesehen von den beiden prächtigen Tafelteilen finden sich zahllose Fotos, Landkarten und Grundrisse. Hier und da ist bei den Bildlegenden aber etwas schiefgegangen: So sucht man z.B. den auf S. 351 versprochenen Gebäudegrundriss vergebens, und der Kartenmaßstab auf S. 624 scheint falsch zu sein (denn etwas weiter als bloße zehn Meter dürfte Veji schon von Rom entfernt gelegen haben). Vermutlich lassen sich aber solch kleine Ausrutscher bei einem Buch dieses Umfangs schlicht nicht vermeiden.

Als Archäologe orientiert sich Broodbank bei seinen oft lebendigen Schilderungen primär an Funden. Ereignishistorische Schlaglichter werden auch in den Epochen, aus denen Schriftquellen vorliegen, nur sparsam gesetzt, so dass ein gewisses Maß an entsprechendem Vorwissen beim Verständnis teilweise durchaus hilfreich ist. Besonderen Wert legt Broodbank darauf, herauszustellen, dass die zunehmende Differenzierung und Hierarchisierung der sozialen Verhältnisse schon ab der Jungsteinzeit, spätestens aber ab der Bronzezeit, auch zu Ungerechtigkeiten, Ausbeutung und Missständen führte.

Diese Akzentuierung sorgt einerseits für eine durchaus erhellende Erweiterung des gewohnten Blickwinkels, führt andererseits aber an manchen Stellen auch zu fragwürdigen Interpretationen. Besonders deutlich wird das in Broodbanks Deutung des Untergangs der bronzezeitlichen Palastkulturen, zu dem Angriffe der sogenannten Seevölker zumindest erheblich beitrugen, ohne vielleicht die einzige Ursache gewesen zu sein. Broodbank will die Seevölker nicht als fremdländische Invasoren verstanden wissen, sondern zeichnet sie als eine Art Mischung aus Migranten und Piraten mit sozialrevolutionärer Tendenz, die dankenswerterweise (wenn auch leider unter Gewaltanwendung) einem freieren Handel und moderneren Gesellschaftsmodellen den Weg geebnet hätten. Dass erhebliche Kollateralschäden (von menschlichem Leid bis zum Untergang einer ganzen Schriftkultur mit dem Ende der mykenischen Zivilisation) für Broodbank offenbar zu verschmerzen sind, wenn sie einer seinem Empfinden nach guten Sache dienen, während er den Eliten weniger egalitärer Gemeinschaften gern pauschal Gier und Willkür unterstellt, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Zuallermindest werden hier soziale und politische Werturteile der Moderne in eine ferne Vergangenheit zurückprojiziert, schlimmstenfalls aber sogar Brutalität und Zwang nur dort klar verurteilt, wo sie von denen ausgehen, die in Broodbanks Weltbild die Rolle der Schurken spielen, während sie bei anderen Interessengruppen als Mittel zum Zweck zwar bedauerlich, aber legitim zu sein scheinen.

Ein Lesen mit kritischem Blick empfiehlt sich also bei der Geburt der mediterranen Welt, aber die Tatsache, dass man nicht all seine Einschätzungen unterschreiben mag, schmälert nicht Broodbanks Verdienst, eine schier unglaubliche Materialfülle zusammengetragen und zu einer kohärenten kulturhistorischen Erzählung verwoben zu haben. Daher lässt sich seine (Vor-)Geschichte des Mittelmeerraums auch dann mit Gewinn lesen, wenn man gegenüber seiner Sichtweise an manchen Stellen skeptisch bleibt.

Cyprian Broodbank: Die Geburt der mediterranen Welt. München, C.H. Beck, 2018 (Original: 2013), 952 Seiten.
ISBN: 978-3406713699


Genre: Geschichte

Die Architekten des Imperiums

Mit dem römischen Heer der Antike assoziiert man gemeinhin zuallererst brutale Eroberungsfeldzüge, vielleicht auch noch seine Rolle als Kaisermacher oder die Sicherung der Grenzen und damit auch der Pax Romana im Innern des Reichs. Eine entscheidende Rolle spielten die Soldaten jedoch auch beim Aufbau der sowohl militärisch als auch zivil genutzten Infrastruktur des Imperiums. Es ist diese Perspektive, unter der Jean-Claude Golvin und Gérard Coulon die römische Armee in ihrem ansprechenden Bildband Die Architekten des Imperiums betrachten, wobei dem Buch der französische Originaltitel – Le génie civil de l’armée romaine – womöglich besser gerecht wird als der deutsche.

Die Einleitung befasst sich mit der Frage, aus welchen Gründen das Heer überhaupt bei Bauprojekten eingesetzt wurde. Neben dem Rückgriff auf das Expertenwissen von Architekten, Ingenieuren und Landvermessern im Militärdienst spielte dabei häufig auch die Zielsetzung eine Rolle, Soldaten in Friedenszeiten beschäftigt zu halten – nicht immer zu ihrer Freude. In den folgenden Kapiteln erfährt man etwas über die Arten von Bauwerken, an denen die römischen Soldaten besonders häufig mitwirkten: Kanäle, Aquädukte, Straßen und Brücken. Ein eigenes Kapitel ist dem Bauprojekt Trajans an der Donau gewidmet, das Straßen-, Brücken- und Kanalbau vereinte, bevor es abschließend um den Einsatz des Heeres in Bergwerken und Steinbrüchen geht, in denen die Soldaten nicht nur die unter oft unmenschlichen Bedingungen schuftenden Sklaven und Sträflinge bewachten, sondern bisweilen auch selbst mit anpacken mussten. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit der Gründung von Städten und Kolonien. Was sich in diese Kategorien nicht einordnen lässt (so z.B. der Bau eines Leuchtturms), findet sich im ausführlichen Nachwort.

Obwohl die Schattenseiten der römischen Zivilisation (wie etwa die unbarmherzigen Kriegszüge oder der wenig humane Umgang mit Gefangenen aller Art) nicht ausgespart werden, überwiegt in der Gesamtschau merklich die Begeisterung von Autor und Illustrator für die eindrucksvollen Leistungen der antiken Technik und Baukunst. Deren Faszination wird nicht nur in Coulons Beschreibungen und Golvins ebenso präzisen wie atmosphärischen Rekonstruktionszeichnungen deutlich, sondern ist auch aus Fotos von erhaltenen römischen Gebäuden bzw. Ruinen zu erahnen. Besonders anschaulich ist dabei, dass manche der Rekonstruktionsdarstellungen gestaffelt mehrere Arbeitsphasen in einem Bild zeigen, so dass man die einzelnen Entstehungsschritte eines Bauwerks gut nachvollziehen kann. Wer allerdings schon Jean-Claude Golvins Metropolen der Antike gelesen hat, wird mehrfach auch bereits bekannte Abbildungen wiederfinden (z.B. die Stadtansichten von Korinth oder Timgad). Da beide Bücher unterschiedliche Schwerpunkte setzen, stört das aber nicht weiter.

Während aus vielen erwähnten Einzelheiten – so etwa aus der Tatsache, dass Baumeister nur selten individuell fassbar sind – die Fremdheit der Antike spricht, drängen sich an anderen Stellen Parallelen zur Moderne auf. Wenn etwa quellennah geschildert wird, wie Nero beim Bau eines (durch das jähe Ende seiner Herrschaft unvollendet gebliebenen) Kanals durch den Isthmus von Korinth publikumswirksam den ersten Spatenstich führt, fühlt man sich durchaus an die Selbstinszenierung heutiger Politiker erinnert. Und wenn doch einmal am Bau beteiligte Einzelpersonen zu Wort kommen, zeigt sich, dass auch Eigenlob keine rein neuzeitliche Unsitte ist: Dem Veteranen Nonius Datus, der in einer Inschrift seine Leistungen als Ingenieur beim Bau eines Tunnels für einen Aquädukt herausstreicht, war Bescheidenheit jedenfalls ziemlich fremd.

Insgesamt bieten Die Architekten des Imperiums also alles für einen spannenden und lehrreichen Ausflug in die Römerzeit und dürften nicht nur eingefleischten Fans der Antike Spaß machen.

Gérard Coulon, Jean-Claude Golvin: Die Architekten des Imperiums. Wie das Heer ein Weltreich erbaute. Darmstadt, Philipp von Zabern (WBG), 2020 (Original: 2018), 176 Seiten.
ISBN: 978-3-8053-5220-8


Genre: Geschichte

Der Limes. Auf den Spuren der Römer

Der Limes gehört bis heute zu den auffälligsten und bekanntesten Spuren römischer Präsenz in Deutschland. Während viele Bücher zum Thema entweder nur das Gesamtphänomen der Grenze in den Blick nehmen oder aber ausführlich einzelnen Fundplätzen gewidmet sind, schlagen Marcus Reuter und Andreas Thiel mit Der Limes. Auf den Spuren der Römer einen reizvollen Mittelweg ein. Das für ein breites Publikum gedachte und auch dank seiner üppigen Bebilderung mit Karten, Rekonstruktionsdarstellungen und Fotos sehr anschauliche Buch zeichnet nicht nur überblicksartig die historische Entwicklung des Limes nach, sondern nimmt auch detailliert dessen geographischen Verlauf, die an ihm gemachten archäologischen Entdeckungen und die Forschungsgeschichte in den Blick.

Die ereignishistorisch ausgerichteten Kapitel rahmen den Rest des Buchs dabei gleichsam wie eine Klammer. In Der lange Weg zum Limes wird, begonnen mit den ersten römischen Eroberungen germanisch besiedelter Gebiete und über zentrale Ereignisse wie die Varusschlacht, aber auch die Gründung der beiden germanischen Provinzen unter Domitian, die allmähliche Entwicklung des Limes bis in die Zeit von Marc Aurel und Commodus nachgezeichnet. Das abschließende Kapitel Das Ende des Limes schildert nicht nur den allmählichen Zerfall der römischen Herrschaft und der Befestigungsanlagen, sondern auch die neuzeitliche Forschungsgeschichte.

Die Erklärung für den Fall des Limes und den letztendlichen Untergang des römischen Reichs ist dabei etwas anders akzentuiert als in Die Römer in Deutschland, einem älteren Werk eines der beiden Autoren. Werden dort die innerrömischen Bürgerkriege und die erstmalige Herausbildung größerer germanischer Verbände betont, wird der Keim der fatalen Entwicklungen hier primär in Fehlern des severischen Kaiserhauses gesehen: Die Entscheidung des Septimius Severus, zur Absicherung seiner Macht primär auf das Militär zu setzen und es mit exzessiven Solderhöhungen an sich zu binden, bildete nicht nur den Auftakt zur unruhigen Epoche der Soldatenkaiser, sondern zerrüttete auch die Finanzen des Staats dauerhaft. Ein weiterer Faktor der Destabilisierung war möglicherweise der Germanenfeldzug seines Sohnes Caracalla, der durch seine militärischen Aktivitäten außerhalb der Reichsgrenzen das bisher bestehende Gleichgewicht zwischen romfreundlichen und -feindlichen Germanengruppen zerstört und so zu den krisenhaften Entwicklungen des 3. Jahrhunderts beigetragen haben könnte.

Zwischen den beiden chronologisch bestimmten Kapiteln stehen drei geographisch geordnete, in denen Der niedergermanische Limes, Der obergermanische Limes und Der raetische Limes unter Hervorhebung besonderer Fundplätze von der Rheinmündung bis nach Passau besprochen werden. Schnell wird dabei deutlich, dass es einen einheitlichen Limes so nicht gab, sondern, je nach Ort und Zeit verschieden, von der Schneise im Wald über Wälle oder Mauern bis hin zur Flussgrenze (ripa) alles Mögliche den Rand des römischen Reichs markieren konnte. Zusätzlich zum Fließtext liefern Informationskästen knappe, aber aufschlussreiche Details zu Sonderthemen (wie z.B. zu Zivilsiedlungen im Umfeld römischer Militärplätze, aber auch zu beeindruckenden Einzelfunden wie etwa römischen Paraderüstungen). Dabei erfährt man nicht nur viel über die Grenzregion in all ihrer Vielfalt, sondern auch über Organisation und Einsatzgebiete des römischen Militärs, Architektur, Religiosität und Kaisertum. Auch wer sich noch nicht näher mit der Antike befasst hat, wird keine Schwierigkeiten haben, den gut lesbaren Erläuterungen zu folgen.

Vor allem aber ist es das Verdienst des Bandes, den Limes als überregionales Grenzsicherungssystem ins Bewusstsein zu holen und dabei auch in deutschsprachigen Überblicksdarstellungen oft nur kursorisch behandelte Abschnitte (wie etwa die römische Grenze in den Niederlanden) genau vorzustellen. So ist ein spannender Ausflug in die Römerzeit garantiert – dank all der Tipps, an welchen Stellen noch Reste des Limes im Gelände oder museal aufbereitet zu entdecken sind, nicht nur literarisch, sondern gegebenenfalls auch ganz real.

Marcus Reuter, Andreas Thiel: Der Limes. Auf den Spuren der Römer. Darmstadt, Theiss (WBG), 2019 (unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. 2015), 224 Seiten.
ISBN: 978-3-8062-3927-0


Genre: Geschichte

Metropolen der Antike

Der Architekt und Archäologe Jean-Claude Golvin ist für seine ebenso präzisen wie atmosphärischen Aquarelle bekannt, in denen er das Aussehen antiker Gebäude und Städte rekonstruiert. Eine Vielzahl von ihnen ist in dem ansprechenden Bildband Metropolen der Antike versammelt, wobei der Titel allerdings etwas zu kurz greift: Neben den dort erwähnten großen Städten wie Rom, Athen oder Trier sind auch Darstellungen kleinerer Orte (etwa eines befestigen gallischen Dorfs auf der Insel Martigues) oder einzelner Bauwerke (so z.B. des berühmten Mausoleums von Halikarnassos) enthalten.

Wie Golvin in seinem Vorwort selbst erläutert, entspricht eine Rekonstruktion, und mag sie auch noch so akribisch archäologische Ergebnisse und topographische Gegebenheiten berücksichtigen, natürlich nie hundertprozentig der einstigen Wirklichkeit, da man in den seltensten Fällen eine komplette Stadt ergraben kann. So basieren Teile der Bilder immer auch auf Rückschlüssen, die man aus dem zweifelsfrei Bekannten ziehen kann, und plausiblen Vermutungen. Dementsprechend beschränkt sich ihre Funktion nicht auf strikte Wissenschaftlichkeit. Vielmehr sind sie für Golvin auch eine Art Einladung zu einer Zeitreise und zum Träumen, um sich dem Altertum auch emotional und immersiv zu nähern. Dazu eignen sich die von Hand gezeichneten und aquarellierten Illustrationen in der Tat wesentlich besser als die inzwischen allgegenwärtigen digitalen Rekonstruktionen, die oft kälter und weniger ansprechend wirken.

Zeitlich reicht der Rahmen vom alten Orient bis in die Spätantike (wobei die Römerzeit mit besonders vielen Beispielen vertreten ist), geographisch steht mit wenigen Ausnahmen der Raum des römischen Reichs im Mittelpunkt. Insbesondere kommt auch das sonst oft eher etwas stiefmütterlich behandelte römische Nordafrika zu seinem Recht. Jedem vorgestellten Ort bzw. Einzelbauwerk ist ein eigenes kurzes Kapitel gewidmet, das knapp, aber informativ historische, naturräumliche und architektonische Fakten skizziert. Die Übersetzung von Geneviève Lüscher und Birgit Lamerz-Beckschäfer liest sich dabei so flüssig und überzeugend, dass man oft vergisst, dass man es nicht mit einem schon im Original auf Deutsch verfassten Text zu tun hat. Immer ist mindestens eine Abbildung beigefügt (bei Städten aus der Vogelperspektive, bei individuellen Gebäuden oft auch aus der Sicht eines davorstehenden Betrachters). In manchen Fällen gibt es neben einer nummerierten Illustration mit Bildlegende auch noch einmal eine beschriftungsfreie Wiedergabe derselben Stadtansicht nur zum Genießen (häufig auf einer Doppelseite). Die Bildlegenden sind informativ, aber an einigen Stellen hatte hier leider der Fehlerteufel die Hand im Spiel (so bricht bei Olympia die Legende zu Ziffer 19, S. 79, einfach mitten im Satz ab, und bei der Abbildung des tunesischen Thugga sind im Bild, S. 144, 14 Ziffern vorhanden, während die Legende, S. 145, mit Ziffer 13 endet).

Insgesamt aber weiß die Bildreise einmal rund um das Mittelmeer und in angrenzende Regionen vorbehaltlos zu begeistern. Dieses Buch nimmt man sicher auch nach der ersten Lektüre noch oft zur Hand, sei es, um Details nachzuschlagen, sei es, um einfach nur in den wunderschönen Bildern zu schwelgen. Für alle an der Antike Interessierten kann man also nur eine eindeutige Lese- und Betrachtungsempfehlung aussprechen. Dieser Bildband lohnt sich!

Jean-Claude Golvin: Metropolen der Antike. 2., erw. Aufl. Darmstadt, Philipp von Zabern (WBG), 2019 (Original: 3., verb. und erw. Aufl. 2015), 240 Seiten.
ISBN: 978-3-8053-5184-3

 


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur

Fürsten im Fadenkreuz

Beim Gedanken an Kriege im Mittelalter sieht man spontan wohl vor allem Ritter und Bogenschützen oder Mauern und Belagerungsmaschinen vor seinem inneren Auge. Dass es jedoch auch in Hoch- und Spätmittelalter schon Geheimoperationen und Spezialkommandos gab, die mit dem offenen Kampf wenig zu tun hatten, zeigt der Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch Fürsten im Fadenkreuz: Mordanschläge, Entführungen, Bestechungen und Sabotageakte waren oft wirksame Mittel, um politische wie militärische Ziele durchzusetzen.

Den Einstieg bildet dabei der Überblicksabschnitt „Spezialkommandos, Strategie und Politik im Zeitalter der Ritter“, in dem Harari sich dem Thema analytisch nähert. Die Erkenntnis, dass auch im Mittelalter trotz aller Lippenbekenntnisse zur Ritterlichkeit List, Tücke, Grausamkeit und Skrupellosigkeit an der Tagesordnung waren, überrascht dabei nicht unbedingt. Interessanter ist die Beobachtung, dass sich Geheimoperationen anders als in späteren Epochen schon aus Gründen des technischen Aufwands weit seltener gegen die Infrastruktur als gegen Personen richteten. Dennoch bleibt dieser Abschnitt des Buchs der schwächste, weil Harari in seiner Argumentation unterschiedliche Phänomene vermischt, so dass einige der von ihm gewählten Beispiele eher diskussionswürdig als auf den ersten Blick einleuchtend wirken. So zählt Harari im Kontext von „Mord und Entführung als Mittel der Kriegsführung“ (S. 62) etwa auch den Tod Heinrichs IV. von Frankreich (1610) auf. Nun ist zwar über mögliche Strippenzieher dieses Attentats viel spekuliert worden, aber nach allem, was man weiß, war der Mörder, François Ravaillac, ein fanatischer Einzeltäter. Wenn somit schon jemand, den man heute eher als Terroristen einstufen würde, als „Spezialkommando“ zählt, ergibt sich daraus eine beträchtliche begriffliche Unschärfe.

Seine Stärken ausspielen kann Harari dagegen bei den anschließenden sechs Fallstudien, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist. In fünfen geht es um Einzelaktionen (zwei Versuche, zwecks Eroberung heimlich in Städte einzudringen, eine Gefangenenbefreiung, einen politischen Mord und die Zerstörung einer logistisch wichtigen Mühle), in einem weiteren dagegen wird die Geschichte des spätmittelalterlichen Burgund skizziert, das der Autor insbesondere unter Karl dem Kühnen als wahren Schurkenstaat zeichnet, in dem die Entführung oder Ermordung fremder Staatsoberhäupter quasi zum Tagesgeschäft gehörte. Hier erweist sich Harari als begnadeter Erzähler, der historische Ereignisse romanhaft packend heraufbeschwört und dabei seinen Sinn für Humor unter Beweis stellt (wenn er z.B. mit Hingabe schildert, wie beim heimlichen Eindringen von Kreuzrittern ins belagerte Antiochia 1098 ausgerechnet zum schlechtesten Zeitpunkt die einzig verfügbare Leiter nachgibt). Weniger abwechslungsreich als die spannenden Schilderungen gestaltet sich allerdings die geographische Schwerpunktsetzung: Vielleicht den Forschungsinteressen des Autors geschuldet, bilden neben den hochmittelalterlichen Kreuzfahrerstaaten das spätmittelalterliche Frankreich und seine Peripherie den zweiten Schauplatz, während Fälle aus Nord-, Ost- oder Südeuropa fehlen.

Die Übersetzung von Andreas Wirthensohn ist insgesamt gelungen, doch man hätte ihr ein gründlicheres Lektorat gewünscht. Mehrfach finden sich kleinere sprachliche Merkwürdigkeiten (z.B. „Gebärmuttern“, S. 198, statt „Gebärmütter“ als Plural von „Gebärmutter“ oder „Hersteller von Kürassieren“, S. 105, wenn ein Harnischmacher gemeint ist). Daneben sind leider auch inhaltliche Flüchtigkeitsfehler stehen geblieben. So wird etwa im Stammbaum des Hauses Valois auf S. 201 Eduard II. von England fälschlich als Sohn und nicht etwa als Schwiegersohn Philipps IV. von Frankreich geführt und im Fließtext einmal versehentlich Johann Ohnefurcht als Vater statt als Großvater Karls des Kühnen bezeichnet (S. 227, zuvor im Buch jedoch richtig). Auffällig ist auch die Uneinheitlichkeit der Ortsnamenübersetzung: Bei „Tongres“ (Tongern) und „Morat“ (Murten) bleibt die französischen Namensformen unübersetzt, aber es ist von „Lüttich“ statt von „Liège“ die Rede.

Dementsprechend schwer fällt ein Gesamturteil über den Band. Einerseits bietet er anregende und unbestreitbar unterhaltsame Lektüre über ein sonst oft allenfalls am Rande beleuchtetes Themenfeld der mittelalterlichen Geschichte, andererseits empfiehlt es sich, ihn durchaus mit kritischem Blick zu lesen.

Yuval Noah Harari: Fürsten im Fadenkreuz. Geheimoperationen im Zeitalter der Ritter 1100-1550. München, C.H. Beck, 2020 (Originalausgabe: 2007), 348 Seiten.
ISBN: 978-3406750373


Genre: Geschichte

Gefahr auf See

Der klassische Pirat ist in der allgemeinen Vorstellung sicher der des 17. oder 18. Jahrhunderts, und auch moderne Seeräuber, etwa am Horn von Afrika, machen seit einigen Jahren verstärkt von sich reden. Dass diese Form der Kriminalität jedoch nicht ausschließlich ein Phänomen der Neuzeit ist, zeigt die Archäologin Heidrun Derks in ihrer für eine breite Leserschaft gedachten Überblicksdarstellung Gefahr auf See – Piraten in der Antike.

Archäologisch lassen sich die Aktivitäten von Piraten nur selten nachweisen, auch wenn es Ausnahmen gibt, so etwa das vor Zypern gefundene Wrack von Kyrenia, ein mit Wein und Eisenbarren beladenes Handelsschiff, in dessen Bordwänden noch Pfeile steckten, als es im 3. Jahrhundert v. Chr. sank, so dass man wohl auf einen Überfall als Ursache des Untergangs schließen kann. Fassbar werden Seeräuber damit erst mit dem Aufkommen von Schriftquellen, das aber sehr früh – schon in der diplomatischen Korrespondenz der Bronzezeit ist von Piraterievorwürfen die Rede.

Im weiteren Verlauf des Altertums bekamen es dann Phönizier, Etrusker, Griechen und Römer mit Piraten zu tun oder wurden selber welche. Ohnehin waren die Grenzen zwischen legitimer Kriegsführung und Piraterie oft fließend, so dass sowohl in der Historiographie als auch in literarischen Werken (etwa in der Odyssee) das, was Feinden oder negativ gezeichneten Gestalten als Verbrechen ausgelegt wurde, bei Freunden oder Protagonisten als Heldentat gefeiert werden konnte. Dass diese Ambivalenz auch schon in der Antike so empfunden wurde, zeigt die bei Augustinus zitierte Bemerkung eines gefangenen Piratenkapitäns gegenüber Alexander dem Großen, der Unterschied zwischen ihnen bestehe vor allem im Umfang ihrer jeweiligen Operationen.

Neben Geld- oder Machtgier bildete aber auch immer wieder Armut einen entscheidenden Faktor bei der Hinwendung von Einzelpersonen oder ganzen Menschengruppen zum Seeraub. Das Entern anderer Schiffe stellte dabei übrigens, anders als in späteren Epochen, nicht einmal das bedeutendste Tätigkeitsfeld von Piraten dar. Noch häufiger sind Überfälle auf Küstenorte und Entführungen von Menschen dokumentiert, die als Sklaven verkauft oder gegen ein Lösegeld wieder freigelassen wurden (ein prominentes Opfer von letzterer Praktik war Caesar, der dafür allerdings mit harter Hand Vergeltung übte).

Eingebettet ist diese immer wieder durch Quellenzitate und Textkästen zu relevanten Persönlichkeiten aufgelockerte Geschichte der Piraterie in den größeren Kontext der Entwicklung von Schifffahrt und Handel im Mittelmeerraum. Heidrun Derks schreibt gut verständlich auch für Leserinnen und Leser, die mit der Antike bisher noch nicht viel zu tun hatten, und zieht gelegentlich auch augenzwinkernd Verbindungen zur modernen Popkultur. So hat etwa in dem Kapitel über die Phönizier auch eine Gestalt aus den Asterix-Comics, der windige Händler Epidemais, einen Auftritt.

Einzelne kleine Ungenauigkeiten haben sich eingeschlichen, fallen aber insgesamt nicht allzu sehr ins Gewicht (so z.B. die Angabe, die Schrift der Etrusker würde sich „bis heute der Entschlüsselung“ entziehen, S. 76 – die Schrift selbst ist durchaus lesbar, es ist vielmehr die etruskische Sprache, die mangels einer umfangreichen Textbasis Rätsel aufgibt). Alles in allem ist Gefahr auf See ein flüssig zu lesender, solider Einstieg in ein spannendes Thema, den man gerade aufgrund seines üppigen Bild- und Kartenmaterials sicher auch nach der ersten Lektüre gern noch einmal zur Hand nimmt.

Heidrun Derks: Gefahr auf See – Piraten in der Antike. Darmstadt, Theiss (WBG), 2016, 112 Seiten.
ISBN: 978-3806233131


Genre: Geschichte

Götter, Gaben, Heiligtümer

Das Leben der Römer war in hohem Maße von Religion geprägt, auch in den Provinzen, wie Alfred Schäfer in Götter, Gaben, Heiligtümer am Beispiel des römischen Köln anschaulich zeigt. Eingebettet in die Geschichte der Stadt von ihrer Gründung unter Augustus über die Erhebung zur Colonia Claudia Ara Agrippinensium bis in die Spätantike zeichnet er nach, was sich aus archäologischen Funden und inschriftlichen Quellen über das religiöse Leben der CCAA rekonstruieren lässt. Denn was außer Gebäuderesten, Götterstatuen und dergleichen geblieben ist, lässt sich vor allem als Zeugnis einer reichen paganen Memorialkultur fassen, die an das erinnert, was die Zeiten eben nicht überdauert hat, seien es nun Opfer und andere rituelle Handlungen, die in Inschriften und bildlichen Darstellungen festgehalten wurden, oder die Menschen selbst, deren Grabsteine und -beigaben etwas über Jenseitshoffnungen verraten können.

Hand in Hand gingen im Alten Rom aber insbesondere auch Religion und Politik, so dass es kein Zufall ist, dass die bedeutenden Heiligtümer, die dem Kaiserkult und der Verehrung der kapitolinischen Trias (Jupiter, Juno und Minerva) gewidmet waren, mit ihrer Ausrichtung zur Rheinfront hin das Stadtbild weithin sichtbar prägten. Auch anhand des Statthaltersitzes (Praetorium) oder des unweit der Stadt gelegenen Kastells der Rheinflotte lässt sich zeigen, dass Autoritätsanspruch und Sakrales eng miteinander verquickt waren.

Noch weitaus größer und vielfältiger jedoch war der Bereich privater Frömmigkeit, in dem regionale und individuelle Ausprägungen stärker zum Tragen kamen, und das nicht etwa nur im Rahmen von Mysterienkulten wie dem des Mithras, die Eingeweihten spezielles Geheimwissen verhießen. Am Beispiel der Verehrung der Matronen (einer zumeist als Dreierensemble dargestellten und mit allerlei lokalen Beinamen versehenen Gruppe von Göttinnen) und der Jupitersäulen sowie Jupitergigantensäulen schildert Schäfer gut nachvollziehbar, wie die religiöse Vorstellungswelt der ortsansässigen Bevölkerung sich mit den von den römischen Eroberern mitgebrachten Bräuchen und Überzeugungen vermischte, so dass eine reiche Fülle von Neuinterpretationen und Synkretismen entstand. Es wird deutlich, dass die antike Religion ein dynamisches Gebilde war, das immer wieder Raum für Hinzufügungen und Anpassungen bot und fremde Gottheiten nahtlos zu integrieren wusste. Allerdings hatte die jahrhundertelang so erfolgreiche Vielfalt in der Spätantike gegenüber dem Christentum keinen Bestand, wobei die Quellen sogar auf ein gewaltsames Vorgehen gegen überdauernde heidnische Praktiken noch in merowingischer Zeit hindeuten.

Schäfer schreibt auch für Laien gut verständlich in kurzen und übersichtlichen Kapiteln, die es ermöglichen, sich gezielt über spezielle Themen zu informieren, wenn man nicht das komplette Buch lesen möchte. Zusätzlich lockern Kästen den Text auf, in denen insbesondere interessante Einzelfunde, aber auch zentrale Begriffe wie z.B. Polytheismus näher erläutert werden. Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt, so dass die Darstellung auf Zugänglichkeit für ein breites Publikum angelegt ist, ohne je über Gebühr verkürzt oder vereinfachend zu wirken.

Sehr ansprechend ist das Buch aber auch durch seine zahlreichen Illustrationen gestaltet. Neben Abbildungen von Fundstücken und Kartenmaterial sind auch digitale Rekonstruktionen enthalten, die einem gestatten, einen Eindruck von der Topographie des römischen Köln und vom Aussehen einzelner Gebäude zu gewinnen. So üppig die Bebilderung insgesamt auch ist, bedauert man allerdings doch im Einzelfall, dass ein Foto fehlt (z.B. wird das berühmte Dionysosmosaik, das im Römisch-Germanischen Museum zu sehen ist, zwar als Beispiel für religiöse Motive im Bildschmuck eines Privathauses beschrieben, ist aber im Buch selbst nicht gezeigt und nur durch einen Ausschnitt aus dem zentralen Feld auf dem Cover präsent).

Von solchen Kleinigkeiten abgesehen könnte man sich jedoch kaum eine bessere Einführung in die religiöse Welt des römischen Köln wünschen. Wer Götter, Gaben, Heiligtümer liest, lernt auf jeden Fall auf unterhaltsame Weise etwas dazu und wird vielleicht auch die heutige Stadt mit etwas anderen Augen als bisher sehen.

Alfred Schäfer: Götter, Gaben, Heiligtümer. Römische Religion in Köln. Darmstadt, Philipp von Zabern (WBG), 2016, 128 Seiten.
ISBN: 978-3805349499


Genre: Geschichte

Homers Odyssee

Die Odyssee zählt zu den bekanntesten und wirkmächtigsten Texten der Weltliteratur. In seiner kompakten Einführung Homers Odyssee bietet der Altphilologe Bernhard Zimmermann eine lebendig geschriebene und kluge Annäherung an das Epos, dessen Faszination bis heute ungebrochen ist.

Zimmermann datiert die Odysee auf etwa Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. und beginnt seine Darstellung, indem er dem schwer fassbaren Dichter Homer nachspürt, über den bei allem Ruhm schon in der Antike mehr Legendarisches als historisch wirklich Belastbares berichtet wurde. So undeutlich die Person des Autors also gezwungenermaßen bleibt, lässt sich doch viel zu Sprache und Versmaß sagen, und Zimmermann bietet in diesem Kontext eine der klarsten Erläuterungen der Funktionsweise des daktylischen Hexameters, die man in der Literatur finden kann. Selbst wer sich sonst nicht gern mit dem Metrum von Dichtungen auseinandersetzt, wird hier garantiert das Wesentliche nachvollziehen können.

Nach einem kurzen Forschungsabriss zur Homerphilologie seit dem Altertum steht im nächsten großen Abschnitt der Inhalt der Odyssee selbst im Mittelpunkt, die nicht nur ausführlich nacherzählt, sondern auch gut in ihren Sagenkontext (welche Ereignisse sind vorher, welche nachher zu denken?) eingeordnet wird. Nachdem so eine Verständnisbasis auch für diejenigen, die den Primärtext (noch) nicht kennen, geschaffen worden ist, folgt ein Analyseteil, in dem Struktur, Erzähltechnik, Motive und Poetik des Epos gründlich unter die Lupe genommen werden. Besonderen Wert legt Zimmermann dabei auf die Zeichnung der Figuren, denen noch einmal ein eigenes Kapitel gewidmet ist.

Deutlich wird in Zimmermanns Untersuchung insbesondere die Verknüpfung von Phantasie und heldenhafter, zeitlich unbestimmter Vorzeit einerseits mit der realen Lebenswelt von Mittelmeeranrainern des 7. Jahrhunderts andererseits, in der die Seefahrt ebenso sehr Wirtschaftsfaktor und verheißungsvolles Abenteuer wie lebensgefährliches Risiko ist und selbst sozial hochgestellte Persönlichkeiten nicht davor gefeit sind, unversehens als Sklaven zu enden. Dauerhaft bestehen kann in einer solchen Gesellschaft nur, wer tragfähige Bindungen hat – zu Eltern und Kindern, zum Ehepartner und zu Gefolgsleuten, aber nicht zuletzt auch zu den Göttern, deren Wohlwollen es sich zu erhalten gilt. In diesem Zusammenhang sieht Zimmermann nicht zuletzt auch das Schicksal der Atriden um Agamemnon, dessen Familie auf grausige Art zerbricht, als immer im Hintergrund mitzudenkende Folie für die trotz aller Gefahren für sämtliche Beteiligte erfolgreichere Heimkehr des Odysseus zu seiner Frau Penelope und seinem Sohn Telemach.

Ganz generell kann die Odyssee also auch unabhängig von ihrer Entstehungsepoche als Geschichte des Überstehens schwerer Zeiten mithilfe von Klugheit und Durchhaltevermögen gelesen werden (ob nun auf Odysseus selbst bezogen oder z.B. auch auf Penelope, die sich mit List und Tücke der zudringlichen Freier erwehren muss, um ihrem Mann treu zu bleiben). Auch diese Thematik trug dazu bei, ihr im Laufe der Jahrhunderte eine eifrige Rezeption zu sichern, über die Zimmermann in einem letzten Kapitel einen kurzen Überblick gibt, der den Schwerpunkt allerdings stark auf die Antike legt. Knappe Literaturhinweise und ein Register runden den Band ab.

Wer einen ersten Einstieg in die Odyssee sucht, ist mit dem kurzen Buch auf alle Fälle gut beraten, aber auch alle, die den Text selbst schon kennen, können Zimmermanns frische Deutungsansätze und insbesondere seine Einordnung in den historischen Entstehungszusammenhang mit Gewinn lesen.

Bernhard Zimmermann: Homers Odysee. Dichter, Helden und Geschichte. München, C.H. Beck, 2020, 128 Seiten.
ISBN: 978-3406750229


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur, Märchen und Mythen