Heike Baller beschäftigt sich nicht nur in ihrem Blog Kölner Leselust mit Lyrik und mit Büchern, sondern hat vor kurzem auch einen eigenen Haiku-Band veröffentlicht: Mein Jahr in Haiku. Ein wenig mehr darüber erzählt sie in dem Interview, das ich mit ihr führen durfte.
Liebe Heike,
vielen Dank schon einmal im Voraus, dass du meine neugierigen Fragen beantwortest! Passend zu den drei Versen eines Haiku sind es drei, allerdings aus praktischen Gründen nicht mit der klassischen Silbenzahl 5 – 7 – 5.
Um was für eine Gedichtform es sich bei Haiku handelt und wie du auf Spaziergängen deine Natureindrücke poetisch festgehalten hast, schilderst du ja schon im Nachwort zu Mein Jahr in Haiku. Du bist aber ja nicht nur Dichterin und Lyrikkennerin, sondern trägst Gedichte auch gern vor, z. B. auf deinem YouTube-Kanal. Inwieweit beeinflusst deine Erfahrung mit gesprochener statt nur leise gelesener Literatur dein eigenes Dichten?
Haiku gehören nach meiner Erfahrung nicht zu einer Gedichtform, die sich gut fürs Vorlesen eignet. In meiner ersten Lesung von Herbstgedichten hab ich es mit eigenen versucht, bin aber mit dem Ergebnis als Ganzem nicht so zufrieden. Es ist mir dann auch aufgefallen, dass Haiku auch sonst nicht zu meinem Vorleserepertoire gehören. Das muss ja Gründe haben …
Die Besonderheit von Haiku liegt in der Aufteilung der 17 Silben – deshalb spielt der Gedanke ans Vorlesen bei der Formulierung für mich eine sehr untergeordnete Rolle. Am ehesten noch dann, wenn ich aus Silbenzählgründen starke Verkürzungen nutzen will wie „‘s ist“ wenn ich mal die Mittelsilbe „verschlucke“ – „vergangnen“ statt „vergangenen“.
Ursprünglich hast du deine Haiku in Form eines Blogprojekts präsentiert, das ein Jahr umspannte und nun nur noch unregelmäßig weitergeführt wird – jetzt aber sogar mit etwas ganz Neuem für dich, nämlich einem englischen Haiku. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht, in einer Fremdsprache zu dichten?
Oh, das war mit großer Wahrscheinlichkeit eine Ausnahme. Ich beherrsche keine Fremdsprache so dass ich darin auf adäquate Weise so verkürzen kann, wie es ein Haiku verlangt. (Und an größere Formen wage ich mich erst mal nicht heran.). In diesem Fall war es wirklich ein Sprachbild, das mit der Außenwelt korrespondierte. Und mit deiner Hilfe konnte ich es ja dann auch korrekt ausdrücken.
Ich schließe nicht aus, dass solche Experimente vorkommen können; im Frankreichurlaub huschten auch französische Zeilen durch meinen Kopf – aber das alles war zu rudimentär, um was draus zu machen. Wait and see. Oder : Qui vivra verra. 😉
Beruflich bist du als Recherchemeisterin eine Expertin für sorgfältige Nachforschungen. Ist das Einfangen spontaner Eindrücke im Haiku für dich eine Gegenwelt dazu oder ergibt sich die Leichtigkeit der Momentaufnahmen auch und gerade aus dem genauen Hinsehen, das dein täglich Brot ist?
Das ist eine schwierige Frage. Wie ich im Nachwort ja schrieb, sprang mich das erste Haiku quasi an. Da war nichts beabsichtigt. Aber es war wie das Öffnen einer Tür – auf einmal kam da ‘ne Menge raus. Und erst dann habe ich es als Gegenpol zu meiner Arbeit etabliert. Allerdings nicht unter dem Aspekt „genau gucken“ à la Recherche, sondern unter dem Aspekt „genau gucken, um nicht an die Arbeit zu denken“. Indem ich mein Augenmerk – im Wortsinne – auf meine Umgebung richtete, konnte ich in meinem Kopf nicht ständig um Seminarinhalte und -abläufe, Suchmaschinen und OPAC kreisen. Das war sehr erholsam und, ja, nützlich.
Irgendwann hatte sich dieser Blick nach außen etwas verselbständigt – ich bin im Grunde fast nie ohne mindestens ein Haiku oder den Anfang zu einem nach Hause gekommen. Natürlich gibt es immer mal wieder Tage, an denen bei der Morgen- oder Mittagsrunde doch die Arbeit die Hauptrolle spielt. Doch wenn ich das merke, kann ich – unter Stress nur kurz – meinen Fokus ändern.
Doch eigentlich hat das nicht viel mit genauem Hinschauen, also gezieltem genauen Hinschauen, zu tun, sondern mit neugierig in die Welt gucken. Und dann fallen mir Sachen auf oder zu und ich spiele daran rum, wie ich den Eindruck in 17 Silben packe.
Von daher: Bei den Haiku bleibt die Rechercheurin eher außen vor.